11. Juli 2001

Nicht nur Blowjobs und Champagner schlürfen

Interview geführt von

Obwohl der gute Dave Mustaine von Megadeth als sehr egozentrisch und schwierig gilt, saß mir im Backstage Bereich der Kölner Live Music Hall, ein entspannter und offenbar cleaner Mann gegenüber, der bereit war, sich auch Kritik zu stellen.

Wie waren denn die Reaktionen der Presse auf "The World Needs A Hero?"

Weit weniger negativ als auf "Risk".

Überrascht dich das?

Wir wussten schon, als wir "Risk" ausarbeiteten, dass die Scheibe sehr unterschiedliche Reaktionen hervor rufen würde. Deswegen haben wir sie "Risk" genannt, was, wie sich heraus stellte, eine weise Entscheidung war. Die neue Platte geht zu dem zurück, was ich als so etwas wie den Kern der Musik bezeichnen würde, die wir schon immer gespielt haben. Ich fühl mich mit "The World Needs A Hero" sehr sicher, was jetzt nicht bedeutet, dass wir auf Nummer Sicher gehen wollten. Ich mag auch "Risk" nach wie vor sehr, ich finde es war eine gute Platte, aber unsere Fans wollten wohl etwas anderes hören.

Ich muss gestehen, dass ich "The World Needs A Hero" mit sehr zwiespältigen Gefühlen aufgenommen habe. Auf der einen Seite ist da der Sound, der wirklich mächtig knallt, auf der anderen Seite, und ich hoffe du schraubst mir jetzt nicht gleich die Rübe ab, ist dein Gesang ja stellenweise nicht gerade der Bringer. Den besten Gesangsjob hast du meiner Meinung nach bei "Youthanasia" abgeliefert.

Worauf genau willst du denn raus?

Naja, sobald du eben die Melody-Lines angehst, wird die Stimme ab und zu doch sehr schräg. Bei "Youthanasia" hast du das wesentlich besser hinbekommen.

O.K., wenn das deine Meinung ist, kein Grund sich zu entschuldigen. Wenn dir die Vocals nicht gefallen, ist das schon in Ordnung.

Gulp, öh, dann würde mich noch interessieren, ob es zwischen "1000 Times Goodbye" und "In My Darkest Hour" (von "So Far, So Good, So What") eine Verbindung gibt. Sie sind für meinen Geschmack ja thematisch sehr ähnlich.

Findest du? Da hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht ... aber ganz falsch liegst du damit nicht.

Für mich klingt "In My Darkest Hour" so, als ob du dich von irgendjemandem ziemlich angepisst fühlst.

Nun, ich habe das Lied geschrieben, nachdem ich erfahren habe, dass Cliff Burton (der ehemalige Metallica-Basser kam bei einem Autounfall auf Tour ums Leben) gestorben war. Ich bekam diesen Anruf und war erschüttert, da ich mich mit Cliff doch sehr gut verstanden habe. Wir waren uns nicht so nahe wie Lars und James, aber als wir damals alle in die Bay Area gezogen sind, haben sich eben diese Parteien gebildet, die eine aus Lars und James und die andere, bestehend aus mir und teilweise Cliff. Als ich dann von seinem Tod erfuhr, war ich total fertig.

Der Text hat mit seinem Sterben nichts zu tun, er handelt eher von einer Person, der ich ziemlich egal war. Somit haben die Texte schon ein ähnliches Thema, aber "1000 Times Goodbye" ist mehr nach dem Motto: "Wenn es vorbei ist, ist es nun mal vorbei, verpiss dich also." Ich bin mir sicher, du hattest auch schon diesen Telephonanruf, in dem es dann hieß: "Schatzi, ich lieb dich zwar immer noch sehr, aber irgendwie ist es doch ... blablabla." Darauf sollte es dann einfach heißen: "Alles klar, wenn du mich nicht mehr sehen willst, fuck you und hör auf mich voll zu labern." Dass ist doch so, wie wenn du für mich arbeiten würdest und ich zu dir sage: "Du bist gefeuert, aber ich liebe dich wie einen Bruder." Was soll der Scheiß, du bist immer noch gefeuert.

Im Booklet dankst du Seijiro Udo für die Inspiration für "The World Needs A Hero". Wie sah die aus?

Er gab mir die Idee zu dem Song. Ich war bei ihm zu Besuch und wir unterhielten uns über nette und weniger nette Menschen im Musikbusiness. Er beugte sich dann irgendwann über den Tisch, legte mir die Hand aufs Knie und sagte: "Dave, mein Junge, die Welt braucht einen Helden!" Und ich dachte mir nur, was du nicht sagst. Die Kultur und die Zivilisation in Japan haben sich sehr verändert. Als ich zum ersten Mal vor fünfzehn, sechzehn Jahren da war, mussten die Frauen drei Schritte hinter den Männern laufen. Die Kids hatten damals noch eine eigene Identität. Jetzt sind sie entweder Amerikaner oder Engländer. Man kann den meisten auf den Kopf zusagen, wer ihnen die englische Sprache beigebracht hat. Das hat mich richtig sauer gemacht. Früher sah man downtown noch die ganzen traditionellen Geschäfte und so weiter, heute sieht man überall nur Lutscher mit Handys. Es ist wirklich schlimm geworden mit dieser ganzen Banden-Mentalität, die japanischen Kids verlieren alle ihre Identität.

Als Seijiro sagte, die Welt brauche einen Helden, antwortete ich nur: "Daran besteht wohl kein Zweifel!" Auch hier in Deutschland schreitet das ja immer weiter fort und ich sehe das mit Schrecken, da ich ja halb Deutscher bin, meine Mutter ist in Essen geboren. Es ist für mich manchmal etwas schmerzhaft mit den Fans hier zu reden, da es durch die Sprachbarriere oft zu Missverständnissen kommen kann. Manche Sachen kommen dann sehr verletzend rüber, obwohl sie nicht so gemeint waren. Ich kann dann aber an der Körpersprache erkennen, ob mich derjenige jetzt verbal angreifen wollte, oder einfach nicht die richtigen Worte fand. Bevor meine Mutter starb, habe ich sie hierher zurück gebracht. Als wir vor zwei Tagen in Hannover waren meinte Dave (Ellefson, b): "Erinnerst du dich noch, wie deine Mutter für uns in die Bäckerei ging und mit diesem wirklich leckeren Brot zurück kam?", aber ich konnte mich nicht mehr daran erinnern. Auch das hat mich sehr traurig gemacht.

Hm, wenn ich deinen Text richtig verstehe, willst du dieser Held aber auf keinen Fall sein.

Nein, auf keinen Fall. Es ist zwar so, dass viele meiner Freunde zu mir kommen, mich um Hilfe bitten und ich sie nicht enttäuschen will. Ich denke, jeder hat die ein oder andere Person, die er sehr bewundert, was dann aber auch soweit gehen kann, dass sie sich nur noch auf diese Personen fixieren. Wenn mir unser Management sagen würde: "Hier, dies und das ist gut für dich!", setzte ich mich auf jeden Fall hin und schau mir das Ganze an und probiere es wahrscheinlich auch aus. Aber für die Menschen ein Held zu sein, bedeutet einfach, einem verdammt großen Druck ausgesetzt zu sein. Besonders, wenn du mal angefangen hast ihnen zu helfen, erwarten sie, dass du es immer tust.

Ich weiß noch genau, wie ich erstmals angefangen habe, persönlich auf e-mails zu antworten. Sofort kam die Rückantwort und jeder erwartete, dass ich auch darauf wieder antworten solle. Das hat sich so weit potenziert, dass ich jeden Morgen zweihundert e-mails auf meinem Server hatte. Da musste ich dann verdammt schnell wieder mit aufhören, da sich jeder gleich persönlich angegriffen gefühlt hat, wenn ich ihm nicht meine Lebensgeschichte erzählen wollte. Deswegen muss ich für mich im stillen Kämmerlein entscheiden, wie weit ich mich den Menschen zuwenden kann. Ich bin nun mal in der Öffentlichkeit und muss auch da gewisse Regeln einhalten, ansonsten ist die Karriere ganz schnell vorbei.

Dass das Biz nicht nur aus Sonnenseiten besteht, kann ich mir vorstellen.

Sicher, aber es ist härter, als sich die meisten vorstellen. Es besteht nicht nur aus Blowjobs, Champagner schlürfen und in Limousinen rumgurken. Das war zwar auch nett zu seiner Zeit, ich bin aber eigentlich in dem Geschäft wegen der Musik. Die Groupies, die Drogen und der Alkohol sind zwar auch nicht zu verachten, aber es ist immer noch die Musik, die mich dabei hält. Das mit den Limousinen und so einem Schnickschnack haben wir aber aufgegeben, da wir unseren Fans nicht das Gefühl geben wollen, sie würden sich von uns unterscheiden. Ich wüsste echt nicht, was ich anderes machen würde, wenn nicht das, was ich hier tue.

Vielleicht als Produzent arbeiten?

Es ist nicht so, dass ich Angst hätte, ich könnte keinen anderen Job finden, ich weiß nur nicht, was mir sonst noch Spaß machen würde. Ich hab früher ganz gern an Autos herum gebastelt und bin mir sicher, dass ich als Mechaniker ‘nen Job finden könnte, aber du versaust dir dabei mächtig die Griffel. Nicht, dass ich mir zu gut wäre, um mir meine Finger zu beschmutzen, aber das Öl und der ganze Scheiß ruiniert dir die Finger und wenn ich dann mit meinen Kindern spiele, bekommen die den Mist auch ab.

Du hast die Scheibe ja produziert und ganz gute Arbeit dabei abgeliefert. Du hattest doch auch bei der ersten Sanctuary (jetzt Nevermore) deine Finger im Spiel, oder?

Ja, das war 'ne tolle Band, nur dummerweise wurden die vom selben Management betreut wie wir. Ich bin nicht sicher, was da genau ablief, ich half ihnen, den Deal mit Epic zu ergattern. Don Zimmerman nahm sie unter Vertrag und als es an der Zeit war, deren zweite Scheibe aufzunehmen, wollten sie mit mir nicht mehr arbeiten und Don nicht mehr mit ihnen, da ich mit dabei war. Sehr kompliziert das Ganze.

Könntest du dir vorstellen andere Bands zu produzieren?

Ja, wenn es der richtige Sound und die richtige Band sind. Ich muss sie als Musiker und Menschen respektieren können. Ich hasse es, in Projekte involviert zu sein und auf einmal zu stagnieren, weil du mit irgendjemandem nicht klar kommst.

Wenn du gerade von Projekten sprichst, was ist mit MD. 45?

Nichts, Megadeth hat einfach absolute Priorität. Nach "Youthanasia", als wir mit "Cryptic Writings" fertig waren, merkten wir, wie melodisch unser Sound geworden ist. Mit "Risk" gingen wir dann einen Weg, den wir für uns selber beschreiten mussten, um die Erfahrung zu sammeln. Danach haben wir uns entschieden, dass es mehr Spaß macht, diesen heavy stuff zu spielen. Wenn wir direkt nach "Risk" den Schritt zurück zu Songs der Marke "Rust In Peace" gemacht hätten, hätte es den Anschein gehabt, dass wir uns für "Risk" geschämt hätten, was nicht der Fall ist. Viele der Fans hätten gedacht, wir gehen etwas zurück zu den Wurzeln, weil wir mit "Risk" abgestunken hätten. Ich denke allerdings nicht, das "Risk" abstinkt, ich finde wir haben eine gute Platte gemacht.

Ich wollte unsere Entwicklung immer natürlich ablaufen lassen. Im Augenblick fühle ich mich mit dem heavy stuff einfach verdammt wohl. Es macht Spaß zu spielen, mit den ganzen Double Bass-Sachen. Wir haben einen fantastischen Drummer. Nick war auch fantastisch, aber er wollte auf einmal meinen Platz einnehmen, er wollte Frontmann sein. Er spielt Gitarre, er schreibt Songs und singt, aber es war nun einmal nur Platz hier für einen von meiner Sorte. Mit Marty ist das so 'ne Sache, der hat sich die Haare abgeschnitten und spielt jetzt Tanz- und Techno-Musik. Er ist in 'ner Band mit Sängerin und das sind mit die Gründe, warum "Risk" so klingt wie sie klingt.

Als guter Bandleader musst du dir von jedem die Meinung anhören, darüber nachdenken was machbar ist und dann dafür sorgen, dass es funktioniert. Marty wollte "Risk" noch viel poppiger haben als wir, deshalb ist er letztendlich gegangen. Marty ist natürlich ein großartiger Gitarrist und ich wünsche ihm mit allem, was er macht, Glück, aber ich wünschte, er hätte mir früher gesagt, dass er auf Tanzmusik umschwenken will. Und mitten auf der Tour auszusteigen ist auch nicht die feine englische ... Aber ich muss sagen, ich respektiere ihn dafür, dass er mir gegenüber immer ehrlich geblieben ist.

Was hältst du denn vom Split von Jason Newsted und Metallica?

Traurig, sehr traurig.

Ich habe gehört, dass er genug hat vom Weichspül-Sound der letzten Scheiben und wieder etwas mehr auf die härtere Schiene zurück will.

Ich weiß es auch nicht genau. Zu mir sagte er: "Zu jeder Geschichte gibt es drei Seiten. Meine, deine und die Wahrheit." Als ich damals bei Metallica rausgeflogen bin, war ich dermaßen angepisst, dass ich heim gegangen bin und allen erzählt habe, ich wäre ausgestiegen, bevor die jedem erzählen konnten, sie hätten mich gefeuert. War natürlich alles Quatsch, aber es ist witzig, dass du Jason erwähnst. Neulich hat mich ein gewisser Lars Ulrich angerufen, um mich, natürlich ganz unverbindlich, zu fragen, wie ich mich denn mit meinem Bassisten verstehen würde.

Die wollten wirklich Dave für Metallica abwerben? Meinst du, Dave wäre das Finanzielle wichtiger als die Freundschaft zwischen euch?

Keine Ahnung, glaube aber nicht. Wir haben damals zu "Killing Is My Business"-Zeiten als Geschäftspartner angefangen, woraus sich dann eine Freundschaft entwickelt hat. Was Megadeth und Musik im Allgemeinen angeht, sind wir aber nach wie vor Geschäftspartner.

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