Mike Oldfield - "Ommadawn"

Mit "Tubular Bells" hatte Mike Oldfield die letzten Zweifel ausgeräumt: Es gibt gar nicht einmal so wenig Publikum für komplexe Instrumentalmusik. Deswegen lieferte er die auf "Hergest Ridge" erneut, und auf "Ommadawn" gleich noch einmal, hier nun abwechslungsreicher als je zuvor. Hätte ihn das Vinylformat nicht gezwungen, sein Werk zweizuteilen: Wahrscheinlich hätten wir es am Stück serviert bekommen. So aber kommen wir doppelt in den Genuss, zu beobachten, wie aus einfachen Melodien Lage um Lage, Schicht um Schicht ein immer verästelteres Soundgespinst erwächst. Wiederkehrende, widerstreitende musikalische Motive begegnen sich am Ende in einem großen gemeinsamen Finale und schaukeln sich zu ungeahnten Höhen hoch, ehe sie sich ineinander auflösen.
Als Kuriosum hängt am Ende von "Ommadawn Part 2" "On Horseback" an, ein Liedchen übers Reiten mit Kinderchor. Das hatte ursprünglich noch nicht einmal einen Titel zugedacht bekommen, Oldfield nannte es den "Pferdesong". Ihn wie die beiden Hauptteile von "Ommadawn" komponierte und produzierte er im Alleingang, und auch die meisten Instrumente spielte er selbst ein. Ausnahmen bestätigen wie so oft die Regel: Für die afrikanischen Trommeln vertraute Oldfield zum Beispiel auf die südafrikanische Combo Jabula. Die Uilleann-Pipes, eine irische Variante des Dudelsacks, bläst Paddy Moloney.
Irisch scheint überhaupt so ein Ding auf "Ommadawn" zu sein: Auch für den mysteriösen Titel bedient sich Oldfield im Gälischen, er lehnt sich an "amadán" an, was sich in etwa mit "Trottel" oder "Narr" übersetzen lässt. "Tá mé an amadán ag ceol", eine der wenigen überhaupt enthaltenen Textzeilen, bedeutet entsprechend "Ich bin der Depp, der singt". Oder so ähnlich, so wahnsinnig eng sah das Mike Oldfield aber gar nicht. Er war, so schrieb er in seiner Autobiografie, viel mehr auf Klänge aus als auf verständliche Lyrics.
Kurz nach Beginn der Arbeiten an diesem Album starb Mike Oldfields Mutter. Sich in die Arbeit zu stürzen, erinnert er sich später, sei seine Art und Weise gewesen, mit seiner Trauer klarzukommen und den Verlust zu verarbeiten. Mit diesem Wissen wirken die dramatischen Passagen noch dramatischer, während die leichtfüßigen, fröhlichen Stellen noch heller glitzern.
Der erste Teil war eigentlich schon fertig aufgenommen, als ein technischer Defekt während des Aufnahmeprozesses das Masterband unbrauchbar machte. Nachdem alle Rettungsversuche fehlgeschlagen waren, blieb nur, das komplette Stück noch einmal einzuspielen. "Zuerst war ich deswegen deprimiert", so Oldfield. "Aber dann hat irgendetwas in mir klick gemacht und ich habe kapiert, dass die ersten Takes die perfekten Probeläufe für die wirklichen Aufnahmen gewesen sind. Plötzlich fielen alle musikalischen Teile an ihren Platz, und das Ergebnis klang grandios." Fürwahr. Offenbar steckt tatsächlich in jedem Mist etwas Gutes. Man muss es nur finden.
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