laut.de-Biographie
Sektion Kuchikäschtli
Wörter, deren Aussprache Rückschlüsse auf die Herkunft des Sprechers gestatten, bezeichnet der Fachmann als Schibboleth. Bei "Küchenkasten", in der schweizerdeutschen Intonation, handelt es sich um ein solches Wort. "Chuchichäschtli" sagen die einen, "Chochichäschtli" die anderen, während sich Ausländer an dem Ausdruck ohnehin Zunge und Rachen verletzen. Im Kanton Graubünden pflegt man die Variante "Kuchikäschtli" zu benutzen. Als Sektion Kuchikäschtli schreiben drei Eidgenossen alpenländische Rap-Geschichte.
Das Trio bestehend aus MC Rennie, Produzent Claud und DJ Stimpee Kutz formiert sich 1998. Zumindest Rennie, der einst auf den Namen Renato Tobler getauft wurde, wird der Hip Hop keineswegs in die Wiege gelegt: "Ich wurde nicht mit Rap groß. Bis ich 16 war, hörte ich Jimi Hendrix und die Doors." Erst sein späterer DJ Stimpee Kutz bringt ihn mit Hip Hop in Kontakt. Um 1995 beginnt Rennie, der zunächst Gedichte, dann Rap-Texte schreibt, diese auch selbst vorzutragen.
Wie die Kollegen von Luut & Tüütli, Gimma, Breitbild und einige mehr, zählen die drei Herren aus dem Graubündner Igis zu den Bauers. Dieses Kollektiv kristallisiert sich als loser Zusammenschluss von Rappern aus der Ostschweiz heraus, die es wegen Studium oder Beruf nach Zürich verschlagen hat. Anstatt in der Zürcher Szene aufzugehen, unterstützt man sich gegenseitig. Das Landeier-Image, das den Bauers durch entsprechende Berichterstattung in den Medien angehängt wird, trägt man bei Sektion Kuchikäschtli mit Fassung: "Wir haben das ja auch mitgeprägt."
Dem ersten Album "Dorfgschichta", das 2002 erscheint, geht die Maxi "Lampafiabr" voraus. Clauds soul-, funk- und jazzlastige Beats treffen auf witzige bis gehaltvolle Texte - auf Schwiizerdütsch. Auch, wenn der Schwerpunkt hörbar auf Inhalten, nicht auf der Rap-Technik liegt, machen die "Dorfgschichta" mächtigen Eindruck in der eidgenössischen Hip Hop-Landschaft. Fehlende Proll- und Battlestyles bringen die drei rasch in den Ruf von Blüemli-Rappern: Ein Image, das Sektion Kuchikäschtli stets gerne und grinsend bedienen.
Einer EP ("Entwicklig", 2003) folgt 2004 das zweite Album. Mit "Nur So Am Rand" landen Sektion Kuchikäschtli einen Volltreffer. Musikalität und Melodien werden beibehalten, ebenso eingängig gesungene Refrains. Die größte Entwicklung ist bei Rennie zu verzeichnen. Er gibt sich emotionaler und spontaner, wagt sich an wesentlich intimere Themen und zeigt mehr von sich. "Der Transport von Persönlichem hat Mut gekostet", konstatiert er. "Anfangs war ich dazu noch nicht bereit."
Claud spielt Keyboards, Rhodes und Streicher persönlich ein, für den Rest holt er sich Musiker ins Studio. Daneben enthält "Nur So Am Rand" Produktionen von Sepalot und Ill Will. Neben den Genossen vom Bauernhof schauen die österreichischen Kollegen von Texta auf einen Sprung herein.
"Nur So Am Rand" schlägt hohe Wellen. Das Album klettert bis auf Platz 6 der Schweizerischen Charts und hält sich fast ein halbes Jahr lang in den Top 100. Als erstes schweizerdeutsches Rap-Album wird "Nur So Am Rand" vergoldet. Plötzlich interessieren sich nicht nur Hip Hop-Magazine sondern auch Blick und die Neue Zürcher Zeitung für die Jungs aus Graubünden. Wie bestellt werden auch prompt Sellout-Vorwürfe laut. Nur: Wen interessiert das?
Die Bündner Buben sicherlich nicht. Hier hat man anderes zu tun. Claud arrangiert seine Beats, die ohnehin viele live eingespielte Anteile besitzen, für eine Live-Band um. In der Besetzung Schlagzeug, Gitarre, Bass, Saxophon und Keyboards begleitet die Randgruppe eine umfangreiche Tour durch die Deutschschweiz, in deren Fahrwasser eine wahre Rap-Euphorie entflammt.
Nach einem Jahr Dauerrummel braucht insbesondere Rennie eine Pause. Zwar lechzt die Fangemeinde nach einem Nachfolge-Album, bei Sektion Kuchikäschtli lässt man sich dennoch nicht stressen. Lange Zeit ist nicht sicher, ob es überhaupt ein drittes Album geben wird. Claud produziert unter anderem für Taz, Gimma und den deutschen MC Curse. Seine Beteiligung auf "Sinnflut" macht ihn zum ersten Schweizer Produzenten, der in Deutschland einen Top-10-Erfolg erreicht. Für Joy Denalane remixt Claud "Heaven Or Hell".
Rennie steht von Zeit zu Zeit mit anderen Kollegen auf der Bühne. Langsam aber sicher löst sich seine Schreibblockade, es sammeln sich wieder Texte an. Der Entschluss, doch noch einen drauf zu setzen, fällt, doch bis kurz vor knapp ist nichts endgültig fertig. Die Veröffentlichung von "Affatanz" wird auf Anfang Dezember angesetzt, muss jedoch um einen Monat verschoben werden, da Claud im letzten Moment von der grassierenden Grippe außer Gefecht gesetzt wird.
Am 5. Januar 2007 steht "Affatanz" dann schließlich doch in den Läden. Wieder geht es hochgradig musikalisch zu. Organische Klänge gehen über synthetische Beats. Claud koordiniert bis zu 15 Studio-Musiker. Neben den üblichen Verdächtigen gehen Holunder von Blumentopf und Martin Luther, ein Sänger aus dem Umfeld der Roots, an den Start.
Die Melancholie, die "Nur So Am Rand" durchwehte, scheint weitgehend verschwunden. Dabei gäbe es allen Anlass dafür: "Realistisch betrachtet wird 'Affatanz' unser letztes Album sein", so Stimpee Kutz' Einschätzung der Lage. Rennie hat sein Studium mittlerweile abgeschlossen und bereitet einen freiwilligen Hilfseinsatz im Ausland vor. Schon kurz nach der Plattentaufe, die im kleinen Rahmen begangen wird, plant er seine Abreise.
Konzerte soll es keine geben, nicht einmal eine große Abschieds-Show. Es wäre zu aufwändig gewesen, für einen einzelnen Auftritt eine Live-Band zusammenzustellen, befindet Claud. Das Video zu "Meh Verdiant" ist allerdings bereits im Kasten, die Idee zu einem zweiten geistert durch die Hinterköpfe. Die wirklich letzte Runde im Affentanz steht also noch aus.
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