Hilker, Pehlemann, Ulrich, Wagner (Hg.) - "Power von der Eastside!"
Worum gehts?
Obacht! "Power von der Eastside!" erscheint erst am 6. Dezember. Dankenswerterweise durften wir die Druckfahnen vorab zwar bereits einsehen. Ich möchte aus Transparenzgründen aber vorausschicken, dass die Zeit nicht mehr gereicht hat, um das ausufernde Material komplett zu sichten. Um festzustellen, dass es sich auf jeden Fall lohnt, hier noch nachzuarbeiten, hat es jedoch locker gereicht.
Das Thema ist einfach irre ergiebig: Dieses Buch erzählt die verschlungene Geschichte von DT64. Die Älteren unter uns, sofern im Osten oder im Zonenrandgebiet großgeworden, erinnern sich vielleicht nicht mehr an die Gründung des DDR-Jugendradios, bestimmt aber an die Aufregung, die 1993 seine Abschaltung begleitete. Der Sender, der sich explizit an die jugendlichen Arbeiter und Bauern richtete, nahm seinen Betrieb im namensgebenden Jahr 1964 auf, als Sonderprogramm, das das damalige Deutschlandtreffen der Jugend begleitete, eine von der FDJ der DDR organisierte (ja!) gesamtdeutsche Zusammenkunft von Jugendorganisationen.
Das Sendekonzept mit internationaler Musik und hohem Live-Anteil kam so gut an, dass der Sender die Veranstaltung überdauerte. Das "Sonderstudio Deutschlandtreffen 1964" mutierte zum "Jugendradio DT64" und funkte hernach über Mittelwelle und UKW in die komplette DDR und über den Minenstreifen hinweg auch in grenznahe West-Wohnzimmer.
DT64 überstand Gängelei, rigide staatliche Vorgaben und Zensur, irgendwie auch noch Wende, Mauerfall und sein eigenes für 1991 geplantes Ende. Zwei Jahre später jedoch gingen die Lichter doch aus: Obwohl die Wellen der Empörung hoch schlugen, wurde das Jugendradio am 1. Mai 1993 abgeschaltet. Dass der angebliche "Nachfolgesender" MDR Sputnik nicht mehr dasselbe war, war zu diesem Zeitpunkt längst allen klar.
Fast 40 Jahre (ost)deutsche Radiogeschichte über einen politischen Systemwechsel hinweg: Klar gibts da eine Menge zu erzählen. In "Power von der Eastside!" erledigt dies auf fast 400 Seiten eine Flut von Zeitzeug*innen. Bereits 1993 gaben Andreas Ulrich und Jörg Wagner "DT 64. Das Buch zum Jugendradio 1964–1993" heraus, es war allerdings ruckzuck vergriffen. Zum 60-jährigen Geburtstag des Senders erfährt die Geschichte nun eine ergänzte und erweiterte Neuauflage.
Wer hats geschrieben?
Wie gesagt, bündelt dieses Buch die Stimmen unzähliger Moderatorinnen, Senderverantwortlichen, Fans und Weggefährtinnen. Die Erinnerungen kuratiert, sortiert und herausgegeben haben Heiko Hilker (1991 bis 1993 bundesweiter Koordinator der DT64-Freundeskreise), Alexander Pehlemann (Ringer, Fanzine-Herausgeber, DJ, Autor und Netzwerker) und die Radiojournalisten Andreas Ulrich (Berliner Rundfunk, DT64, radioeins) und Jörg Wagner (DT64, Radio Brandenburg, radioeins, rbb Inforadio).
Wer solls lesen?
Alle, die sich für Radio und/oder deutsch-deutsche Geschichte interessieren: Willkommen im Eldorado.
Das beste Zitat: ... ist wahrscheinlich nicht wirklich das beste, ich bin ja noch nicht ansatzweise durch. Es umreißt aber das Thema ganz treffend:
"Hörfunk für Jugendliche war in der DDR vor allem DT64. Gegründet als temporäre Begleitwelle zum »Deutschlandtreffen der Jugend« zu Pfingsten 1964 in Ostberlin, wurde das Programm aufgrund seiner großen Resonanz seit Juni 1964 in das Nachmittagsprogramm des Berliner Rundfunks übernommen. Diese große Resonanz speiste sich u. a. aus der Ausstrahlung der bis dahin populären, offiziell aber verpöntenwestlichen (Beat-)Musik, aber auch aus den Berichten über das lebendige Geschehen dieses Jugendtreffens. Das Programm passte in den vorsichtigen Aufbruch der DDR nach dem Mauerbau und zu den kulturellen Liberalisierungstendenzen, die u. a. vom »Jugendkommuniqué« der SED vom September 1963 ausgingen. Die »Hausherren von Morgen«, so die Ansprache in diesem Dokument, sollten ihre Lebenslagen und besonderen kulturellen Ansprüche auch in der Medienlandschaft wiederfinden."
So sagtt Sozialpsychologe, Kommunikations- und Medienwissenschaftler Hans-Jörg Stiehler.
Wertung: 4/5 (in der begründeten Annahme, dass die zweite Hälfte den guten Eindruck der ersten nicht ruiniert. Komplette Review folgt.)
Text von Dani Fromm
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