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Sophie Gilbert - "Girl vs. Girl"

Worum gehts?

Möglicherweise haben wir hier das wichtigste Buch über Popkultur, das in diesem Jahr jemand geschrieben hat, und, Obacht, es macht überhaupt keinen Spaß. Genaugenommen macht es abwechselnd traurig, frustriert und desillusioniert, und am Ende bleibt man stinkwütend zurück: Was, zur Hölle, ist passiert? Wie kann es sein, dass die über Jahrzehnte mühsam erkämpften Errungenschaften der Frauenbewegung vielerorts sang- und klanglos in Rauch aufgehen? Woher kommt, dass keineswegs nur Männer Frauen sexualisieren, objektifizieren, niedermachen und kleinhalten, sondern auch Frauen einander und vor allem sich selbst?

Auf der Suche nach Erklärungen seziert Sophie Gilbert die Popkultur der 1990er und Nullerjahre, die uns alle geprägt hat. Es geht um Körperkult, Bodyshaming und Diet Culture, um Sexiness und Fuckability als einzig gültige Währung, um Pornografie, die Verquickung von Sex und Gewalt, die kommerzielle Ausschlachtung weiblicher Körper, so lange sie sich den gängigen Schönheitsidealen unterwerfen. Falls nicht, bleibt das Skalpell, und die Verstümmelung verkaufen Männer den Frauen und die Frauen dann in alle Richtungen als "Selbstbestimmung" und "Empowerment".

Sophie Gilbert analysiert die Darstellung und Selbstinszenierung von Frauen in der Popmusik, in Filmen, im Fernsehen, in der Werbung, in den Sozialen Medien. Sie beleuchtet prägende Acts (wie Britney Spears, Madonna, die Spice Girls ...), Reality-Shows (wie "Big Brother" oder der "Bachelor") und TV-Serien (wie "Sex And The City"), Filme ("American Beauty", "The Swan"), und, und, und. Am Ende fragt man sich wirklich nicht mehr, woher es kommt, dass Frauen auf den Tradwives-Trend aufspringen, unrealistischen Ansprüchen nachrennen, sich bei OnlyFans verhökern, öffentlich gegen den Feminismus wettern und sich, statt einander zu unterstützen, noch gegenseitig in den Rücken fallen. Es ist ein fuckin' Trauerspiel.

Wer hats geschrieben?

Als Teil der Redaktion von The Atlantic schreibt Sophie Gilbert seit vielen Jahren über Popkultur, Musik, Filme, TV, Mode und Bücher. 2002 stand sie mit jedem Recht der Welt auf der Shortlist für einen Pulitzer-Preis. Die Idee zu "Girl vs. Girl" trägt sie, schreibt sie eingangs, schon seit 2020 mit sich herum. Den Anstoß, das Projekt tatsächlich anzugehen, gab eine politische Entscheidung: "Die Aufhebung von Roe v. Wade 2022, des Abtreibungsrechts, bezeichnete den greifbarsten Rückschritt der Frauenrechte seit fünfzig Jahren. Aus kultureller Sicht konnte man dem Motiv der Stunde nicht entkommen, und es zeigte sehr genau auf, wie klein unser aller Ambitionen geworden waren."

Die ganz hervorragend gelungene Übersetzung ins Deutsche verantwortete die Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Britta Fietzke.

Wer solls lesen?

Vor allem Frauen, die mit der Popkultur der 90er und Nullerjahre aufgewachsen, von ihr sozialisiert und geprägt worden sind. Um uns vor Augen zu führen, wie ausgiebig unser ganzes Selbstverständnis über Jahrzehnte hinweg in neoliberalem, sexistischen Bullshit mariniert wurde. Haben wir das Ausmaß der Manipulation erst erkannt, fehlt nicht mehr viel, um einen Riot loszutreten. Er wäre überfällig.

Das beste Zitat:

"Die Riot-Grrrl-Bewegung und die Spice Girls standen einander diametral entgegen: Erstere war organisch aus der Kunst erwachsen, die Frauen selbst machten, um als engagiertes, politisches Fandom Präsenz zu zeigen; die Spice Girls wurden wiederum von einem Vater-Sohn-Produzentenduo gegründet, das in einer Fachzeitschrift einen Aufruf für ein Vorsingen angekündigt hatte. Riot Grrrls waren eine kreative Erscheinungsform des Feminismus der dritten Welle; die Spice Girls wiederum Vorreiterinnen und Verkörperungen des Postfeminismus und dessen Botschaft: Der Feminismus war nun vorbei und hatte alles erreicht, was er erreichen musste, denn Frauen konnten jetzt anziehen, was sie wollten, und sich so schön machen, wie sie wollten; jede individuelle Entscheidung war nun empowernd, wenn sie dazu ernannt wurde; der Konsum war der Weg hin zur Selbstverwirklichung."

Wertung: 5/5

Text von Dani Fromm

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