13. Juli 2012

"Wir sind einen steinigen Weg gegangen"

Interview geführt von

Die Glamrocker von Mötley Crüe sind derzeit so weit von der Rockerrente entfernt wie der Grund des Mariannengrabens vom Gipfel des Mount Everest. Nach einem dreiwöchigen Aufenthalt im Hard Rock Cafe von Las Vegas geht es derzeit zusammen mit Slash in Europa zur Sache. Danach steht eine Mammut-Tour mit Kiss auf dem Programm, gefolgt von Film-Arbeiten ("The Dirt") und Album-Tüfteleien.Es gibt nicht mehr viele Metal-Combos aus den Achtzigern, die auch anno 2012 noch hiesige Mehrzweckarenen wie beispielsweise die Berliner Max- Schmeling-Halle füllen. Dort sorgen sonst nur noch Seeed, Die Toten Hosen oder der Bundesvision Songcontest für vollbesetzte Ränge. Auch Mötley Crüe tun sich hierzulande schwer, die Massen zu ziehen. So bedarf es schon eines illustren Vorprogramms, um den Hauptstädtern ihr Stelldichein schmackhaft zu machen.

Mit den Black Veil Brides und Slash - inklusive Alter Bridge-Shouter Miles Kennedy im Schlepptau machen die Altherren-Glamrocker aber alles richtig und freuen sich letztlich über eine gut gefüllte Halle. Bereits Stunden zuvor sammeln sich paarungswillige Strapsen-Trägerinnen und gut beleibte Altrocker vor der Location. Vor dem Presseeingang der Arena fahren im Minutentakt abgedunkelte Limos vor, vollgepackt mit zwielichtigen Gestalten.

Wir haben uns mit Sänger Vince Neil in den Katakomben verabredet. Ein Rock'n'Roll-Alphamännchen seiner Größenordnung wird natürlich gerne jedem Klischee gerecht. So lässt uns der Gute fast eine halbe Stunde auf dem Trockenen sitzen, ehe er sich mit einer hochhackigen Blondine im Gepäck den Weg in seinen Dressing-Room bahnt, um uns weitere zehn Minuten später endlich Einlass zu gewähren. Schnell wird noch die Escort-Barbie verabschiedet, bevor uns der Maestro mit festem Handschlag begrüßt und unser 15-minütiges Gespräch wie folgt eröffnet:

Vince: Hi, wie gehts dir? Alles klar? Warte mal kurz.

(Vince versteckt ein nicht identifizierbares Etwas in seiner Hosentasche.)

Hi Vince, danke der Nachfrage. Mir gehts gut. Wesentlich interessanter wäre es zu erfahren, wie es dir geht?

Oh, es geht mir prächtig. Wir verbringen gerade eine tolle Zeit zusammen. Alles läuft super.

Ihr seid jetzt seit knapp sieben Jahren wieder in der Urbesetzung unterwegs. Wenn du die diese Zeit mit der vor dreißig Jahren vergleichst: Was hat sich verändert?

Ich würde sagen, dass sich eine ganze Menge verändert hat. Wir schlafen mittlerweile in feinen Hotels, teilen uns die schönsten Mädels und verdienen einen Haufen Kohle. Das war vor dreißig Jahren noch nicht so (lacht).

Erinnerst du dich noch an die alten Zeiten?

Ja, sogar sehr gerne. Wir waren verdammt jung. Ich glaube, Tommy war erst 17, als wir unser Debüt aufnahmen. Wir wohnten damals alle im selben Appartement und haben täglich versucht, die Leute von unserer Musik zu überzeugen. Abends sind wir durch die Straßen Hollywoods getingelt und haben Flyer für unsere Shows verteilt und wildfremde Menschen angequatscht.

Wir sind wirklich einen steinigen Weg gegangen. Uns wurde nichts geschenkt. Wir mussten alles selbst in die Hand nehmen. Heutzutage gibt es eine derartige Entwicklung bei Bands kaum noch. Viele werden bereits mit dem ersten gespielten Akkord in den Himmel gelobt, nur um dann wenige Monate später wieder in der Versenkung zu verschwinden.

Glaubst du, dass der von dir beschriebene "steinige Weg" ein Hauptgrund dafür ist, dass ihr auch heute noch am Start seid?

Ja, absolut. Diese Zeit hat uns geprägt und uns ein dickes Fell verschafft.

"Las Vegas oder Mönchengladbach spielt keine Rolle"

Ihr werkelt momentan an allen Fronten. Im Februar habt ihr drei Wochen am Stück das Hard Rock Hotel in Las Vegas beschallt. Des Weiteren rückt die Produktion des "The Dirt"-Film-Projekts immer näher, und getourt wird natürlich auch noch. Demnächst geht es gar mit Kiss auf großangelegte Stadienreise durch die Staaten. Woher kommt dieser plötzliche Energieschub?

Nun, ich denke, wir werden alle nicht jünger. Aber wir haben noch massenhaft Visionen und Vorstellungen, wie wir diese Band noch größer machen können, als sie eh schon ist. Wären wir alle nochmal 20, würden wir vielleicht etwas entspannter an die Sachen rangehen. Aber ich bin im Februar 51 geworden. Da rennt einem schon ein bisschen die Zeit davon (lacht). Vor allem, wenn die Ideen nur so sprudeln.

Lass' uns die jüngere Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft ein bisschen intensiver unter die Lupe nehmen. Wie war Las Vegas für euch?

Es war eine fantastische Erfahrung. Wir haben drei Wochen lang vier Tage am Stück performt und den Laden von Grund auf umgekrempelt (lacht). Normalerweise machen so etwas nur Leute wie Celine Dion, Santana oder Elton John. Aber uns war von Anfang an klar, dass wir da auch sehr gut reinpassen würden.

Momentan seid ihr mit den Black Veil Brides und Slash in Europa unterwegs. Auch eine dicke Nummer, oder?

Alles ist wichtig. Jedes Konzert hat seine Berechtigung. Es spielt keine Rolle, ob Las Vegas oder Mönchengladbach. Die Shows gerade laufen super. Außerdem haben wir das erste Mal Tommys Rollercoaster mit an Bord. Die Leute hier fahren da voll drauf ab.

Ihr seid die einzige Band, die ihren Drummer und sein Arbeitsgerät als Hauptattraktion während einer Show auserkoren hat. Wieso eigentlich?

Nun, zunächst einmal denke ich, dass wir auch noch eine ganz Menge anderer Dinge auf der Bühne zu bieten haben. Wir haben neben einem reichhaltigen Fundus an Rock'n'Roll-Hits auch massenhaft Pyros und nette Girls mit dabei (lacht). Aber du hast natürlich Recht. Tommys Schlagzeug-Part ist nun mal der ultimative Kick während einer Crüe-Show. Das hat sich einfach so entwickelt.

Tommy ist von Natur aus jemand, der gerne Grenzen auslotet. Einfach nur auf seine Kessel einzuprügeln, reicht ihm halt nicht. Wenn man letztlich sieht, was für ein Spektakel über die Jahre daraus geworden ist, kann man das, glaube ich, auch gut verstehen.

Nach dieser Tour geht es wieder zurück nach Hause, wo Ende Juli die Herren von Kiss auf euch warten, um gemeinsam mit euch die Stadien zu rocken. Zu dieser Konstellation kam es schon einmal vor dreißig Jahren, richtig?

Ja, wobei die Ausgangslage diesmal eine etwas andere ist. Damals war die Tour mit Kiss unsere erste große Reise überhaupt. In großen Hallen vor Tausenden Leuten zu spielen, das kannten wir noch nicht. Wir schliefen in schicken Bussen und es gab ordentliches Catering. Das war nochmal ein besondere Antrieb für uns, den Karren weiter anzuschieben, verstehst du?

Wir waren Paul und Gene sehr dankbar für die Möglichkeit, vor ihnen spielen zu dürfen. Bei der kommenden Tour wird allerdings alles ein bisschen gerechter verteilt (lacht). Beide Bands werden ein komplettes Set spielen. Wir werden zwar eröffnen, aber es läuft dennoch unter dem Banner: Co-Headlining-Tour. Wir freuen uns auf jeden Fall schon tierisch darauf, denn Kiss und Mötley Crüe zusammen auf einer Bühne verspricht Entertainment pur.

"Wir werden uns schon nicht die Köpfe einrennen"

Es gibt einige Leute, die behaupten, dieses Package sei bewusst zusammengestellt worden, um genug Leute in die Hallen zu locken. Ist dem so?

Ich glaube, dass beide Bands gerade in der jüngeren Vergangenheit bewiesen haben, dass sie auch ohne einen gleichberechtigten Live-Partner in der Lage sind die großen Arenen füllen. Ich meine, guck' dir doch einfach die nackten Zahlen an! Also, ich konnte auf unserer letzten Tour und auch in Vegas kaum mehr freie Plätze ausmachen. Und die Zahlen der letzten beiden Kiss-Tourneen sprechen ebenfalls Bände.

Natürlich spielt auch irgendwo Geld eine Rolle. Das will ich gar nicht verleugnen. Aber in diesem Fall steht das Happening absolut im Vordergrund. In punkto Spektakel wird es diesen Sommer nichts Vergleichbares auf amerikanischen Bühnen zu sehen geben. Das kann ich dir versprechen.

Da haben die meisten Fans hierzulande aber recht wenig von. Gibt es Pläne, beide Bands im nächsten Jahr vielleicht auch nach Europa zu bringen?

Nun, es gibt Gerüchte, dass dahingehend wohl schon einige Gespräche stattgefunden haben sollen. Aber Genaueres kann ich dir dazu leider nicht sagen. Es wäre natürlich toll, wenn das klappen würde. Wir werden sehen.

Es ist kein Geheimnis, dass beide Bands über ausgeprägte Charaktere verfügen. Leute wie Gene Simmons oder Tommy Lee stehen gerne uneingeschränkt im Vordergrund. Birgt da eine Co-Headliner-Tour nicht auch Gefahren?

Natürlich weiß man nie was passieren wird. Aber wir reden hier von zwei Bands, die gut miteinander auskommen. Ich würde Gene und Paul sogar als Freunde bezeichnen. In erster Linie geht es aber um Respekt. Beide Bands wissen genau, was die andere Seite bisher geleistet hat. Kiss waren damals einer der Gründe, warum wir überhaupt angefangen haben, Musik zu machen.

Andersrum ist Tommy Thayer ein großer Fan von uns. Das passt menschlich, denke ich, schon ziemlich gut. Und über die musikalische Verbindung müssen wir nicht diskutieren. Es geht beiden Bands um puren Rock'n'Roll mit reichlich Attitüde und entsprechendem Rahmenprogramm. Wir werden uns schon nicht die Köpfe einrennen (lacht). Ich glaube wirklich, dass wir alle eine Menge Spaß zusammen haben werden.

Kiss werden auf der Tour aller Wahrscheinlichkeit nach den einen oder anderen Song ihres kommenden neuen Albums "Monster" live antesten. Wie sieht es da bei euch aus? Wann gehts wieder ins Studio?

Wir haben bereits einen Song aufgenommen. Im Moment fehlt uns aber einfach die nötige Zeit, um komplette Recordings in Angriff zu nehmen. Mal schauen, wie es nach der Kiss-Tour aussieht. Ich denke aber, dass wir spätestens im nächsten Jahr in die Gänge kommen werden.

Dann holt ihr 2013 also zum Doppelschlag aus? Neues Album und der "The Dirt"-Film?

Ja, so sieht zumindest die grobe Planung aus.

Nikki Sixx geht davon aus, dass der Film euch einen Oscar bescheren wird. Was glaubst du?

Oh, so weit denke ich noch nicht. Aber Nikki hat eigentlich immer ein gutes Gespür dafür, ob etwas klappt oder nicht (lacht).

Tommy buhlt seit einigen Wochen um die Dienste von Johnny Depp. Wie sieht es da bei dir aus? Wen würdest du im Film gerne in deiner Rolle sehen?

Oh, keine Ahnung. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Wir werden demnächst in die Pre-Production gehen und dann werden wir Nägel mit Köpfen machen. Es gibt jedenfalls schon eine Menge aussichtsreicher Kandidaten in Bezug auf die Rollenverteilung vor und hinter der Kamera. Aber, wie gesagt: Unterschrieben und eingetütet ist noch nichts. Wir werden auf jeden Fall eine wichtige Rolle bei der Produktion übernehmen, so dass gewährleistet wird, dass unsere Vorstellungen auch so exakt wie möglich umgesetzt werden. Das ist uns sehr wichtig.

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