28. Oktober 2015
"Ich bin kein besserer Musiker, weil mein Opa auf Griechisch geflucht hat"
Interview geführt von Alexander CordasEuropäische und amerikanische Popmusik? Langweilig, findet Shantel. Die wirklich spannenden Sachen passieren anderswo. Das Gespräch mit dem musikalischen Weltenbummler drehte sich außerdem um Einwanderung, Nationalismus, Homophobie und um den Offbeat.
Mit seinem neuen Album "Viva Diaspora" hat Stefan Hantel alias Shantel einen hübschen Coup vorgelegt. Wir haben uns mit dem musikalischen Weltenbummler unterhalten.
Dein neues Album heißt "Viva Diaspora". Was ist an der Diaspora so faszinierend?
Das Wort Diaspora kommt aus dem Griechischen und bedeutet Verstreutheit. Ein Begriff, der oft auf geopolitische Verwerfungen verweist, auf Menschen, die aus ethnischen, politischen oder religiösen Gründen ihre Heimat verlassen müssen. Dabei entfesselt das Leben in der Diaspora auch kreative Prozesse: Du musst in der Fremde ein Leben neu erfinden und gestalten. Ich komme aus einer ziemlich zerrissenen Familie. Meine Großeltern waren rumänische Juden und kamen aus Czernowitz-Bukowina. Mein Großvater väterlicherseits stammt aus Griechenland und war einer der ersten sogenannten Gastarbeiter in Deutschland. Verfolgung, Flucht und Migration waren also immer ein Thema in meiner Familie.
Du bist ja kein Genre-Purist. Auf deinem letzten Album hast du dich eher an konventionellem Songwriting versucht. Jetzt hast du wieder vermehrt fremd klingende Einflüsse im Programm. Woran liegts?
Fremd klingende Einflüsse gibts bei mir nicht, sondern nur Einflüsse. Ich wiederhole mich einfach nicht besonders gern und wollte die Erfolgsformel "Disko Partizani" nicht wie eine Marke verwalten. Der Song "The Kiez Is Alright" vom letzten Album ging dann glücklicherweise richtig durch die Decke und hat mir Einladungen zum Glastonbury und dem Roskilde-Festival eingebracht. Danach bin ich dann zufällig in Athen gestrandet und habe eine der erstaunlichsten Städte kennengelernt. Die Idee, daraus ein musikalisches Roadmovie zu kreieren, lag auf der Hand.
Bekommt man als Deutscher, der mit seiner Musik auch in Griechenland erfolgreich ist, Feedback wegen der Griechenland-Krise?
Aber ja doch. Meine Zeit in Athen war geprägt von intensiven Gesprächen über die Krise, wobei ich nie irgendwelchen Anfeindungen ausgesetzt war, ganz im Gegenteil. Ich habe sogar das Gefühl, dass die meisten Menschen in Griechenland Deutschland sehr schätzen und hungrig nach Austausch sind. Außerdem hat es die meisten Musiker sehr gefreut, dass jemand von außerhalb mit einem ganz anderen musikalischen Ansatz die traditionellen orientalischen Sounds neu definiert und kombiniert.
"Die Popmusik ist sehr langweilig geworden"
Hat sich die Wahrnehmung deiner Person aufgrund deiner Nationalität geändert?
Nein, überhaupt nicht. Beim Musikmachen schaut niemand auf meinen Reisepass. Das gleiche gilt ja auch für meine Band. Das Bucovina Club Orkestar ist ein ziemlich bunt zusammengewürfelter Haufen cooler Musiker aus allen Winkeln Europas. Da gehts nicht um Identität und Abgrenzung, sondern nur um die Gemeinsamkeiten. Das gemeinsame Reisen zu den Festivals und den Clubshows aller Herren Länder schweißt einen auch ganz gut zusammen. Believe it or not: Ich finde sowieso die ganze Debatte um Identität und Heimat völlig uninteressant. Ich bin auf keinen Fall ein besserer Musiker, nur weil mein Opa auf Griechisch geflucht oder geschissen hat, right!
Woher stammt deine Liebe zum Offbeat? Die klingt auf dem neuen Album ja recht deutlich durch.
Die Popmusik Europas und der USA beziehungsweise Englands ist ja tatsächlich sehr langweilig und uninspiriert geworden. Die wirklich spannenden Sounds kommen heute aus den geopolitschen Schnittstellen im Nahen Osten oder den Suburbs afrikanischer oder südamerikanischer Metropolen. Westliche Massenmedien ignorieren aber weitgehend diesen Trend, das ist für mich auch eine Form von Rassismus. Stell' dir mal vor, im Mittagsprogramm von Radio Bayern 3 oder Einslive würde der neueste Arab-Pop oder türkischer Rap laufen. Da wäre die Hölle los, in Good Old Germany. Das finde ich sehr bezeichnend. Deutschland wird nun endlich ganz offiziell ein Einwanderungsland sein. Die dramatischen Flüchtlingsbewegungen machen das ja sehr deutlich. Ich frage mich aber, ob wir das auch akustisch hinbekommen? Ich meine: ja und unbedingt.
"Unerträglich dumm und scheiße"
Sag' uns mal, wie es auf dem Festival in Guca war. Goran Bregovic hat sich mal so ausgedrückt: "Das ist ein Wahnsinn, den man sich in Europa nur schwer vorstellen kann. Ein kollektiver Wahnsinn, der sich aber komplett von irgendeinem anderen Wahnsinn unterscheidet. Ein Wahnsinn von Armen, die sich eine Woche wie Millionäre verhalten, völlig irrational."
Zum 50-jährigen Festival-Jubiläum in Guca war ich als erster und einziger ausländischer Ehrengast eingeladen. Ich habe sehr viele tolle Musiker kennengelernt und drei Tage und Nächte durchgefeiert. Danach war ich noch dreimal als Headliner in Guca gebucht. In erster Linie ist es für mich also ein ganz normales Musikfestival, bei dem es um einen kollektiven Absturz durch Musik und Alkohol geht. In Guca kommt aber auch eine ganze Menge kranker serbischer Nationalismus, Rassismus und Homophobie hinzu. Das hat für mich überhaupt nichts mit Wahnsinn zu tun, sondern ist einfach nur unerträglich dumm und scheiße.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Beim letzten Konzert in Übersee fandst du klare Worte gegen Homophobie. Es ging um Sizzla, der wegen seiner homophoben Texte zurecht in der Kritik stand. Nach meinen Eindrücken kamen deine Worte zwar bei den meisten Zuschauern gut an. Bei einigen jedoch nicht. So sei eben die "Kultur" in Jamaika, blala ... Kam damals bei dir etwas davon an? Wenn ja, in welcher Form und hast du darauf reagiert?
Mich interessiert die lokale jamaikanische Kultur mit ihrer programmierten Homophobie überhaupt nicht. Wer Homosexuelle zum Abschuss frei gibt, ist für mich genauso so ein Faschist wie Wladimir Putin. Ich glaube allerdings, dass in Jamaika nicht jeder Musiker oder normale Bürger schwulenfeindlich eingestellt ist, ganz im Gegenteil. Außerdem halte ich den Reggae nicht für eine rein jamaikanische Musikform, sondern empfinde Reggae als einen globalen Sound, der erst in und durch die Diaspora richtig groß geworden ist.
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MrBeansFrau?