Platz 9: The Cure (2004)
Für kein Album bekommen The Cure im Netz so viel Häme ab wie für das selbstbetitelte Werk aus dem Jahr 2004. Stromgitarrenfabrikant Ross Robinson sei am Mischpult komplett fehl am Platze, seine produktionstechnische Grobmotorik der feinsinnigen Melancholie der Briten abträglich und überhaupt habe der Amerikaner The Cure nie verstanden. Diese Kritiker sollten an einem Stuhl festgebunden und ihr Sachverstand mit mindestens drei Durchläufen von "4:13 Dream" geradegerückt werden. Von einem "match in heaven" würde ich hier zwar auch nicht sprechen, aber Robinson, der im Übrigen auch "Relationship Of Command" von At The Drive-In und nicht nur Korn und Limp Bizkit produziert hat, triggert Fortysomething Robert Smith zu seiner zornig-aggressivsten Vorstellung seit "Pornography".
Das führt manchmal zu übertriebenem Keifen und Spucken seitens Smith. Sein Schaum vorm Mund machen "Us Or Them" quasi unhörbar ("Get your fucking world out of my head"). Derweil scheint Drummer Jason Cooper den namhaften Producer mit zahlreichen Standard-Rockfills beeindrucken zu wollen. Das komplette Gegenteil: "The Promise". Die von Smith noch zwei Jahre zuvor auf dem Zillo Festival geäußerte Feststellung, das neue Material sei "heavy rock", geht hier voll auf. Atmosphärisch, finster und voller Wah-Wah-Wahnsinn aus den Fingern des sonst eher filigranen Perry Bamonte zimmern The Cure einen Nachfolger für "The Kiss" mit "One Hundred Years"-Glasur zusammen. Eine Meisterleistung, auf die bereits der Opener "Lost" hinarbeitete.
Ross Robinsons auf Provokation ausgerichtete Arbeitsroutine, die die Band anstacheln und zu mehr Spannung und Konzentration führen soll, stößt allerdings nur bei Smith auf Gegenliebe. So zwingt der "Godfather Of Nu Metal" die Briten mitunter, einen Song eine Stunde am Stück zu spielen oder kommentiert einzelne Takes herablassend, er habe "selten etwas Furchtbareres gehört." Simon Gallup nimmt er gar das Instrument ab, um dem Bassisten von The Cure zu demonstrieren, wie der Bass von The Cure zu klingen hat. Dessen Urteil lautet folgerichtig: "Robinson ist ein Wichser, der lieber Anweisungen verteilt, als selbst seinen Job zu machen." Von Keyboarder Roger O'Donnell ist interessanterweise kein böses Wort überliefert, dabei drängt Robinson ihn bis zur Unkenntlichkeit aus dem Mix.
Für die beste Single seit zwölf Jahren ("A Letter To Elise") gilt das nicht: In "The End Of The World" darf O'Donnells Keyboard ausnahmsweise so laut sein wie die Gitarren. Dennoch hört man vor allem hier den größten Fehler Robinsons heraus, der die Tracks eifrig komprimierte und den Dynamikumfang wie damals üblich zugunsten größtmöglicher Lautstärke opferte. Das federleichte "(I Don't Know What's Going) On" mit tollem Refrain schimmert noch einmal in fast vergessenem "Kiss Me"-Glanz, "Taking Off" klingt dagegen, als würde man "Just Like Heaven" rückwärts abspielen.
"Going Nowhere" klingt am Ende wie der Abgesang auf eine Karriere, zumal Smith zu Beginn das legendäre Glockenzirpen von "Pictures Of You" reproduziert. "Ich benannte die Platte nach uns weil ich finde, dass sie mehr als alle anderen nach uns klingen", befand Smith 2004 großspurig. Freuen wir uns, dass er diesem Ziel 20 Jahre später mit "Songs Of A Lost World" weitaus näher kommt.
Anspieltipps:
"Lost", "The End Of The World" , "The Promise"
Besser weiträumig umfahren:
"Us Or Them", "Taking Off", "Anniversary"
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