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Sebastian Krumbiegel - "Meine Stimme"

Worum gehts?

Hauptsächlich gehts um zivilen Ungehorsam. Um Widerstand, Protest und Provokation oder auch um Lebenslagen, in denen jemand gekniffen hat, Courage zu zeigen. Der Autor erinnert sich an Erzählungen seiner Großmutter, Szenen mit Lehrern in der Schule, seine Armee-Zeit in der DDR bei der NVA und das Lebensgefühl kurz vor und nach dem Mauerfall.

Jedes der 15 Kapitel erzählt eine in sich abgeschlossene Geschichte. Das letzte greift den Krieg in der Ukraine auf, die meisten Kapitel liegen schon einige Zeit zurück. Sie lassen sich getrennt voneinander und in beliebiger Reihenfolge lesen und stehen miteinander nur über das übergeordnete Thema 'Autoritäten und Bedrohungen' im Zusammenhang. "Meine Stimme. Zwischen Haltung und Unterhaltung" streift Pegida und Antifa, AfD-Posts, Westfernsehen in der DDR, Szenen mit Schuldirektoren und Anekdoten aus dem familiären Umfeld.

Es ist ein Kessel Buntes, zwischendurch sind Liedtexte abgedruckt, etwa der des Titellieds aus "Die Demokratie Ist Weiblich". Das eine oder andere Foto lockert auf. Laut Vorwort, handelt das Werk vom politischen Gehalt von Musik und davon, als öffentliche Promi-Person eine unpopuläre Meinung kundzutun. Allerdings löst das Buch diese Ankündigung nicht ein, man findet mehr oder minder sortierte Lebenserinnerungen.

Wer hats geschrieben?

Sebastian Krumbiegel von der Gruppe Die Prinzen kam 1966 in Leipzig zur Welt und ging nicht gern zur Schule. Wie er ausführt, lagen ihm naturwissenschaftliche Fächer und Sport überhaupt nicht, das Schulsystem als solches war nicht sein Ding und der Staatsbürgerkunde-Unterricht in der DDR, den er "Rotlicht-Bestrahlung" nennt, schon gar nicht. Mit mittelmäßigen Noten in Sprachen und Musik hielt er sich über Wasser und bewerkstelligte dann irgendwie das Abitur.

Mit sieben begann er Cello zu spielen, in der Pubertät kamen Trompete und Trommeln dazu. Lange gehörte er zum Thomanerchor, bis man ihn kurz vorm Schulabschluss aus disziplinarischen Gründen rauswarf. 1984/85 absolvierte er anderthalb Jahre Pflichtdienst beim Militär, dann wurde ihm ein Studium an der Musikhochschule Felix Mendelssohn Bartholdy gestattet. Zur 'Wende' war er, wie er selbst sagt, mit seinen Chor-Freunden zur rechten Zeit am rechten Ort und trug zum Soundtrack der deutschen Wiedervereinigung bei. Auch in Österreich und der Schweiz vernahm man die ersten vier CDs der Prinzen mit großem Interesse und kaufte sie in die dortigen Top 20 hinein. Bei den Prinzen spielt Sebastian Klavier.

Seit 1997 veranstaltet er "Leipzig Courage zeigen!", inzwischen heißt es "Leipzig zeigt Courage", seit 1999 veröffentlicht er parallel zu den Prinzen auch Solo-Alben. Er übt eine riesige Zahl an Ehrenämtern aus und zeigt sich immer wieder im TV in Comedy-Rollen, etwa als Helmut Kohl. Krumbiegel kann Tenor singen und hat ein großes Talent als Stimmen-Imitator. 2017 veröffentlichte er "Courage zeigen – warum ein Leben mit Haltung gut tut". "Meine Stimme" ist die Neuauflage dieses Buchs.

Wer solls lesen?

Jeder, der sich für DDR-Geschichte interessiert, besonders aus der westlichen Perspektive. Krumbiegel holt einen da ganz gut ab. Jeder, der das Themenfeld Haltung gegen Rechtsextremismus und Co. nicht überdebattiert findet und dafür noch Platz im Kopf hat. Natürlich auch jeder, der selbst eine rechtsgeneigte Haltung hat, sich mal eine humorvolle Abhandlung aus linker Perspektive zu Gemüte führen und die eigene festgefahrene Position überdenken will. Jeder, der denkt, Kommunismus und gegen rechts zu sein bedeute dasselbe, und bereit ist, sich eines Besseren belehren zu lassen. Wer eine leicht lesbare Unterhaltung für zwölf Minuten Bahnstrecke sucht, flutscht schnell durch ein Kapitel durch. Ob man es braucht, wenn man "Courage zeigen" schon hat, ist die Frage, "Meine Stimme" ist sogar 24 Seiten kürzer. Wer keins der beiden Bücher besitzt, kann gleich zu der neuen Fassung greifen: "Meine Stimme" und "Courage zeigen" nehmen sich preislich nichts, und das 2017er-Buch scheint es nur noch gebraucht zu geben.

Nicht lesen sollen es alle, die sich über Die Prinzen neue Erkenntnisse erhoffen oder speziell auf ein Musik-Buch warten. Hier gibts zwar Lied-Texte, und hin und wieder wird auf Begegnungen mit anderen Musikern eingegangen. Doch zu 85 Prozent hat dieses Buch nichts mit Musik am Hut, sondern behandelt vor allem Aspekte der jüngeren Zeitgeschichte.

Das beste Zitat:

"Meine Großmutter Philine hat mir folgende Geschichte erzählt: Als sie am 9. November 1938, dem Tag der so genannten 'Kristallnacht', mit der Straßenbahn am Leipziger Zoo vorbeifuhr, sah sie, zusammen mit vielen andere Fahrgästen, wie eine Menschenmenge in das Flussbett der Parthe, einem kleinen Bach links neben dem Haupteingang getrieben wurde. Die Leute in der Straßenbahn drehten sich weg - das wollten sie nicht sehen, und meine Omi war eine von ihnen. Sie hat sich das nie verziehen, hat sich dafür geschämt, und genau das hat bei mir etwas ausgelöst (...) Sie war neunzehn (...) und vielleicht ist dieses junge Alter auch ein Grund dafür, warum sie (...) sich nicht aufgelehnt hat (...) Dass sie mir das alles so ungeschönt berichtet hat, also auch ihre Selbstzweifel und ihre Irrtümer uneitel offengelegt hat, das hat mir sehr geholfen."

Wertung: 3,5/5

Text von Philipp Kause

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