laut.de-Biographie
Samsas Traum
"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt"
So schreibt Franz Kafka zu Beginn seiner berühmten Erzählung "Die Verwandlung". Gregor Samsa - ein literarischer Name, der glücklicherweise nicht nur als Pseudonym für einen Porno-Darsteller herhalten muss, sondern auch als Namenspatron für Bands. Neben den Amerikanern aus Richmond gilt dies vor allem für das Projekt um Alexander Kaschte (geb. 1978): Samsas Traum.
Von 1996 an treibt der eigenwillige Querkopf in der deutschen Musikszene sein Unwesen und polarisiert mit seinen Outputs und seinem Auftreten wie kaum ein anderer. Die Gothic-Szene hält die Band im steten Würgegriff, Kaschte selbst wird nimmer müde, zu betonen, dass er Schubladendenken verabscheut und sich stets dagegen wehrt, von einer Szene vereinnahmt zu werden.
Dass Musik und Lyrik, die bei Samsas Traum stets Hand in Hand gehen, mit dazu beitragen, dass sich viele Menschen mit dem Gesamtkunstwerk und damit fast automatisch mit Kaschte identifizieren, liegt eigentlich auf der Hand. Schließlich thematisiert er in seinen Texten oft genug menschliche Abgründe, was dazu führt, dass sich seine Fans von ihm verstanden fühlen.
Das erste Lebenszeichen des Projekts entsteht noch 1996. Das Demo "Nostalgische Atavismen" mit Titeln wie "Der Universelle Tod", "Herbst Und Tod" und
"Sie Starb Im Sommer" pendelt zwischen Darkwave-Einflüssen und Metal mit hysterischem Gesang hin und her. Düster und bedrohlich gestaltet sich das von Kaschte alleine eingespielte Demo, verkauft sich aber ordentliche 500 mal und sorgt immerhin dafür, dass er bei Trisol seinen Otto unter einen Vertrag setzt. Und im Vergleich zum Demo klingt das Debüt "Die Liebe Gottes – Eine Märchenhafte Black Metal-Operette" schon etwas ambitionierter.
Der Anspruch Kaschtes übersteigt jedoch das, was sich dann auf Platte wieder findet, denn Produktion und stimmliche Fähigkeiten der Beteiligten werden dem Konzeptalbum vom Kampf Gut gegen Böse nicht wirklich gerecht. Zwar erkennt man recht schnell, dass in der Band Potenzial schlummert, aber es deutet sich bereits hier an, womit Kaschte und seine Mitstreiter auch in Zukunft zu kämpfen haben: Samsas Traum sorgen entweder für Jubelarien oder überdimensionierte Fragezeichen über den Köpfen. Diesen Umstand drücken auch die Pressereaktionen aus. Während das Album im Szene-Mag Orkus zum besten Output des Monats gekürt wird, holt es sich im Rock Hard die nicht ganz so schmeichelhafte Bezeichnung 'Arschbombe Des Monats' ab.
Auf ihrem zweiten Album "Oh Luna Mein" haben sie aber schon einen veritablen Clubhit am Start, der für einen weiteren Popularitätsschub sorgt. "Für Immer" rockt dank straight vorwärts treibende Rhythmen und fetten Bratzgitarren die Vorwerk-Staubsauger-Fraktion der Indie-Dissen. Immer noch dramatisch, aber wesentlich stringenter als noch auf dem Debüt gehen Samsas Traum zu Werke. Die Kreischparts sind kaum mehr vorzufinden, was der Eingängigkeit der Tracks entgegen kommt. Dies kümmert die Rock Hard-Redaktion jedoch keineswegs, die das Album erneut zur Arschbombe Des Monats kürt.
Aus dieser neuerlichen Demütigung erwächst Privat-Fehde zwischen der Postille und dem Musiker Kaschte. Als 2001 "Utopia" erscheint, man kann es sich schon fast denken, fährt die Platte erneut die Arschbombe ein; einmalig in der Geschichte des Magazins. Das Fass ist - obwohl die Platte erneut eine Steigerung zum Vorgänger darstellt - bis zum Rand voll, so dass sich Alexander genötigt fühlt, endlich darauf einzugehen.
"Das Rock Hard, Deutschlands führendes Musikmagazin, hat auf ein neues seinen runzligen Mund geöffnet und uns in einer Wolke ekelhaftesten Mundgeruches eingenebelt. Abgestandenes Bier, abgeschnittene T-Shirt-Ärmel, Schweiß, Zahnbelag und Dreitagebart. Flink ziehen wir unsere seidenen Tüchlein aus unseren Täschchen und wischen uns damit die Kotze aus dem Gesicht. [...] Wie ein wilder Stier, der hirnlos auf ein rotes Tuch losrennt, ließ sich das Rock Hard durch die von mir in meinen Interviews getätigten Aussagen und Seitenhiebe provozieren. Das Rock Hard ist der willenlose, leicht steuerbare Spielball der Kommando-Zentrale von Samsas Traum. Ob das wohl immer so einfach ist? Ob sich dieser Vorgang wohl beliebig oft wiederholen lässt? Ich, die Gothic-Schwuchtel, senke demütig mein schwules Haupt vor Euch, den Kulturpäpsten.
Damit hat es sich aber dann auch ausgestritten, denn weitere Reviews zum Thema Samsas Traum tauchen im Magazin nicht mehr auf, und so widmen sich alle beteiligten ihrem jewiligen Tagesgeschäft. Im Falle Kaschte heißt dies die Erweiterung der Band-Aktivitäten auf die Bühne. Zum ersten Mal stehen Samsas Traum als greifbare Combo auf den Brettern. Als festes Mitglied kommt nun Daniel Schröder (Saxophon/Klarinette) hinzu, der der Musik mit seinen gekonnten Einlagen immer wieder abwechslungsreiche Momente beschert. Kaschte und Co. treten daraufhin im Vorprogramm von Atrocity und Pain auf und spielen auch auf dem Wave Gotik Treffen 2001.
2001 erscheint mit "Nostalgia" ein Sampler mit Demoaufnahmen, 2002 die EP "Ipsissima Verba", ehe 2003 "Tineoidea Oder: Die Folgen Einer Nacht – Eine Gothicoper In Blut-Moll" folgt, die unter Mithilfe von Mitgliedern einiger Szenegrößen wie ASP und Blutengel entsteht. Spätestens mit diesem Album mausern sich Samsas Traum vom Geheimtipp zu einer Formation, die ihren hochgesteckten Ambitionen mehr und mehr gerecht wird und das Format Konzept-Album weiter ausreizt. Der Scheibe liegt in der Erstauflage noch die EP "Trauma 7" des Kaschte-Nebenprojektes Weena Morloch bei.
Mit "Arachnoidea" (2003) und "Endstation Eden" (2004) erscheinen zwei Alben bzw. Compilations, die neben Remixen und bereits veröffentlichten Sachen auch Zeugs von Kaschtes anderem Nebenprojekt Miime enthalten, ein neues Studioalbum kommt 2004 auf den Markt und sorgt für großen Gesprächsstoff im Fanlager. Mit "a.Ura Und Das Schnecken.Haus" verfolgt Kaschte weiterhin seine Maxime, sich nicht in Genre-Schubladen stecken lassen zu wollen. Mit geradezu poppigen Melodien verschreckt Alexander nicht wenige alteingesessene Fans, gewinnt aber im Gegenzug mehr und mehr neue hinzu. Auf dem Album wirken weit weniger Gäste mit als noch auf "Tineoidea", nämlich gerade einmal zwei. Constance Rudert von Blutengel und ein gewisser Alf Poier. Poier ist ein österreichischer Anarcho-Kabarettist, der für die Alpenrepublik sogar am Eurovision Song Contest ("Weil Der Mensch Zählt") teilnimmt. Die beiden lernen sich in Wien kennen, wo Kaschte zu der zeit seine Zelte aufgeschlagen hat.
Für den Soundtrack zum Horror-Streifen "Saw 2" steuert Kaschte den Song "Bis An Das Ende Der Zeit" bei, für den dritten Teil "Anti". 2007 ist es dann Zeit für einen Doppelschlag, denn am 2. November erscheinen zeitgleich die Scheiben "Heiliges Herz - Das Schwert Deiner Sonne" und "Wenn Schwarzer Regen".
Doch der größte kommerzielle Erfolg und die Erschließung eines breiteren Publikumsspektrums gelingt ihm erst 2012 mit der Märchenvertonung "Asen'ka". Das Album kommt dermaßen gut an, dass er im Frühjahr des folgenden Jahrs eine Sammlung namens "Niemand, Niemand Anderem Als Dir" mit neoklassischen Instrumentalversionen veröffentlicht.
Insgesamt mag Kaschte sich gleichwohl nicht damit begnügen, stets als eskapistischer Märchenonkel der Schwarzen Szene zu gelten. So reißt er 2015 das Ruder komplett herum. Das ambitionierte Konzeptalbum "Poeseie: Friedrichs Geschichte" beschäftigt sich aufklärend und dokumentarisch mit dem mordenden Rassenwahn des Dritten Reichs. Zwischen Rock und Klassik packen Samsas Traum berührende Texte und toughe Rhythmen. Mit dieser Platte gelingt ihm - lang erseht - ein große Wurf, der medialen Respekt beschert und ohne Frage den gesamten bisherigen Bandkatalog komplett in den Schatten stellt.
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