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Philipp Kause

In den 70ern schrieb man die Intertextualität von LP-Cover und Sound groß. Die Allah-Las treten mit der Fotografie von "Zuma 85" und einem atmosphärischen Konzeptwerk in die großen Artpop-Fußstapfen. Aus den späten Seventies stammt die Abbildung des kalifornischen Fotostars John Divola, der zahlreiche solcher verlassenen Hütten an der Küste des Zuma Beach mit seiner Kamera einfing. "Menschengemachtes Chaos versus natürliche Schönheit der West Coast", fasst Allah-La Matthew Correia die Frontansicht in Worte. Schroffe Garage-Riffs, weiche Vocoder-Loops, verträumt gehauchte Gesänge, Amplifier-Brummen und geräuschhafte Field Recordings prallen auf der Platte aufeinander. Träumen lassen indes auch Death And Vanilla aus der schwedischen Hafenstadt Malmö.

Meine Plätze zwei, sechs und neun erhalten schon in den Redaktions-Top 50 viel Lob, mit dem Unterschied, dass Queen Omega auf einem Mini-Label und Raye ohne Label viral gingen und Natalie Merchant noch auf die klassische Marketing-Power eines Major-Riesen setzt.

Soulig und funky gesehen, bot vor allem die Jahresmitte eine Reihe an Highlights. Von der Londonerin Izo Fitzroy im April über Bantus rheinländisch-nigerianische Protest-Power im Juni bis zu Joy Denalanes Nostalgie-Trip Anfang Oktober gilt aber meist: Was in den 70ern funktionierte, kann jetzt nicht falsch sein. Bei Bassistin und Saxophonistin Ray Lozano lebt der R'n'B der mittleren 90er auf, bei Englands Rapperin Speech Debelle der Boom-Bap derselben Ära. Durand Jones und Meshell Ndegeocello wagen dagegen je ein Ohr über den Tellerrand hinaus. Sie lassen ihre Alben-Strukturen lieber in schwer zusammensetzbare Puzzles zerbröckeln und riskieren unerwartete Hinhör-Momente inmitten des Harmonischen.

Da unsere Votings ja auch in ein Punktesystem einfließen, ist mein gezieltes Weglassen mancher chancenlosen Scheibe taktischem Wahlverhalten geschuldet. Sabrina Bellaouels arabisch inspirierter Electro-Soul "Al Hadr" sei hier jenseits aller Rankings ebenso erwähnt wie Jamila Woods übersprudelndes R'n'B-Experimentlabor "Water Made Us" - beides sehr sympathische Semi-Geheimtipps von Anfang und Ende des Jahres.

Auf eine Reihe alter Herren war unerwartet Verlass, nein, ich meine nicht Westernhagen (75 geworden) und Michael Holm (80), die ihre Senioren-Werkschauen präsentierten. Die kalifornischen Night Ranger nehmen ihr Genre 'Classic' Rock wörtlich und spielten alte Großtaten mit Orchester sowas von gut neu ein, dass für mich keine neue Rockplatte mithält. Nicht einmal die von Gov't Mule, die aber ebenfalls eine geniale Instrumentierung mit Mut zu langen Soli und elegischen Stücken zeigt. John Mellencamp legt eines seiner stilvollsten, besten, tiefgehendsten Alben vor: einen Diamanten des Americana-Milieus mit scharf geschliffenen Texten und einer wüstenhaften, seltsamen Atmosphäre, die nach dem Hören lange hängen bleibt wie ein starker Road Movie.

  1. Allah-Las - "Zuma 85"
  2. Queen Omega - "Freedom Legacy"
  3. Raye With The Heritage Orchesta - "My 21st Symphony - Live At The RAH"
  4. Speech Debelle - "Sunday Dinner On A Monday"
  5. Night Ranger With Contemporary Youth Orchestra - "40 Years And A Night"
  6. John Mellencamp - "Orpheus Descending"
  7. Raye - "My 21st Century Blues"
  8. Izo Fitzroy - "A Good Woman"
  9. Natalie Merchant - "Keep Your Courage"
  10. Various Artists - "SJR Presents Holy Church - A Higher Power: Gospel, Funk & Soul At The Crossroads 1971-83"
  11. Bantu - "What's Your Breaking Point?"
  12. Ray Lozano - "Pairing Mode"
  13. Death and Vanilla - "Flicker"
  14. Joy Denalane - "Willpower"
  15. Durand Jones - "Wait Til I Get Over"
  16. Gov't Mule - "Peace Like A River"
  17. Les Mamans Du Congo & Rrobin - "Ya Mizolé"
  18. Nita Strauss - "The Call Of The Void"
  19. Inna De Yard - "Family Affair"
  20. Meshell Ndegeocello - "The Omnichord Realbook"
  21. Black Pumas - "Chronicles Of A Diamond"
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