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David Keenan: Eine Impfung zum Schutz gegen das geisttötende Leben, wie es an der Westküste Schottlands praktiziert wird

Worum geht's?

Um die schottische Kleinstadt Airdrie und die Gestalten, die sich dort Anfang der Achtziger herumtreiben. Im Zentrum steht dabei die fiktive Band Memorial Device und deren Sänger Lucas Black. Die narrative Struktur des Romans ist ungewöhnlich: Ross Raymond ist Autor eines Fanzines und macht es sich zur Aufgabe, eine Biographie der Band zu erstellen. Dafür führt er 26 Interviews und Gesprächsprotokolle, mit all den Außenseitern, Verrückten und Verlorenen, deren Weg den von Memorial Device kreuzte. Da ist zum Beispiel die Pornodarstellerin Vanity, die mit ihrem Freund experimentelle Industrial-Tapes vertreibt, die sie während des Geschlechtsverkehrs aufnehmen, oder der Vater eines Bandmitglieds, der sich aufgrund seiner Theorie von Raum und Zeit die Hoden entfernen lassen will, oder die Band Chinese Moon, die Schaufensterpuppen für sich auftreten lässt und trotz ihres Erfolges nur eine Woche existiert.

"Eine Impfung zum Schutz gegen das geisttötende Leben, wie es an der Westküste Schottlands praktiziert wird" erzählt vom Mikrokosmos der Kleinstadt, in dem gerade wegen deren Enge und Perspektivlosigkeit für eine gewisse Zeit die Freiheit entsteht, alles zu tun, was man möchte. Der Kniff, die Geschichte über aneinandergereihte Notizen zu erzählen, ist die große Stärke und die große Schwäche des Romans: Anfangs wirkt die Struktur innovativ und man ist auf jeden weiteren Charakter neugierig. Irgendwann überwiegt die Wiederholung, denn alle scheinen auf die gleiche Art kaputt zu sein und die einzelnen Stimmen unterscheiden sich nicht genug, um die Spannung durchgehend aufrechtzuerhalten.

Wer hat's geschrieben?

David Keenan ist ein schottischer Musikjournalist und kennt sich bestens aus im obskuren Underground der 80er Jahre. Er schreibt regelmäßig für The Wire, und hat auch das Buch "Englands Hidden Reverse: A Secret History Of The Esoteric Underground" verfasst, in dem es um die experimentellen Bands Coil, Current 93 und Nurse With Wound geht. "Eine Impfung zum Schutz gegen das geisttötende Leben, wie es an der Westküste Schottlands praktiziert wird" ist sein erster Roman.

Wer soll's lesen?

Menschen aus der Kleinstadt. Menschen, die in den 80ern groß geworden sind oder es gerne wären. Jeder, der eine Affinität zum Kaputten, Dreckigen oder Abgelegenen hat und alle, die den Post-Punk-Sound jener Zeit besser kennen lernen wollen, denn dem Roman ist ein umfangreiches Register angehängt, das alle assoziierten Künstler und Bands auflistet.

Das beste Zitat:

Fast jedes Kapitel enthält Zitierfähiges, aber die Begründung des Fanzineschreibers Ross Raymond zu Beginn des Buches, eine Biografie zu schreiben, fasst den Spirit der Erzählung sehr gut zusammen: "Ich hab's getan, weil es einen Augenblick lang, als alles unmöglich schien und alle alles gemacht haben, gelesen, zugehört, geschrieben, Sachen entworfen, Poster geklebt, sich Notizen gemacht haben, umgekippt sind, gekotzt und geprobt und immer weiter geprobt haben, um zwei Uhr nachmittags in dunklen fensterlosen Räumen – weil es damals danach aussah, als läge die Zukunft direkt vor uns und wir sollten lieber darauf vorbereitet sein. Und jetzt ist sie schon elende Vergangenheit. Wenn ihr die Wahrheit wissen wollt – deshalb hab ich's getan."

Wertung: 4/5. Text von David Baldysiak

David Keenan - Eine Impfung zum Schutz gegen das geisttötende Leben ..., Liebeskind, 320 Seiten, gebunden, 22 Euro

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