Fotos/Review: Zaho de Sagazan live in Köln

Frankreichs neuer Chanson-Electro-Star begeistert im ausverkauften Palladium 4.000 Fans. Ein Nena-Cover gabs oben drauf.

Köln (rnk) - Es passierte an einem schwül warmen Nachmittag im August auf dem Rock En Seine-Festival im ruhigen Vorort Boulougne-Billancourt. Eigentlich wollte ich mir noch ein Bier vor dem nächsten Act genehmigen, stehe in der Schlange vor dem Getränkestand an und schaue erst mal gar nicht in richtung große Bühne. Zaho de Sagazan ließt man in der Info, irgendwas mit Chanson.

Die Dame interessiert mich zunächst nicht wirklich, wahrscheinlich wird es ein bisschen nach Brel oder Dutronc klingen. Künstler, die ich schätze, die aber nicht allzu oft auf meinem Plattenteller landen. Und dann kommt alles ganz anders.

Energie für ganz Paris

Plötzlich wummern technoide Sounds von der Bühne, als ich mich umdrehe, erblicke ich einen meterhohen Vintage-Synthesizer. Diese Dinger, die aussehen wie Telefonzentralen aus dem vergangenen Jahrhundert. Dann ein kleiner, blonder Wirbelwind, der die Bühne und gefühlt ganz Paris mit seiner Energie einnimmt. Es folgt ein Auftritt bis zur totalen Verausgabung: Hier passiert gerade etwas Einzigartiges.

Total begeistert rede ich mit einem Vertreter der Gen Z, der bescheinigt, dass Zaho gerade das Genre Chanson komplett auf den Kopf stellt. Seit ihrem Debüt "La Symphonie Des Eclairs" von 2023 ist sie auf dem Weg zum neuen großen Popstar Frankreichs. Was vielleicht über die Grenzen der Grande Nation hinaus fehlt, ist ein großer Hit wie "Alors On Danse” von Stromae, einem Megastar französischsprachiger Liedkunst.

Wo ist die Gen-Z?

Zaho de Sagzans aktuelle Europa-Tour ist trotzdem ausverkauft, die bisherigen Live-Review lesen sich begeistert. Entsprechend groß ist gestern Abend die Vorfreude. Und die frühlingshaften Temperaturen beim kurzen Spaziergang am Rhein vermitteln ja tatsächlich ein wenig Pariser Laissez-faire.

Ganz im Gegensatz zum Stahlmonster Palladium, auch bekannt als unbarmherziger Akustik-Killer. Support Ruth Lyon stört das kein bisschen. Mit einem großen, roten Filzhut sitzt sie am Klavier und beweist auch an der Geige ihr Talent. Das Publikum applaudiert höflich: Denn die Gen Z, die Zaho in Frankreich wieder zurück zum Chanson führt, ist heute Abend in Köln mehrheitlich nicht zu gegen. Statt Trucker-Frisuren sieht man eher ältere Semester, man denkt ein wenig an die Zeit, als gerade der Achtziger-Klassiker "La Boum" in die Kinos kam. Sie machen teils auch das, was Menschen in diesem Alter gerne auf Konzerte tun: Sehr schnell viel trinken und schon während des Support-Acts laut kommunizieren.

Ein janusköpfiges Set

Zaho de Sagazan, geboren 1999 und viel jünger als ihr Publikum, sitzt zum Einstieg am Klavier und trägt würdevoll "Le Fontane De Sang" vor. Ihre dunkle Stimme klingt, als hätte sie schon drei ganze Leben hinter sich hat. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier alles seinen klassischen Chanson-Weg geht. Das ändert sich abrupt mit den ersten technoiden Beats von "Aspiration": Zaho springt vom Klavier auf und stampft voller Inbrunst über die Bühne, als müsste sie ihre Dämonen besiegen.

So janusköpfig verläuft auch das weitere Set: ruhige Passagen und gerade zum Ende hin einen sehr tanzbaren Electro-Part. Die Zaho de Sagazan, die das Rock en Seine bis in die letzten Reihen elektrisiert hat, sieht man heute nicht, ein Merch-Stand fehlt übrigens auch. Die Französin wirkt nach der langen Tour etwas müde, aber bemüht sich um ihr Publikum. Sie macht längere Ansagen und erklärt ausführlich die Inspiration zu einzelnen Songs. Verletzlich und schüchtern sei sie einst gewesen. Die Musik habe sie aber aus der großen Traurigkeit ihrer Jugend gerettet.

"Hab Sex"

Die Fans, teilweise erstaunlich textsicher bei den französischen Texten, goutieren ihre Ehrlichkeit. Zaho ist keine Diva, sie möchte eine Synergie mit dem Publikum herstellen: Schaut her, auch ich habe es geschafft, und ihr könnt euren Schmerz weg tanzen. Eine Aufforderung, der das Publikum im Schlussteil nur zu gerne nachkommt. "Hab Sex" heißt tatsächlich einer ihrer Songs, der nach einem in Endorphin-Rausch im Berghain klingt. Zuvor spricht Zaho noch eine "Warnung" aus, dass statt gediegener Chanson-Atmo gleich eine elektronische Party losbricht.

Nach dem letzten Songs des regulären Sets wollen die 4.000 ihren Popstar kaum von der Bühne gehen lassen. Diese kehrt natürlich schnell wieder zurück und kündigt einen Song in Deutsch an. Nein, leider wird es nicht Kraftwerk, die Zaho außerordentlich schätzt, sondern Nenas "99 Luftballons". Die extrem ausgenudelte NDW-Nummer geht Zahos Interpretation trotzdem klar. Besser kommen aber "Modern Love" von David Bowie und Brigitte Fountaines "Ah Que La Vie Est Belle". Zaho hat heute "Kölöoniii" definitiv verzaubert. So schön wie en Paris kann es aber wohl nie sein.