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Babo-Story, Pt. 2

Abgesehen davon, neben ein paar anderen Kritiken, die andere besser als ich machen können: Als Musikjournalist bin ich auch ein bisschen angefressen darüber, wie wenig diese Doku über Haftbefehl als Rapper zu sagen hatte. Wir bekommen zwar gefühlt die ganze Industrie, die einmal eine Zeile veräußern darf, wie geil sie ihn finden. Aber das fühlt sich, ehrlich, an, als zwinge man mich am Anfang des Films 20 Minuten lang, eine endlose Liste an Blurbs auf einem Buchrücken zu lesen. Abgesehen von Marteria, der Haftis Sprache sehr treffend als ein "Ghetto-Esperanto" beschreibt, kommt da nichts bei rum.

Ansonsten kann man an einer Hand abzählen, wann wir wirklich in seine Arbeit und seinen Stil eintauchen. Wir bekommen 30 Sekunden über die "1999"-Reihe, wir hören einen sehr kurzen Abschnitt aus "Mann Im Spiegel", wenn es gerade zum endlosen Traumadumping passt, es wird immerhin in einem Nebensatz "Chabos Wissen Wer Der Babo Ist" erwähnt. Abgesehen davon, dass diese Doku uns endlos versichert, dass Haftbefehl wirklich ein ganz supertoller Künstler ist, hat sie über seine Kunst aber nichts zu sagen.

Schlimmer noch: Hafti selbst darf überhaupt nicht über Rap reden. Es geht sehr viel über eine therapiesprachige Leidensgeschichte, und, klar, das ist auch interessant und alles. Aber ich bin mir relativ sicher (auch, weil ich den Film mit meiner nicht sehr Deutschrap-affinen Freundin geguckt habe), dass jemand ohne vorige Kenntnis von Haftbefehl über diese Doku eine wahnsinnig verzerrte und seltsame Sicht darauf bekommt, was für ein Artist Hafti eigentlich ist.

Besagte Freundin dachte am Ende des Films, wir hätten es mit einem bluesy Straßenpoeten zu tun, der Rap benutzt, um das traumatische Leben auf den Straßen zu verarbeiten. Das ist im weitesten Wortsinn nicht unbedingt falsch, Hafti hat diese Facetten definitiv. Aber es ist eine geradezu groteske Verzerrung, wie sich sein Charakter und seine Kunst in der Öffentlichkeit entwickelt haben.

In meinen Augen ist das wichtigste an Hafti, dass er ein absoluter Vollasi-Dämon war, der der Mehrheitsgesellschaft jede Angst vor und jedes Vorurteil über gewaltbereite Ausländer gespiegelt und überdreht hat. Das ist doch überhaupt das Wesen von Gangster-Rap: Es ist die Kunst, der Boogeyman zu werden, der zu sein man dir ohnehin unterstellt. Dementsprechend ist Haftis primäre Emotion auch Wut, sein Medium of Choice der kernasoziale, stampfende Banger.

An dieser Front war Hafti musikalisch wahnsinnig innovativ und prägend. Ich hätte so gern ein paar Takte von ihm darüber gehört, welche Rapper ihn beeinflusst haben, wie er seinen Stil gebildet hat, was ihn wann zu welcher künstlerischen Entwicklung inspiriert hat. Aber diese Doku interessiert sich vor allem für exploitative Einzelschicksale, weniger für den Künstler, von dessen großer Kunst sie die ganze Zeit redet. Das frustriert mich ehrlich ganz schön.

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