15. Oktober 2025
"Ich bediene keine indischen Klischees"
Interview geführt von Toni HennigSijya verbindet verträumte Synthieklänge und rohe Rhythmen zu einer Mixtur aus Art-Pop, Ambient und Downtempo. Gerade erschien ihre EP "Leather & Brass". Dabei strebte die in Neu-Delhi ansässige Künstlerin zunächst gar keine professionelle Karriere als Musikerin an.
Während ihres Studiums arbeitete Sijya, bürgerlich Sijya Gupta, zunächst als Grafikdesignerin bei einer indischen Radiostation. Über die Tracks ihrer ersten EP "Young Hate" von 2022 hat sie sich nicht all zu viele Gedanken gemacht. Die Musik bringt sie trotzdem auf die Bühne, zum Beispiel als Support für The Cinematic Orchestra auf deren Indien-Tournee. Sie tourt ebenso durch Großbritannien und liefert im Rahmen dieser Konzertreise auch Gast-Mixes für NTS und Noods Radio.
"Rust", der zweite Song von "Leather & Brass", ist dann der entscheidende Track, der ihrem Sound eine Richtung gibt. Heavy, metallisch und verzerrt sollte die Musik klingen. Eine Welt, die die Inderin noch eine Weile weiter erkunden möchte. "Mit dieser zweiten EP habe ich das Gefühl, dass ich nun eine Musikerin geworden bin", freut sie sich. Wir sprechen mit Sijya per Videocall.
In deiner Musik verbinden sich verträumte Klänge und rohe Rhythmen zu einer Mischung aus Art-Pop, Ambient und Downtempo. Erzähl mal bitte, wie du mit elektronischer Musik in Kontakt gekommen bist.
Sijya: Ich habe erst durch Rockbands angefangen, elektronische Musik zu hören, weil ich in der Schule viel Rockmusik gehört habe. Und dann gab es Bands, die anfingen, elektronische Musik zu machen wie Nine Inch Nails und Radiohead und so weiter. So fing das an mit elektronischer Musik, hauptsächlich noch während meiner Zeit an der Universität. Aber direkt nach dem Studium habe ich als Grafikdesignerin bei einem Radiosender in Delhi namens boxout.fm angefangen. Dort lag der Schwerpunkt vor allem auf elektronischer Musik. Ab da habe ich also begonnen, mich wirklich mit elektronischer Musik zu befassen.
Du besitzt eine besondere Faszination für die Gitarre. Woher stammt diese Faszination
Ich denke, das kommt auch von der Rockmusik meiner Kindheit. Ganz allgemein fühle ich mich Rock und Punk und deren Ideologien recht nah an, sogar in Bezug auf meinen Lebensstil, als Lebenseinstellung. Daher kommt wahrscheinlich meine Liebe zu Gitarren und Distortion.
"Ich bediene keine indischen Klischees"
"Rust", der zweite Track deiner aktuellen EP "Leather & Brass", war der erste Song, der nach deiner ersten EP eine neue Richtung einschlug und markierte den Beginn einer bewussteren Suche nach einer eigenen Soundidentität. Wie war hier der Entstehungsprozess?
Ich habe meine eigene Tracklist zwar vergessen, aber ja, da wusste ich irgendwie, in welche Richtung die EP gehen sollte. Vorher hatte ich kein großes Interesse daran und dachte auch nicht darüber nach, hauptberuflich als Musikerin zu arbeiten. Ich hielt das für unmöglich, weil es so schwer ist, so etwas zu verwirklichen.
Bei "Young Hate" habe ich mir nicht viele Gedanken gemacht und einfach nur herumprobiert, was sich wahrscheinlich auch positiv auf die Veröffentlichung ausgewirkt hat, um ehrlich zu sein, weil ich mich freier fühlte. Aber als ich mit der Arbeit an der zweiten EP begann, war viel passiert. Ich wurde quasi in etwas hineingeworfen, auf das ich nicht vorbereitet war und das ich nicht erwartet hatte.
Man gewöhnt sich daran, als Musikerin zu arbeiten. Zu dieser Zeit entstand "Rust" und ich hatte das Gefühl, dass das genau der Sound ist, den ich für die EP haben will: Heavy, metallisch und verzerrt. Für mich ist das eine Welt, die ich weiter erkunden möchte.
Als Produzentin hast du dir von Matthew Herbert und Hugh Jones von Accidental Records Feedback geben lassen und sie schlugen dir auch Tools vor, die dir geholfen haben. Welche Tipps und Ratschläge haben dir die beiden Produzenten und Labelbetreiber auf den Weg gegeben?
Richtig, mein vorheriges Label Accidental Records war ein recht kleines Label, und alle dort sind selbst Künstler. Matthew ist selbstverständlich legendär. Crewdson ist auch beeindruckend. Ich schätze Hugh Jones' Arbeit als Crewdson sehr. Ich weiß nicht, wie man den Namen ausspricht, aber er stellt seine eigenen Instrumente her und macht dann Musik damit. Er ist unglaublich. In gewisser Weise habe ich sie also gar nicht als Labelbesitzer gesehen, sondern eher als Musiker, die ich liebte und die ich um Rat gebeten habe.
Dank ihnen entdeckte ich viele blinde Flecken in meiner Produktion, Dinge, von denen ich nicht wusste, dass daran gearbeitet werden musste. Ich habe also viel über die Feinheiten der Produktion gelernt, zum Beispiel über die Gesangsproduktion und die allgemeine Bearbeitung und wie man etwas kohäsiver macht.
Die Fertigstellung der EP wäre ohne die Toningenieure Jay Panelia, Seth Manchester und Heba Kadry nicht denkbar gewesen. Welche besondere Rolle spielten sie genau?
Jay Panelia ist mein bevorzugter Toningenieur in Neu-Delhi. Er ist auch ein sehr enger Freund. Daher war er also auch der Toningenieur. Wie ich bereits angedeutet habe, wurden alle Sounds durch die Gitarrenpedale gejagt und dann zurückgeführt. Das war der Prozess, den wir verfolgt haben. Er hat mir also bei den Aufnahmen dieser Sounds geholfen, nachdem die Produktion abgeschlossen war.
Danach wollten wir einen analogeren Sound. Also gingen wir zu Seth Manchester von Machines With Magnets, der mit einem vollständig analogen Mischpult arbeitet. Ich habe ihnen die Aufnahmen geschickt und sie konnten alles über analoge Mischpulte laufen lassen, danach klang es viel feiner. Und dann hat Heba Kadry es gemastert.
Du bist in Neu-Delhi ansässig. Der letzte Track der EP heißt "Tabla". Inwieweit beeinflusst die traditionelle indische Musikkultur deine Musik?
Das ist eine großartige Frage. Ich bin mit indischer Musik groß geworden, weil ich dort aufgewachsen bin. Während meiner prägenden Jahre habe ich in der Schule viel Bollywood gehört. Die erste westliche Musik, die ich danach gehört habe, war Rock. Es ist also alles da. Indische Musik liegt mir im Blut und in den Knochen. Ich habe auch ein wenig indische Musik in der Schule gelernt. Nicht genug, um damit zu prahlen, aber zumindest die Grundlagen. Ich denke, wenn man zurückblickt und danach sucht, kann man Bollywood-Elemente in meiner Musik finden. Aber ich beschäftige mich nicht absichtlich damit.
Es herrscht großer Druck auf südasiatischen Acts, sich mit der südasiatischen Kultur auseinanderzusetzen. Tatsache ist jedoch, dass ich in Neu-Delhi lebe, du in Deutschland, die anderen in London, und dass unser Leben mittlerweile ziemlich ähnlich ist. Die Musik, die wir hören, die Filme, die wir sehen, sind alle ziemlich homogenisiert, im Guten wie im Schlechten. Was ich mache, ist also für mich authentisch. Ich bediene keine indischen Klischees. Aber wenn man genau hinschaut, findet man mich in der Kultur wieder.
"Berlin wirkt sehr frei und interessant"
Zu "Young Hate" gab es die dazugehörige Remix-EP "Young Love". Willst du auch "Leather & Brass" remixen lassen?
Ja, wir sind gerade dabei, das zu klären. Aber es sind schon ein paar spannende Remixes bestätigt worden. Mehr kann ich im Moment nicht sagen. Ich weiß selbst noch nicht genau, wie der Stand ist.
Du verstehst dich als audiovisuelle Künstlerin. Was kann man von deinen Liveshows erwarten?
Bisher habe ich mit meinen Freunden zusammengearbeitet, die Lichtgestalter sind. In Indien heißen sie Tech Quartet. Wir haben einige Lichtinstallationen passend zu meinem Set entwickelt. Das war ziemlich interessant. Aber die Produktion ist teuer. Deshalb ist es schwierig, mit den Installationen zu reisen. Das visuelle Element ist wichtig. Aber es muss produziert werden, deshalb ist es nicht immer möglich. Ich habe meinem Set noch keine visuellen Elemente hinzugefügt, weil ich die Idee eines Bildschirms hinter dem Künstler hasse. Ich muss noch herausfinden, was ich visuell machen möchte. Das ist eine große Aufgabe für die Zukunft.
Du hast auch schon ein Boiler Room-Set gespielt und für NTS und Noods Radio Mixe angefertigt. Siehst du das Auflegen eher als Hobby oder als etwas, das mittlerweile, ebenso wie das Musikmachen, einen professionellen Stellenwert in deinem Leben einnimmt?
Ich habe momentan kein Interesse daran, das DJing wirklich ernst zu nehmen. Denn es gibt viel bessere DJs, die ihr Handwerk wirklich hervorragend beherrschen. Das kann ich nicht. Aber ich habe Spaß daran, ein abgedrehtes DJ-Set zu spielen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Ich lege also als DJane auf, aber nicht sehr regelmäßig. Es macht Spaß, den Leuten wirklich weirde Musik vorzuspielen. Oft denken sie, ich würde etwas zum Tanzen spielen, aber das tue ich nicht. Das macht Spaß.
Letzte Frage: Du tourst gerade durch Indien und kommst im Oktober auch nach London. Kannst du dir vorstellen, auch im deutschsprachigen Raum Liveshows zu geben?
Das würde ich sehr gerne. Berlin gefällt mir sehr gut. Während des Studiums habe ich im Rahmen eines Austauschprogramms, ähnlich wie Erasmus, sechs Monate in Europa gelebt. Ich war in Frankreich und bin auch nach Berlin gefahren, um mir die Stadt anzusehen. Sie hat mir sehr gut gefallen und die Menschen dort wirkten sehr frei und interessant. Ich mag auch Hamburg sehr, dort herrscht ein cooler Vibe. Das sind die beiden Städte, die ich kenne.
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