Wie ein Punk-Kid Oasis entdeckt und mit dem plötzlichen Ruhm umgeht: Das 90er-Manifest des Creation-Labelchefs.
Glasgow (rnk) - "Ich habe Ihre Anschriften überprüft, und sie lebten irgendwo im Nirgendwo? Was hat es damit auf sich?", fragt ein verstörter Bank-Sachbearbeiter Alan McGee im Jahr 2013. Eine sehr gute Frage, die der Schotte nur knapp beantwortet: "Da hätten sie damals dabei sein müssen." Der umtriebige Manager war dreißig Jahre im Musikbusiness und erlebte als Boss von Creation Records, Entdecker von Oasis und Manager der Libertines permanenten Wahnsinn, teilweise sogar selbst als Hauptfigur.
Das rothaarige Energiebündel war in den 1990er Jahren mindestens so viel Pop-Star wie seine Bands, von denen immerhin fast alle eine Weltkarriere hinlegten oder zumindest bis heute kultische Anbetung erfahren. Nach sieben Jahren erscheint nun endlich McGees Autobiografie unter dem Titel "Randale, Raves und Ruhm" (Matthes & Seitz Berlin, 358 Seiten, gebunden, 24 Euro) auf deutsch - passend zur Verfilmung "Creation Stories" von Danny Boyle, die im Frühjahr in Großbritannien anlief. Ein Termin für Deutschland steht noch aus.
Seine spektakuläre Karriere beginnt in keiner Weltstadt oder Elite-Uni für BWLer. Alan McGee ist ein typisches Punk-Kid, das auf die Glasgow Rangers abfährt und natürlich selber irgendwann mal ein Star werden möchte. Als Lagergehilfe erduldet er einen nervigen Leiter, der ihn stets drangsaliert und dem er als Dank noch Jahre später Postkarten von seinen Tourneen aus Paris, New York oder Tokio sendet. Solche lustigen Anekdoten finden sich in seinem sehr launigen Buch en masse, aber gerade das erste Kapitel beschreibt den DIY-Ehrgeiz eines Working Class-Kindes mit unbändig hohem Level an Self Empowerment. Erfolgreich laufende Indie-Clubs werden gegründet, später folgt Creation Records.
Doch das reicht alles nicht. Der ehrgeizige Entrepreneur verspürt keine Lust, 20 Platten an ein paar Hardcore-Fans zu verticken, sondern möchte trotz Punk-Sozialisierung an den verdammten großen Kuchen und gerne auch die Weltherrschaft. Eine selbstbewusste Einstellung, die der Musikpresse gefällt und einen Gegensatz zu Rough Trade bildet, die Alan als "Arme-Suppen-Arschlöcher" bezeichnet. Diese Ansicht bleibt aber stets flexibel. Mal möchte er den Weltruhm, dann bezeichnet er Creation als Indie-Bollwerk gegen den Mainstream.
Von Shoegaze zu Weltruhm mit Oasis
Die zweite perfekte Beziehung neben Oasis dürfte McGees ewige Freundschaft mit Primal Scream-Sänger Bobby Gillespie sein, den er schon seit Kindestagen kennt. Er entdeckt Jesus And Mary Chain, die Creation Records erste große Aufmerksamkeit und desaströse Live-Auftritte bescheren: "Meine Zeit mit Jesus And Mary Chain war eine gute Übung was das Managen von Bands betrifft, denn härter hätte kein Anfang sein können." Sollten seine Beschreibungen über die zwei dauerdepressiven Teenager stimmen, dann glaubt man ihm das sofort.
Und doch zeichnet den auch nicht gerade einfachen Alan McGee aus, dass er sich schwierigen Charakteren annimmt und sie für den Markt spannend macht. Kevin Shields, manischer Perfektionist von My Bloody Valentine, verzögert 1991 immer wieder die Veröffentlichung von "Loveless", dass Unsummen an Budget und Nerven draufgehen. McGee kann es später selbst nicht fassen, dass er den Eigenbrötler dazu brachte, rekordverdächtige zwei Alben auf Creation zu veröffentlichen. Das nächste Album "M B V" erscheint erst 17 Jahre (!) später. Die Erfindung des Musikstils Shoegazing geht jedenfalls auf die Kappe von Creation.
Und doch ist das alles nur ein Vorspiel für einen Moment, der die 90er Jahre nachhaltig beeinflusst. 1993 spielt McGees Freundin Debbie mit Sisters Lovers und 18 Wheeler einen Gig im Glasgower King Tut's, als Vorgruppe eine Band namens Oasis. Den Sänger nimmt Alan zunächst als Dealer wahr, denn "kein Musiker einer Band sieht so gut aus". Fun fact: Tony Wilson von Factory Records lehnte die Band zuvor ab, weil er sie zu "leierig" fand. Creation macht Oasis zur erfolgreichsten britischen Band des Jahrzehnts.
Der Schotte, der wegen Drogeneskapaden und Burnouts schon aus dem Business aussteigen wollte, spürt bereits nach ein paar Sekunden, dass "(What's The Story) Morning Glory" kein normales Indie-Album mit Potenzial, sondern ein gewaltiges Erdbeben ist. Der dadurch ausgelöste Britpop-Hype erweist sich erst als Segen, kehrt sich aber zunehmend ins Gegenteil um. Dass Blur sich auf den Battle Of Britain einlassen, öffnet Oasis erst den Weg zum Weltruhm. Diesem Fokus auf die neue Platinkuh fallen die anderen Bands zu Opfer.
Creation als familiäres Indie-Label funktioniert mit diesem Mega-Erfolg nicht mehr. Was damals keiner ahnt: Man ist nicht nur bereits am Höhepunkt, sondern schon am Ende. Smarte Politiker wie Tony Blair nutzen den Hype um britische Bands für ihre Kampagne geschickt aus, während ehemalige Genre-Größen wie Blur oder Pulp den Sound ihrer nächsten Alben bewusst von ihren Britpop-Wurzeln entfernen. Oasis nehmen noch ein Koks-Album auf und kommen nie wieder an Verkaufszahlen der ersten beiden Alben heran. Creation, einst aus Punk-Ethos angetreten, wird schon Ende der 90er aufgekauft.
McGee, der keinen Nerv mehr auf die herkömmliche Industrie hat, zeigt mit der Gründung des Internet-Labels Poptones noch mal den richtigen Riecher, ist aber einige Jahre zu früh dran. Itunes und später die Streaming-Dienste besitzen mehr Knowhow und Budget für die damals zu bekloppte Idee, Musik nur digital und herkömmliche Plattenläden-Strukturen anzubieten. Nach dem anschließenden Flop des Labels ist er erst einmal froh, dass ihm eine aufstrebende Band namens The Libertines den Managerposten anbietet.
Die vielen Warnungen aus der Branche über die Chaoten schlägt er aus dem Wind, er hatte schließlich Oasis überlebt. Doch solch einen ständigen Drang nach Selbstzerstörung und Rivalität wie bei Barât und Doherty hat selbst der Routinier noch nicht erlebt. Oasis tauchten immerhin im Studio auf, die Libertines unkontrolliert überall, aber eben meistens nicht am vereinbarten Ort. Das zweite Album "The Libertines" kommt 2004 praktisch nur noch wegen des massiven Einsatzes von Alan McGee zustande, der die komplett dysfunktionale Band gerade noch so am Leben hält.
Den 12. September 2008 gibt McGee im Buch als Datum für seinen Ausstieg aus dem Musikgeschäft an, aber ein Blick auf Wikipedia genügt und schon liest man von der Gründung eines neues Labels sowie von Creation Management, das junge und aufstrebende Künstler betreut. Der Mann kann einfach nicht loslassen, genau wie der Leser selbst, der hier Spannendes aus einer Ära erfährt, die so nicht wieder kommt. Ohne McGees aufopferungsvolle Leidenschaft und den Glauben an Außenseiter sähe die britische Musiklandschaft heute komplett anders aus.
Alan McGee: Randale, Raves und Ruhm*
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2 Kommentare mit einer Antwort
Wird geguckt, nice!
"Oasis nehmen noch ein Koks-Album auf und kommen nie wieder an Verkaufszahlen der ersten beiden Alben heran."
"be here now" ist m.E. ein gutes Album. Nicht so genial wie die beiden Vorgänger, ok, aber durchaus gut. Finde es schade, dass es immer nur als Koks-Album wahrgenommen wird.
Der Film ist leider Vollschrott. Als Ergänzung zu McGees Buch kann ich noch das sehr gute "The Creation Records Story" von David Cavanagh empfehlen.
Hätte mir von dem Film auch nicht viel versprochen, aber das Buch reizt mich als alten Creation-Jubelperser gerade schon. Taugt das?