"Wer Britpop sagt fliegt raus oder ist einfach nur schlecht wie Razorlight oder die Kooks."
Hagen (msd) - "Ärger liegt in der Luft": Der Musikkritiker Eric Pfeil erfährt vom Konzertveranstalter des Bruce Springsteen-Konzerts, dass seine Anwesenheit hier nicht erwünscht ist. Die Frage nach den Gründen quittiert er mit der Antwort, dass nur Tagespresse zugelassen sei. Der Meldung des Veranstalters folgt eine Mail des auftraggebenden Musikmagazins. Inhalt: Die Ausrichter des Konzerts verlangen einen anderen Autor, da man sich mit seinem Bericht vom Take That-Konzert nicht einverstanden erklärte. Der ratlose Autor führt sich nochmals den strittigen Text vor Augen. Der Bericht mit dem Titel "Wollt ihr den totalen Schrott?" liest sich im Kontext dieser Überschrift so, als wollten Take That eine Pop-Diktatur errichten. Er beschließt, die Sache ruhen zu lassen und die Ausladung hinzunehmen.
Ein Pop-Tagebuch
Eine Geschichte aus dem Alltag Eric Pfeils, die er in seinem Tagebuch "Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee: Die Poptagebücher" festhält. Pfeil, geboren 1969 in Bergisch Gladbach, produzierte die Musiksendung Fast-Forward, erweiterte sein Stil-Repertoire als Schreiber der Gala, Gag-Schreiber, schrieb für die Musikmagazine Musikexpress und Spex und hat nach eigener Aussage trotzdem noch Lieblingsbands.
Später verdiente er sich als seriöser Texter einiger Tageszeitungen. Seit 2006 ist er Freier Autor der F.A.Z. Mit dem Herannahen der Jahresmarke 40 ergründet er sein Verhältnis zur Musik neu und schreibt ein Pop-Tagebuch.
"Indie-verdrossener Musikjournalist"
Der Lebensinhalt des Musikkritikers konstituiert sich aus der Suche im Pop nach Welterklärung, Liebe und Trost. Er stellt sich das Selbstzeugnis als "Indie-verdrossener Musikjournalist" aus, der Liam Gallagher gerne in eine staatstragende Stellung wählte, weil der bei einem Konzert das Verbot aussprach, bei seinen Songs mitzusingen.
Damit trifft Eric Pfeil ins Schwarze. Der Autor schafft mit dem Buch eine Orientierungshilfe in der Verweishölle Pop am Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends. Er öffnet den Popdiskurs mit aktuellen Bandbeschreibungen sowie seinem Kritikeralltag und nährt ihn mit Konzertberichten. Der Leser findet eine prall gefüllte Wertetankstelle vor, an der es sich zu bedienen gilt.
Von "Provinzhedonisten und Seelenherpes"
Mal als literarische Dokumentation, nie nüchtern, immer vital und eloquent unternimmt der Kritiker eine Bestandsaufnahme. Das Ergebnis ist ein Manifest der Neologismen, ohne virulente Allgemeinplätze. Neben sprachlich genialen Wortneuschöpfungen wie "Lautstark müllender Parahiphop", "Seelenherpes", "Rucksackmädchen" und "Provinzhedonisten" gründet er in Gedanken die Musikpolizei, die bitte auch mal bei den Fans schlechter Bands vorbeischauen sollte.
Pfeil ergänzt die semidokumentarische Tagebuchform teils mit fiktiven Einschüben, in denen er sich als "fünfter Beatle" oder Besitzer eines "goldenen Bentley" gibt. Höhepunkt ist das Treffen mit der offiziellen weiblichen Leitung des James Blunt-& Mario Barth-Fanclubs an der Türschwelle, die zwei fein nachgezeichnete Feindbilder in einem vereint.
Eloquente Bestandsaufnahme
Der Beschreibung seiner Einstellung (Gut sind The Verve und Oasis, Singer/Songwriter mit Bart produzieren nur gefühlsaufgeblähte Nichtsongs, Frauen sind wie rückwärts gedrehte David Lynch-Filme) und attestierten Selbstzeugnissen ("Musikkritiker gelten wahlweise als Spielverderber, Besserwisser oder hässlich, oft trifft alles drei zu") handelt er in einigen Zeilen das Band-für-Afrika-Vorhaben ab ("Bündelung des gesamten Deutschrockschreckens im Dienste einer guten Sache").
Er nennt Gründe dafür, warum er über Musik schreibt und nicht selbst produziert (Lampenfieber, Ungeeignetheit für das Konzept 'Band', ungern tanzend vor Massen) und im Folgenden, in welchen Unformen Musik auftreten kann (Fahrstuhlmusik, Musik im OP oder beim Psychotherapeuten).
Flanieren durch den Pop-Äther
Gut gebrüllt, Löwe. Das Buch ist keine Bibel, aber empfehlenswert, um auf der 'anderen Seite' zu stöbern und einen neuen Beobachterstandpunkt zu eröffnen. Pfeil beobachtet aus geringer Distanz heraus mit gesunder Hybris und flaniert so durch den Popäther. Schon das Format des Tagebuchs lässt Objektivität nicht zu, die er auch nie für sich beansprucht.
"Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee" ist eine leichte Lektüre, die ergiebige Einblicke in das Leben des Musikkritikers im Dienste der Horizonterweiterung gibt. Seinen literarischen Musikexkurs beendet Pfeil mit einer Vorausschau, die etwa den Zeitraum des Bucherscheinungstermins trifft. Und den Leser so ins Jetzt zurückkatapultiert.
3 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
@MaxNiemann (« "Wollt Ihr das normale Sieb? Oder wollt Ihr das TOTALE SIEB?" »):
hach, die hab ich auch mal live gesehen.
tränende augen und schnappatmung garantiert
ich versteh kein wort, aber das ist hier wohl kein wunder oder?