24. Juli 2024

"Vielleicht will ich einfach geliebt werden"

Interview geführt von

Rainald Grebe hat sich zurückgekämpft. Nach mehreren Schlaganfällen und einem Reha-Aufenthalt steht er im Juni wieder auf der Bühne.

Am Ende scheint er sich fast zu schämen. Es sei "unprofessionell", sagt Rainald Grebe, als ihm nach einer Stunde die Stimme versagt und er seinen Auftritt im Dortmunder JunkYard abbrechen muss. Mehrfach hat er das Konzert mit seiner Kapelle der Versöhnung verschieben müssen. Eine Coronainfektion kam ihm dazwischen, aus der wiederum "vier kleinere Schlaganfälle" resultierten. Aus Juni wurde September und schließlich war ein ganzes Jahr vergangen. "Dann verschieben wir es eben ein sechstes Mal", erklärt er an diesem Abend noch immer zuversichtlich unter verständnisvollem Applaus.

Niemand zeigt sich unzufrieden über das kurze Konzert. Das Publikum weiß um seine gesundheitlichen Probleme. 2017 erlitt der Liedermacher seinen ersten Schlaganfall. Diagnose Vaskulitis, eine Autoimmunerkrankung, bei der sich Blutgefäße entzünden, was wiederum die versorgten Organe schädigt. Der folgende Reha-Aufenthalt bildet die Rahmenhandlung seines Buchs "Rheinland Grapefruit. Mein Leben", über das er im Interview am Nachmittag des Konzerts ebenso spricht wie über seine Arbeitsmoral, das Künstlerdasein, Klassenunterschiede und die Auswirkungen seiner tückischen Krankheit.

Vor zwei Jahren hast du der Welt erzählt, du befindest dich in der "Schwebephase, zurückkommen oder nicht". Was hat den Ausschlag gegeben, zurückzukommen und wieder Konzerte zu spielen?

Ich hab ja generell Bock. Es ist ein Ausweis von Leben. Rock'n'Roll ist ein Hochleistungssport. Und ich habe bei den Auftritten gestern und vorgestern gemerkt, dass es noch halbwegs geht. Es gibt Einschränkungen, aber ich kann das ungefähr durchziehen.

Hat sich dein Lampenfieber vor Auftritten durch die Erkrankung verändert?

Ich hatte es vorher nicht und habe es jetzt auch nicht. Die Konzentration ist da. Was sich verändert hat: Ich bin früher eine oder zwei Stunden vorher die Texte und den Ablauf durchgegangen. Das mache ich jetzt vier Stunden vorher. Es sind einige Stellen nicht durchblutet. Ich habe manchmal Aussetzer. Es ist mir sehr peinlich, dass mir Texte so wegfallen. Damit muss ich jetzt umgehen.

Du hast Konzerte einmal als "Herzstück" deiner Arbeit bezeichnet. Zugleich hast du sie im Buch "Kunst und Kopfkrieg" als "Werkbank" kleingeredet, die du nicht vermisst hättest. Wie verhält es sich in Wirklichkeit?

Ja, das stimmt beides. Während Corona habe ich sie nicht so vermisst, weil ich auch viel schreiben konnte. Ich saß nicht aufgeregt zu Hause: Wann geht es wieder los? Irgendwann parallel kam die Krankheit. Nach den heftigen Schlaganfällen hatte ich drei Monate Pause. Dann habe ich schon gemerkt, dass ich zurückkommen wollte. Das war fast zu früh, glaube ich. Ich habe da Vorstellungen gemacht, bei denen ich mich am Mikro festgehalten habe, der Sabber gelaufen ist und ich mehrfach gestürzt bin. Die Leute haben schon gemerkt, dass ich mich da quäle. Ich wollte ja eigentlich nicht als Patient dastehen, sondern darüber reden. So dass man sagt, ich könne das reflektieren, was mir da passiert. Nicht, dass man sagt, oh, der Arme hat es schwer.

"Was ich denn für Wünsche hätte? Bald wieder arbeiten", heißt es, als du zu Beginn deines Buchs "Rheinland Grapefruit. Mein Leben" in die Reha eincheckst. "Vier Wochen Reha. Vier Wochen Vollpension. Endlich habe ich Zeit zum Arbeiten": Ist das nur eine Form von Galgenhumor oder bist du ein Künstler mit protestantischer Arbeitsethik?

Die habe ich, ja. Ich kann mich schwer auf die faule Haut legen. Aus der Arbeit kommt ja alles. Ich definiere mich über die Arbeit.

Was ja eigentlich untypisch ist, oder? Menschen werden doch auch Künstler, um dem zu entgehen.

Bei mir trifft es nicht zu. Mein Problem ist eher, dass ich zu viel mache. Ich mache immer fünf Sachen parallel. Dann kommt noch Theater und ein Hörspiel dazu. Man kann so schöne Sachen machen und ich kann so schwer Nein sagen. Dann ergibt die eine Arbeit eben die nächste.

Mit welchen Projekten ist man zuletzt an dich herangetreten?

Ich mache jetzt eine Radio-Sendung über Brandenburg. Dann kommt im Herbst ein inklusives Theaterstück in Berlin und ein Kalender über Bauernregeln. Das sind alles neue, vollkommen unterschiedliche Sachen. Die versuche ich jetzt zu verbinden. Es kommt noch die Tour, die Band kommt jetzt wieder. Dann habe ich gerade mein Solo gemacht. Und neben dem ganzen Kram schreibe ich Programme.

Gehst du denn alles mit derselben Leidenschaft an?

Ja, ich mache das alles ganz gerne. Ich mache auch keinen Unterschied. Dass man sagt, das mache ich jetzt so nebenbei.

"Klassenunterschiede? Das ist das Thema überhaupt"

Als du in der Reha meditieren solltest, hast du dich dagegen gesträubt: "Ich hab gespürt ganz tief in mir drin, zur Ruhe kommen ist der Tod." Benötigst du keine Momente der Ruhe, um kreativ sein zu können?

Doch, schon. Mein Hauptproblem ist gerade, dass ich eigentlich zu viel Büro und Orga-Kram machen muss. Jetzt überlege ich, jemanden zu suchen, der mir das abnimmt. Ich habe einfach nicht die Ruhe, mal ein Buch zu lesen. Woher kommen denn die Ideen? Woher kommt eine gute Zeile? Wann ereilt einen die Idee für einen Roman? Oder woher kommt die Idee für ein Theaterstück? Es kommt nicht auf Knopfdruck, wie eine E-Mail, die man an den Veranstalter schickt.

Bist du mit einem 24/7-Kalender schnell blockiert?

Die Ruhe ist manchmal sehr wichtig. Wenn ich aber weiß, ich habe einen Premierentermin, dann setze ich mich dran und dann kommt auch was. Ich setze mich an den Schreibtisch und irgendwas passiert da. Wenn ich mich nicht hinsetze, dann mache ich auch nichts. Oft habe ich eine Premiere für ein Soloprogramm oder eines mit Band, dann setzen wir uns eine Woche hin und machen die Songs. Das geht zum Glück sehr schnell. Da entsteht einer nach dem anderen.


Rainald Grebe mit Marcus Baumgart beim Soundcheck in Dortmund (Foto: Dominik Lippe)

"Wir sind keine Künstler. Wir dürfen die Künstler nur bewundern. Und das tun wir auch gerne, ausführlich, lebenslang, da sind die Rollen klar verteilt." So beschreibst du das vorherrschende Prinzip in deiner Familie. Ist für dich das Künstlerdasein ein Ausbruch aus dem Bürgertum gewesen?

Ja schon, ich komme aus einer - wie sagt man? - bildungsbürgerlichen Familie. Die gibt es gar nicht mehr, aber damals gab es das noch. Das waren die Bürger, die Kunst gesammelt haben. Und die Künstler waren immer weiter weg. Das sind wir nicht. Kunst ist 500 Jahre alt und steht im Katalog. Dafür geht man ins Museum. Der Job meines Vaters war es zu wissen, wo was in Verzeichnissen steht. Das muss beglaubigt sein. Und dass man das an sich heranholt, das war für mich und auch für sie neu. Es kann ja nicht sein, dass man selbst so Blödsinn macht. (lacht)

Wie ich hast du in deiner Familie zwei Stammlinien - eine zum Bürgertum und eine zur Arbeiterschaft.

Ja, mein Vater kam vom Dorf und war eigentlich Schlosser. Mit 24 Jahren hat er sein Abi nachgemacht, sich weitergebildet und ist dann Professor für Bibliographie geworden. Aber er hatte das Dorf immer dabei. Meine Mutter war eher die Bildungsbürgerin. Ihr Vater war Ingenieur.

"Lieber einen Ton wie Bauarbeiter, rau, ordinär", "als müsste ich was wiedergutmachen, die Klassen einebnen". Woher kommt die Scham davor, besser situiert zu sein?

Ich habe mich eher nach unten orientiert. Dahin habe ich mich eher hingezogen gefühlt. Ich wollte damals auf die Straße, weg von diesem Häuschen, und wie jetzt hier auf dem Schrottplatz spielen.

Ökonomische Ungleichheit zieht sich in Liedern wie "Der Billiardär" oder "Oben" generell durch dein Werk.

Ich habe durch meine sogenannte Karriere an Leuten gerochen, denen es sehr gut geht. Ich habe ja auch gut verdient, verdiene noch gut und kann mir vieles leisten. Man sieht die Unterschiede zu Menschen von früher, die man verloren hat, die immer noch sehr arm sind und sich nichts leisten können. Künstler, die nach jedem Cent grabbeln müssen oder von Hartz IV leben. Da sieht man die Klassenunterschiede, die sozialen Unterschiede. Das ist, glaube ich, das Thema überhaupt.

Hast du einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn?

Das ist nur so ein Wort. Ich habe aber Antennen dafür, dass es sowas gibt.

"Wenn ich ein Buch oder ein Theaterstück schreibe, ist es immer eine Reise raus aus dem Scheißleben."

Du wirfst in deinem Werk sehr viele Probleme auf und gibst Beobachtungen wieder, aber lieferst nie eine Lösung. Liegt darin die Tragik deiner Songs?

Ich finde es als künstlerischen Weg blöd zu sagen, ich wisse, wo es langgeht. Das macht den Sack zu, das macht es schlecht. Es ist auch durchaus realistisch oder naturalistisch, dass ich Probleme eben nicht lösen kann. Ich sehe Widersprüche und mache daraus eine Geschichte. Bei Romanen oder Theaterstücken mag ich es auch lieber, wenn das Ende offen bleibt. Das ist für Kunst ohnehin besser.

Es unterscheidet dich von deinen Kollegen aus dem Kabarett. Volker Pispers, Hagen Rether und Co. haben ein relativ eindeutiges Weltbild mit klaren Lösungsansätzen. Das ist dir aus der künstlerischen Haltung eher fremd.

Ja, ich frage mich, wie jemand so sein kann. Das Publikum mag das ja, aber ich nicht so. Ich finde, dass man sich bei Themen selbst immer außen vor lassen sollte. Wenn man im Nichtwissen, der Verzweiflung, der Orientierungslosigkeit bleibt, ist das immer besser für das Objekt, das man besingt.


Auftritt im JunkYard (Foto: Dominik Lippe)

Im Buch gehst du noch einen Schritt weiter und sagst ganz allgemein: "Mir waren Meinungen immer zuwider."

Ja, das geht schon ziemlich weit. Dieses Uferlose von Leuten, die dezidiert sagen, in vielerlei Hinsicht die Welt zu verstehen. Gerhart Hauptmann hat mal geschrieben, dass er auch so war. Daraus hat er seine Dramatik gemacht. Er hat verschiedene Positionen von Figuren kombiniert. Es ist vielleicht die Kunst, das gegeneinander zu führen. Manchmal ist ein Lied ein kleines Tableau, auf dem Meinungen wie auf einem Schlachtfeld gegeneinander geführt werden.

Hast du in der Tagespolitik klare Positionen?

Ja, manchmal schon, aber generell stehe ich davor wie der Ochs vor dem Berg und lasse die Sachen an mir vorbeiziehen. Ich bin in keiner politischen Partei, ich bin nicht meinungsstark.

Hat sich dein Politikerbild eigentlich verändert? Früher waren sie bei dir in "Der Kandidat" oder "Der Präsident" eher Maschinenmenschen.

Das sind die ja auch. Vom Typus, dass man da nur zwei Stunden schläft, hat sich nichts geändert. "Der Präsident" war auf Horst Köhler gemünzt, diesen Sparkassen-Direktor. Ich singe das Lied nicht mehr. Frank-Walter Steinmeier ist zwar auch so ein Präsidenten-Typ, aber der Köhler war so hölzern. Kapitänsmütze auf - das war eine klare Vorlage. Danach kamen der Gauck und der Wulff. Das Amt ist zwar ähnlich, aber es war schon ein bestimmter Typus, den ich vor Augen hatte.

"Ich bin ein Kind der 90er", heißt es in deinem Buch, "und die waren gar nicht so lustig, wie heute immer getan wird, sie haben den Grundstein gelegt für das ganze Leid, an dem wir seitdem laborieren." Woran hast du da genau gedacht?

Ein Grundthema, das bei mir immer wieder kommt, ist die Explosion der Möglichkeiten in vielerlei Bereichen. Die alte Welt, die ich noch als Kind kannte, platzt plötzlich auf. Aus der Grundform der Welt der drei Programme, des Postmonopols, von Raider und Twix entstehen der Neoliberalismus, der Neue Markt, die Welt der vielen Möglichkeiten.

Eine der Hauptängste, die ich bei dir meine, auszumachen, ist die Angst vor der Normalität, vor einem "Wischiwaschileben". "Was für ein kleines Scheißleben. Es ist einfach nicht spannend", schreibst du und überlegst, wie du deinen Werdegang aufpeppen könntest, indem du schreibst, mit Piranhas gebadet und mit Uma Thurman geschlafen zu haben.

Das habe ich auch, war mein größtes Erlebnis. (lacht) Es ist doch klar, dass ich die normale Welt immer als Ausgangspunkt nehme. Die Kunst ist, dass man etwas losmacht, dass man irgendwo hin will. Wenn ich ein Buch oder ein Theaterstück schreibe, ist es immer eine Reise raus aus dem Scheißleben. Da geht was los. Wenn das dauernd passiert, was jetzt mein Leben ist, muss man sich ständig fortbewegen, sich abstoßen von dem Normalen. Wenn es dann mal vorkommt, dass ich nichts mache, sitze ich meistens so da und denke: Ist gar nicht so geil. In drei Stunden trete ich auf dem Schrottplatz auf und danach sitze ich wieder so da. Das ist auch meine Bühnenfigur, die eher so stoisch dasitzt und dann plötzlich explodiert.

Wenn das aber ein kleines Scheißleben ist. Dann führt ja praktisch jeder ein solches.

Nein, es gibt auch Leute, die per se einfach geiler sind.


Verfrühte Verabschiedung mit der Kapelle der Versöhnung (Foto: Dominik Lippe)

Du überlegst schließlich, wie die Öffentlichkeit deinen Tod einmal verarbeiten wird. Steuern lässt es sich ja ohnehin nicht, aber welche Reaktionen auf deinen Tod würdest du dir denn wünschen?

Dann wünsche ich mir gar nichts mehr. Im Buch nenne ich ganz konkret Christoph Schlingensief. Das war der erste Online-Tote. Er hatte ein Kondolenzbuch, in das alle reingeschrieben haben. Das hörte nicht auf, ging mindestens zwei Wochen lang. Heute schreiben die Menschen für zwei Tage: 'Ach, dass der jetzt gegangen ist. Wir werden dich vermissen.' Und dann kommt wieder das nächste. Es reicht nicht mehr. Bei Christoph war es ein Erlebnis, dass die Zeit stehen blieb.

Hast du ihn eigentlich gekannt?

Nein, aber ich habe mich im Umfeld von Leuten bewegt, die ihn kannten.

Im Buch kommst du zu dem Ergebnis: "Und dafür machst du das? Für zwei Tage Kondolenz im Netz? Bisschen wenig, Dude." Dann greife ich deine eigene Frage mal auf: Wofür machst du es?

Wofür mache ich das? Ich will etwas reißen, etwas erfinden, was es vorher nicht gab. Vielleicht will ich auch einfach geliebt werden.

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