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Platz 12: Japanese Whispers (1983)

Warum ist "Japanese Whispers" Teil dieses Rankings? Weil auch "Boys Don't Cry" (1980) dabei ist. Oder andersrum. Beides sind nur Compilation-Alben, im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Sammlung aus losen Singles samt B-Seiten aus dem Jahr 1983. Entgegen der Regel erscheint in diesem Jahr kein neuer Cure-Longplayer im gewohnten Jahrestakt, aber die Fans sind froh, dass es überhaupt diese Compilation-EP gibt. Wir befinden uns in einer wichtigen Phase der Band, in der Robert Smith vor allem herausfinden will, ob The Cure überhaupt noch länger Bestand haben würde. Bassist Simon Gallup war im Vorjahr nach bösem Streit abgesprungen, die Zeichen stehen auf Veränderung.

So gründet Smith mit Steve Severin plötzlich das Projekt The Glove, nachdem er in dessen Band Siouxsie & The Banshees sowieso schon als Gitarrist eingestiegen ist. Da es Smith vertraglich untersagt ist, in einer anderen Band als The Cure zu singen, engagieren sie eine Sängerin, was zumindest ein bisschen erklärt, warum sich heute kein Mensch mehr an das Album "Blue Sunshine" erinnert. Allerdings krallt sich Smith, der alte Punkrocker, für die Songs "Mr. Alphabet Says" und "Perfect Murder" dann doch das Mikro.

Sein letzter in The Cure verbliebener Sandkasten-Freund Lol Tolhurst sattelt derweil von Schlagzeug auf den Oberheim DMX um, gemeinsam stößt das Duo ihrer Düster-Gefolgschaft befeuert von Amphetaminen mit diversen Synthie-Pop-Singles nachhaltig vor den Kopf. Nach der Endzeitstimmung von "Pornography" sind die vermeintlichen Leichtgewichte "Let's Go To Bed" und "The Lovecats" mehr als ein Gegengift zum ganzen Wahnsinn des Vorjahres. Dafür kommen The Cure plötzlich ins Radio. Erstmals ahnt man: In Robert Smith steckt ein Pop-Songwriter ("Boys Don't Cry" wird erst drei Jahre später zum Hit). "Japanese Whispers" enthält drei Singles samt ihrer B-Seiten, für die andere Bands literweise Blut spenden würden. Allen voran der herrliche Goth-Pop "Lament", der wie die stimmungsaufhellende Variante von "The Drowning Man" klingt. Warum der ansteckende Wave-Pop "The Upstairs Room" keine Single wurde, weiß nur Smith allein, während er sich den müden "The Lovecats"-Abklatsch "Speak My Language" als B-Seite hätte sparen können.

Beim Erscheinen von "The Walk" muss sich Smith zahlreiche Vorwürfe aufgrund der vermeintlichen Nähe zum drei Monate zuvor veröffentlichten "Blue Monday" von New Order anhören. Smith entgegnet, der Song sei schon vor dem "Blue Monday"-Release im Kasten gewesen. Interessant an dieser Stelle: Ist schon mal jemandem aufgefallen, dass die ersten drei Töne des Synthie-Mainriffs von "Let's Go To Bed" dieselben sind wie die des später veröffentlichten Depeche Mode-Songs "Master & Servant"?

"Japanese Whispers" bleibt ein Zeugnis einer experimentierfreudigen, qualitativ noch wackligen Pop-Phase in der ersten Hälfte der 80er Jahre, macht aber trotz der heterogenen Zusammenstellung weitaus mehr Spaß als der reguläre Album-Nachfolger "The Top". Der Erfolg der Singles und des Albums, das erstmals in den USA in die Charts einsteigt, kommt für Smith nicht ganz überraschend, wie er damals in einem Interview zugibt: "Ich ahnte bereits, dass etwas im Busch ist, als meine Mutter mir sagte, dass ihr 'The Walk' gut gefällt." Wieviel Smith diese Band-Phase bedeutet, zeigt sich schon daran, dass "Let's Go To Bed" und "The Walk" über Jahre hinweg ihren Weg in die Live-Setlists finden.

Anspieltipps:

"Lament", "The Upstairs Room", "The Walk"

Leider totgehört:

"The Love Cats", "Let's Go To Bed"

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