laut.de-Biographie
Public Image Ltd
Public Image Ltd - kurz PIL genannt - erinnert den Unbefangenen eventuell an eine Werbeagentur. Tatsächlich handelt es sich jedoch um ein hochinteressantes Künstlerkollektiv mit wechselnder Starbesetzung um den ehemaligen Sex Pistols-Fronter John Lydon.
Wie ein Phoenix erheben sich PIL 1978 aus dem Schutt des Punkrock. Gelangweilt von dessen musikalischer Primitivität nehmen sich Lydon und Dub König Jah Wobble ein vollkommen neues Konzept vor. New Wave, Dub, Reggae, Spoken Word, Soundkollagen und Rock sind die Zutaten eines oft schwer verdaulichen aber qualitativ hochwertigen Cocktails rebellischer Kunst.
Von Album zu Album erfinden sich die Briten stets komplett neu. Berechenbarkeit bedeutet für sie Rückschritt. Mit diesem Chamäleon-Ansatz entstehen verschiedenartigste Werke. Die ersten zwei Alben führen Minimalismus, Dub, Reggae und die rohe Energie des Punk zusammen. "Flowers Of Romance" bedient sich ausgiebig bei New Wave. Die Neue Welle kommt jedoch absichtlich unter die Räder der absoluten hämischen Dekonstruktion. Die 1984 folgenden kurzen Ausreißer in die Welt des Pop und Dance bringen den Szenehit "This Is Not A Love Song" hervor.
Lydons Befreiung vom lästig reduzierenden Johnny Rotten-Stempel gelingt ihm trefflich. Zu Recht darf er sich mit PIL als einer der Erfinder des sogenannten Post Punk bezeichnen. Dies geschieht mittels konstruktiven, teils politischen Lyrics und der experimentellen Verwendung punkuntypischer komplexer Akkordfolgen und Sounds.
Die ganze Wut und Verachtung des Engländers führt 1986 zum viel beachteten künstlerischen Höhepunkt des Projekts. Der neutrale und schlicht mit "Album" betitelte Longplayer bündelt alle künstlerische Aggression in einem komplex melodischen Agit-Rock-Monster. Unterschiedlichste Ikonen verschiedener Genres geben sich hier die Klinke in die Hand. Ginger Baker von Cream schwingt die Sticks. Jazz-Rock-Fusion Pioniere vom Mahavishnu Orchestra ist dabei. Ebenso Bill Laswell, Steve Vai und Klangkünstler Ryuichi Sakamoto. Und über allem schwebt die quengelnde Witwenschreckstimme Lydons, die in dem überraschend chartenden Song "Rise" die Richtung vorgibt "Anger is an Energy!!!"
Legendär ist die Begegnung mit Miles Davis während dieser PIL-Aufnahmesessions im selben New Yorker Studio, wo der Jazzgott zeitgleich seine Platte "Tutu" produziert. "Du singst so wie ich die Trompete spiele!" Dieses Kompliment aus dem Munde eines Genies gibt dem ehemaligen Johnny Rotten nun endlich das verdiente Selbstwertgefühl; den Glauben an die eigene Stimme und Musik.
Die nachfolgenden Tonträger aus dem Hause Public Image rocken insgesamt ein wenig gefälliger. Die sehr spezielle Art der Umsetzung und die ästhetischen Arrangements machen jede einzelne CD dennoch zum kurzweiligen Hörvergnügen. Ab Mitte der 90er wird es stiller um das Projekt des zornigen Rebellen. Eine offizielle Auflösung gibt es nicht. Lydon betont: "Es ist eben eine Pause, wenn auch eine sehr lange.".
Eine siebzehn Jahre lange, um genau zu sein. Denn im Spätsommer 2009 kündigt Lydon tatsächlich einige Comeback-Konzerte für das Jahresende in Großbritannien an. Doch Zeit ist beim Ex Pistol stets eine relative Sache. So dauert es tatsächlich bis Frühjahr 2012. Nach 20 Jahren Funkstille bekommt der Hörer mit "This Is PIL" das groovigste Album in der Bandgeschichte. Mit Dubreggae, Cure-Gitarren und der gewohnten Stinkwut im Bauch. Was liegt näher als am World Record Store Day mit einem Minigig die Lieve-Wiederauferstehung zu feiern? Lydons neue Truppe führt keine großen Namen. Aber auch ohne schillernde Gäste wie Bill Laswell oder Ginger Baker klingt die Combo mehr denn je wie aus einem Guss. Live wie im Studio.
Nur drei Jahre später schiebt die Band auf "What The World Needs Now..." elf neue Songs nach - ganz ohne prominente Gäste. Anlässlich des 40-jährigen Bandjubiläums erscheint im Juli 2018 das Boxset "The Public Image is Rotten (Songs From The Heart)" auf fünf CDs, zwei DVDs und sechs LPs. Das Set enthält die "PiL Singles Collection (1978-2015)", garniert mit B-Seiten, Raritäten, Radiosessions, 12"-Mixes, unveröffentlichten Tracks und einem Livemitschnitt aus dem New Yorker Ritz 1989. Die DVD liefert Promovideos und TV-Mitschnitte ("Top Of The Pops", "Old Grey Whistle Test") sowie die Konzerte beim Tallinn Rock Summer Festival 1988 und eine Australien-Show von 2013.
Am 11. November 2022 stirbt Keith Levene im Alter von 65 Jahren an den Folgen von Leberkrebs. Der Punk/Postpunk-Gitarrist gründete einst die legendären The Clash mit und feierte später mit PIL Erfolge. Nach drei Alben stieg er 1983 wieder aus. Levene sei "friedlich, ruhig und von Liebe umgeben" gestorben, zitiert der Guardian seine Lebensgefährtin. Zuletzt arbeitete der Musiker mit dem Autor Adam Hammond an einem Buch über PiL.
Anfang 2023 wird bekannt, dass PIL am Eurovision Song Contest teilnehmen wollen. Die Band hat den Song "Hawaii" für Irland eingereicht und steht am 3. Februar in einem nationalen Vorentscheid. Der Song ist ein sentimentales Liebeslied, das Lydon für seine Frau Nora geschrieben hat. Nora, mit der er seit 50 Jahren zusammenlebt, leidet an Alzheimer und wird von Lydon gepflegt. "Es ist ein Song, der allen gewidmet ist, die mit der Person, die sie am meisten lieben, durch schwere Zeiten in ihrem Leben gehen", so der Brite, dessen Eltern aus Irland kommen. Es ist bereits das zweite Mal, das Lydon einen ESC-Beitrag für Irland einreicht. 2018 schaffte er es mit dem Song "Pleased To Meet You" lediglich unter die letzten zehn Interpreten des Vorentscheids. Auch diesmal gelingt der Coup nicht: PIL landen auf Platz vier von sechs Teilnehmer*innen. Die Entscheidung traf eine Jury sowie das Publikum zu je 50 Prozent.
Am 5. April 2023 stirbt Lydons Frau Nora nach fünfjähriger Leidenszeit. Wie der Sänger berichtet, habe sie das neue PIL-Album geliebt und hätte daher nicht gewollt, dass man nun Pläne aufschiebe. Daher veröffentlicht die Band das neue Studiomaterial auf dem Album "End Of World" wie geplant im August und geht anschließend auf Tournee. Das Album ist Nora gewidmet.
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