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Bobby Gillespie - "Tenement Kid"

Worum gehts?

Um den märchenhaften Aufstieg eines schüchternen Jungen aus der schottischen Arbeiterklasse, der sich zunächst nichts sehnlicher wünscht, als Fußballprofi zu werden, bevor ihn der Rock'n'Roll in Gestalt der 7"-Single "God Save The Queen" heimsucht, die er 1977 in John Peels Sendung hört. Ab diesem Moment ist Bobby Gillespie nicht mehr derselbe und taucht ein in die Welt der Plattenläden, Fanzines und Rock-Konzerte, die seinen Außenseiterstatus im sozialen Umfeld nur noch steigern.

Besonders eindrücklich gelingt ihm bereits die Schilderung seiner Kindheit zwischen trist-grauen Häuserfassaden eines Armutsviertels, wo er mit seinem Bruder die unglückliche Ehe seiner Eltern ertragen muss. Politisch geschult wird er von seinem sozialistischen Vater, dessen Aufstieg vom einfachen Fabrikarbeiter zum westschottischen Gewerkschaftsfunktionär bereits früh mehrere Erkenntnise in ihm fördert: Es lohnt sich, für eine Idee zu kämpfen. Und: Ein Job kann auch eine Berufung sein.

Die besten Musikerinnen-Autobiographien zeichnen sich dadurch aus, dass man sich nicht schon auf Seite 1 wünscht, endlich auf Seite 100 zu sein, wenn die erste Single erscheint. In dieser Hinsicht steht Gillespies Buch in einer Reihe mit den fantastisch erzählten Memoiren von Kim Gordon oder Alan McGee, von dem noch zu sprechen sein wird. Wie man sich seine Punk-Geisteshaltung bis ins höhere Alter bewahrt, belegt der mittlerweile 61-jährige Primal Scream-Sänger mit Ehrlichkeit und stilbewusster Eleganz.

Wer hats geschrieben?

The man himself. Wer Interviews mit Bobby Gillespie kennt, weiß natürlich, dass einen hier alles andere als ein verherrlichendes Drogenmanifest von einem fertigen Rock'n'Roller erwartet - in den 90er Jahren lange Zeit das öffentliche Image seiner Band Primal Scream. Courtney Love nennt seine Geschichte auf dem Cover "das Märchen des Oliver Twist des Rock'n'Roll" und bringt seinen Lebenslauf damit gut auf den Punkt.

Wer solls lesen?

"Tenement Kid" ist ein Buch für Musik-Liebhaberinnen, Vinyl-Nerds und Rock-Historiker. Ganz einfach weil Gillespie selbst der Allergrößte ist. Seine Alltagsschilderungen des Lebens in einer heruntergekommenen Industriestadt Anfang der 80er Jahre mit ihren deprimierenden Berufsaussichten für Mitglieder der Arbeiterklasse, die konfessionellen Abneigungen, die bis auf den Fußballplatz reichen (Rangers vs. Celtic) und die sonstigen Herausforderungen der Straße, prägt vor allem von eins: Wut. Es ging schlicht und ergreifend darum, aufzupassen, nicht den Schädel eingeschlagen zu bekommen. Punkrock ist für ihn nur der Einstieg in ein Universum voller obskurer Singles und Compilations, die ihn bis in die Tiefen der Psychedelic-Rock-Geschichte führt.

Hervorzuheben ist Gillespies Erzähltalent. Was der Mann allein an Anekdoten über die Indie-Szene der 80er zutage fördert, lässt ein lebendigeres Bild entstehen als so manche TV-Doku. Seine Bekanntschaft mit dem späteren Creation-Records-Boss Alan McGee, noch so ein spleeniger Außenseiter, führt letztlich zum Erfolg der Band The Jesus And Mary Chain, mit denen Gillespie zum Profimusiker wird. Neben den erwartungsgemäß spannenden Innenansichten seiner nach "Screamadelica" gehypten Rockband und dem ganzen Wahnsinn um die Acid House-Bombe "Loaded" begeistert seine schlichte Liebe zur Musik, die sich auch in Konzerterinnerungen widerspiegelt. So preist er die New Order-Tournee zu "Power, Corruption And Lies" als eine seiner besten Live-Erfahrungen und flicht immer wieder witzige Dialoge ein, etwa seine erste Begegnung mit New Order-Manager Rob Gretton. Als der junge Bobby ihn nach Manchester United fragt, ledert Gretton unsanft zurück: "Verpiss dich! Niemand aus Manchester ist United-Fan. Ich bin City." Gillespies damalige Band The Wake durfte dann trotzdem auf seinem Fußboden übernachten.

Das beste Zitat:

"Jedes Mal, wenn man einen neuen Song schreibt, ist man aufgeregt und denkt, das ist der beste Song der je geschrieben wurde. Dann nimmt man ihn auf. Ein paar Jahre später hörst du ihn dann zufällig irgendwo und denkst dir: 'Diese Zeile hätte ich besser machen können', 'Das Gitarrenriff ist nicht so besonders' oder 'Das Arrangement ist völlig daneben', und so weiter, ad infinitum. Es ist immer ein work in progress. Dieser Prozess hört nie auf und ist dadurch immer wieder faszinierend. Das ist der Grund, warum wir immer wieder neue Sachen machen, weil die alten Sachen nie wirklich zufriedenstellend sind."

Wertung: 5/5

Text von Michel Schuh

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