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"Die Glasglocke" vs. "Jazz Moods - Cool"

Das Buch: Sylvia Plath - "Die Glasglocke"
Das Album: Stan Getz - "Jazz Moods - Cool"

Warum passt es?

"Die Glasglocke" ist eine bestechende und eindringliche Studie der Melancholie. Die Protagonistin verzeichnet über weite Strecken des Textes ihr Vorankommen mit Teilnahmslosigkeit und Langeweile, als beträfe sie gar nicht, was da in der Welt mit ihr passiert. Vielleicht ist es diese Apathie, die eine Untermalung mit trauriger Musik irgendwie redundant macht. Das Buch kommuniziert schon gekonnt genug, wie tragisch der Lebensweg seiner Protagonistin ist. Meiner Erfahrung nach hat es viel mehr Sinn ergeben, es mit etwas zu koppeln, das der Stimmung ihrer Umgebung gerecht wird. Stan Getz kam mir da perfekt vor: Es ist wahrscheinlich wirklich genau der unterkühlte, nach Aufzug klingende White-People-Cool Jazz, den die Leute in den Modemagazinen und Universitäten der Ostküste zu der Zeit des Romans gehört haben könnten, aber es ist trotzdem auch Stan Getz, einer der besten Jazz-Dudes aller Zeiten. Ich habe keine wirkliche Methode, um seine Projekte zu differenzieren, ich höre meistens "Jazz Moods - Cool", weil "Double Rainbow" ein wunderschönes Stück ist, aber vermutlich würden alle seine Werke es tun, auch die, die sich zunehmend mit lateinamerikanischer Musik beschäftigen. Er wird immer diese Stimmung von sonniger Tristesse und urbanem Ennui erzeugen, die auch für "Die Glasglocke" den kontinuierlichen Hintergrundton stellt.

Leseprobe:

Am College hatte ich einen Pflichtkurs in Physik und Chemie belegen müssen. Einen Kurs in Botanik hatte ich schon absolviert und war sehr gut zurechtgekommen. Das ganze Jahr über hatte ich keine einzige Testfrage falsch beantwortet und eine Zeitlang spielte ich mit dem Gedanken, Botanikerin zu werden und die wilden Steppen Afrikas oder die südamerikanischen Regenwälder zu erforschen, denn für die Erforschung solcher entlegenen Sachen in komischen Gegenden kann man hoch dotierte Stipendien viel leichter bekommen, als wenn man in Italien Kunst oder in England Englisch studieren will. Die Konkurrenz ist nicht so groß.

Botanik gefiel mir, weil ich gern Blätter zerschnitt und unter das Mikroskop schob und gern Diagramme über das Wachstum des Brotschimmels zeichnete oder das sonderbare herzförmige Blatt im Entwicklungszyklus des Farns. Das alles kam mir sehr real vor.
An dem Tag, an dem ich mit Physik begann, war es damit zu Ende.

Ein kleiner dunkelhaariger Mann mit hoher, lispelnder Stimme namens Mr. Manzi stand in einem knappen blauen Anzug vor der Klasse und hielt eine kleine Holzkugel in der Hand. Er legte die Kugel auf eine steile, mit einer Rinne versehene Rutsche und ließ sie nach unten laufen. Dann hieß es, a sei gleich Beschleunigung und t gleich Zeit, und plötzlich bekritzelte er die Tafel mit Buchstaben und Zahlen und Gleichheitszeichen, und mein Kopf wurde taub.

Ich nahm das Physikbuch mit ins Wohnheim. Es war ein dickes Buch mit rauhem Umdruckpapier - vierhundert Seiten ohne Zeichnungen oder Fotos, nur Diagramme und Formeln - zwischen ziegelroten Pappdecken. Dieses Buch hatte Mr. Manzi selbst geschrieben, um College-Studentinnen die Physik zu erklären, und wenn es sich bei uns bewährte, würde er versuchen, es zu veröffentlichen.

Ich studierte diese Formeln, ich besuchte den Unterricht, ich sah Kugeln Bahnen herunterrollen und hörte Glöckchen klingeln, und am Ende des Semesters waren die meisten anderen Mädchen durchgefallen, ich hingegen hatte ein glattes A. Ich hörte, wie Mr. Manzi zu einer ganzen Traube von Mädchen, die sich beschwerten, der Kurs sei zu schwierig gewesen, sagte: "Nein, zu schwer kann er nicht gewesen sein, denn ein Mädchen hat ein glattes A."

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