28. Februar 2025

"Ich war wie in einem Schreibrausch"

Interview geführt von

Heute erscheint das sechste Studioalbum von Polly Paulusma. "Wildfires" ist kein gewöhnlicher Longplayer. Dem großen Ganzen liegt ein imposantes Konzept zu Grunde.

In einer Zeit, in der das Albumformat zu einer aussterbenden Kunstgattung gehört, haben es Musiker und Storyteller wie Polly Paulusma schwer. Trotz der immer kleiner werdenden Marktnische lässt die 49-jährige Engländerin aber nicht locker – im Gegenteil. Mit ihrer neuesten Produktion "Wildfires" legt die Album-Verfechterin sogar noch eine Schippe drauf. 19 Songs über die verschiedensten Facetten der Liebe und 19 dazugehörige Prologe lassen das Herz eines jeden Musikromantikers höher schlagen. Kurz vor der Veröffentlichung ihres sechsten Studioalbums trafen wir Polly zum Interview und sprachen über künstlerische Rauschzustände, inspirierende Helfer und magische Momente.

Polly, dein neues Album "Wildfires" gleicht einer musikalischen Abenteuerreise, in der die Liebe die Richtung vorgibt. Wie und wann ist dieses Konzept entstanden?

Polly Paulusma: Es ist ein bisschen seltsam, denn eigentlich warte ich schon mein ganzes Leben lang auf dieses Album. Ein solches Konzept, das so intensiv ist, lässt sich nicht erzwingen. Entweder man hat irgendwann den Punkt erreicht, oder eben nicht. Ich hatte das Glück, dass ich während des Schreibens viele kreative Schübe nutzen konnte. Ich war richtig in einem Fluss. So entstand etwas Großes, dass sich immer weiterentwickelte.

Würdest du von deiner bis dato herausforderndsten Arbeit sprechen?

Die Musik allein, das künstlerische Konzept und die Entwicklung des Ganzen, das war ein ganz natürlicher Prozess. Die Umsetzung hingegen, das Warten auf das "Ok" von meinem Wunschproduzenten und das ganze Aufnahme-Drumherum, das alles war schon sehr aufregend und nervenaufreibend – und sicherlich auch eine große Herausforderung.

In den neuen Songs spielt die Liebe in all ihren Formen und Farben eine große Rolle. Du hast im Vorfeld gesagt: "Das Schreiben dieser Songs hat mein Leben gerettet". Fällt es dir leicht, all diese emotionalen Gedanken und Gefühle mit der Welt zu teilen?

Es ist manchmal nicht ganz so einfach, aber das gehört dazu. Ich habe mit der Zeit gelernt, dass nichts größeren Wert hat als die Wahrheit. Und da gehören schmerzhafte Prozesse genauso dazu wie positive. Es bringt mir nichts, Geschichten zu erfinden. Ich will ganz nah bei mir sein und so etwas ganz Persönliches auf die Reise schicken, für alle, die damit etwas anfangen können. Mich haben damals großartige Künstler wie Nick Drake, Joni Mitchell und Carole King inspiriert und emotional abgeholt. Diese Leute haben mir in wirklich schwierigen Momenten Hoffnung und Liebe geschenkt. Ich würde mich freuen, wenn es Leute da draußen gibt, denen ich mit meiner Musik ähnlich helfen kann.

"Am Ende war es Ethans Idee"

Das Album wurde von Ethan Johns (Ray Lamontagne, Laura Marling, Ryan Adams) produziert. Wie reagiert ein Produzent, wenn man ihn mit einem solchen Konzept konfrontiert?

Oh, du wirst lachen, aber am Ende war es Ethans Idee. Man muss sich das so vorstellen: Ich hatte diesen Schreibrausch, der ungefähr sechs Monate andauerte. In dieser Zeit sind insgesamt 22 Demos entstanden und auch die dazugehörigen Prologe, weil die einfach wunderbar dazu passten. Eigentlich war mir aber bewusst, dass das Ganze viel zu groß gedacht und viel zu viel war. Ich ging also davon aus, dass sich Ethan vielleicht zehn der 22 Demos rauspickt und wir dann gemeinsam mit diesen Tracks ins Studio gehen. Ethan wollte dann fast alle Songs mit reinnehmen. Er hat sofort das große Ganze vor Augen gehabt. Das war für mich als Künstlerin natürlich ein überwältigender Moment. Ich habe so lange auf seine Antwort gewartet. Und dann heißt es plötzlich: Ja, wir machen das – und zwar alles! Das war schon ziemlich heftig.

Wie verlief dann die Arbeit im Studio?

Man mag es kaum glauben, aber wir hatten das Ganze in fünf Tagen im Kasten. Wir haben zum ersten Mal alles live eingespielt. Viele Sachen, die man auf dem Album hört, sind One-Track-Recordings. Das war irgendwie ein ganz reibungsloser und natürlicher Prozess. Ethan hat aber auch diese Gabe, das wirklich Beste aus einem herauszuholen. Er ist sehr direkt. Er kann sehr klar kommunizieren. Und er hat ein fantastisches Gehör. Ich bewundere Leute, denen Musik so viel bedeutet und die in der Lage sind, Musik auf einer sehr tiefen Ebene zu fühlen. Mein Pianist Neil Cowley ist auch so ein Kandidat. Als er ins Studio kam, wollte er keinen der Songs vorab hören. Er wollte in Echtzeit auf die Musik reagieren. Das hat mich sehr beeindruckt.

Würdest du dich als eine Künstlerin beschrieben, die gerne Zeit im Studio verbringt?

Es gehört einfach dazu und kann manchmal genauso intensiv und emotional sein wie ein Konzert. Ich vergleiche das immer ganz gerne mit der Landwirtschaft und einem Bauern, der seine Arbeit liebt. Wenn der Bauer etwas anbaut, dann ist das auch ein Prozess. Erst bereitet er das Feld vor. Dann sät er aus. Dann folgt eine Ruhezeit. Dann erntet er ab. Und irgendwann freuen sich die Menschen im Laden über die leckeren Sachen. Das eine kann nicht ohne das andere. In der Musik ist es nicht anders.

In der Musik steht das Konzert am Ende des Ganzen. Ich habe gehört, dass du die neuen Songs schon einmal live antesten konntest. Wie war's?

Es war eine ganz tolle und neue Erfahrung. Ich habe die neuen Songs im vergangenen Jahr gemeinsam mit meinem Bassisten Jon Thorne live vorgestellt. Wir haben zwei Konzerte gespielt. Der erste Teil des Albums füllte den ersten Abend aus, der zweite Teil den zweiten Abend. Normalerweise dauert es immer ein bisschen, bis man die vollständige Aufmerksamkeit des Publikums hat. Manchmal dauert es nur eine Strophe lang. Manchmal braucht man zwei Songs. An diesen Abenden waren die Leute aber dank der Prologe sofort mit dabei. Das hat das Ganze sehr besonders gemacht. Die Verbindung war extrem. Wir werden das in einer ähnlichen Form auch auf der kommenden Tour so machen.

"Musik ist Magie"

Du hast live schon viel erlebt, warst viel unterwegs. Bist du eher der Festival- oder der Club-Typ?

Oh, ich spiele überall gerne. Ich liebe die Bühne und die Verbindung mit dem Publikum. Mir ist es egal, ob ich in einem kleinen Bahnhof irgendwo in Italien oder auf der großen Bühne des Glastonbury-Festivals stehe. Musik ist Magie. Es gibt keine andere Kunstform, die die Menschen so miteinander verbinden kann. Und live ist es noch einmal besonders schön – egal wo und auf welcher Bühne.

Du bist jetzt seit gut zwanzig Jahren mit der Musik unterwegs. Erinnerst du dich noch an den Moment, wo die klar wurde, dass du nichts anderes mehr machen willst?

Da fallen mir zwei Momente ein, die sehr wichtig und prägend waren. Bevor alles so richtig losging gab es mal eine Phase, in der ich eigentlich mit Musik aufhören wollte. Irgendwie passte es nicht mehr. Dann gab es da eine befreundete Band, die dringend eine Background-Sängerin benötigte – für einen Abend. Ich half aus und plötzlich war es wieder um mich geschehen. Und dann gab es auch noch diesen einen Open-Mic-Abend in London. Ich war noch ohne Label und Management, einfach nur mit einigen selbstgeschriebenen Songs unterwegs. Da war dieses ziemlich raue und laute Pub. Als ich auf die kleine Bühne ging und anfing wurde der Laden plötzlich ganz still. Alle hörten mir aufmerksam zu. Das war sehr inspirierend.

Warst du schon immer allein unterwegs?

Nein, ganz am Anfang habe ich in einer Band gespielt. Irgendwann funktionierte es aber nicht mehr. Ich war dann eine Zeitlang in Schottland und habe nur noch Gedichte geschrieben. Die Musik hat mich aber nicht losgelassen. Irgendwann wurden aus den Gedichten Songtexte und aus mir wurde eine Songwriterin.

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