1. April 2009
"Mittelalter-Rock steht am Scheideweg"
Interview geführt von Matthias von ViereckSubway To Sally – ist das nicht, ähem, so genannter Mittelalter-Rock? Klar, früher, in den 90ern, waren die Potsdamer tatsächlich Vorreiter in Sachen Dudelsäcke plus Gitarren. Heute allerdings wird der nicht nur bei Subway umstrittene Begriff dem Septett längst nicht mehr gerecht. Oder vielleicht doch?Höchste Zeit für einen Plausch mit Frontmann Eric Fish, wo doch auch gerade Subway To Sallys zehntes Studioalbum ("Kreuzfeuer") erschienen ist. laut.de trifft den Sänger in Berlin-Prenzlauer Berg. Die Promo-Agentur, in der das Gespräch stattfindet, liegt etwas versteckt auf einem Gewerbehof.
Mister Fish, angetan mit schwarzem Kopftuch und schwerer Halskette, ist gut gelaunt und lässt sich auch von Agenturhund Emil nicht aus der Fassung bringen. Die abgewetzte Sofaecke, auf die wir uns lümmeln, tut ein Übriges. Ganz so viel Zeit ist denn aber doch nicht, der nächste Phoner (neudeutsch für Telefoninterview) wartet schon in der Leitung.
Gegenüber von dieser Agentur liegt der Knaack-Club. Ihr habt dort 1992 in der "Mittwochsreihe" für absolute Nobodys gespielt. Als Gage gabs zehn Prozent vom Getränkeumsatz, die ihr euch mit der zweiten Band des Abends zu teilen hattet. Erinnerst du dich?
Eric: Dunkel. Es gibt Legenden über diesen Gig. Das war wohl der zweite oder dritte Subway-Gig überhaupt. Es sind schon Zeiten, an die man sich ab und zu erinnert, vor allem wenn wir nach Konzerten vor 2000 bis 3000 Leuten abends im Bus sitzen und alles, was man trinken möchte, da ist, denkt man daran, dass man damals für neun Leute nur einen Kasten Bier hatte.
Weißt du noch, wie die zweite Band des Abends hieß?
Nein.
44 Leningrad
Ach, echt? Schau mal. Wer kennt die Namen, wer zählt die Toten? Die haben noch einige Jahre weitergemacht, aber die Kurve nicht gekriegt, die man nur dann kriegt, wenn man die ersten harten Jahre durchzieht und übersteht. Am Ball bleibt. Das heißt unter Umständen erst mal, all das aufgeben, was du bis dahin hattest. Job oder Studium, das war irgendwann alles vorbei. Musikmachen hieß es dann, 130 Gigs im Jahr.
Klingt fast, als würdest du was bedauern
Überhaupt nicht. Im Nachhinein war das wirklich der absolut richtige Weg für mich. Für mich war damals klar, ich tue das. Ich hatte ein abgeschlossenes Studium, hätte anfangen können zu arbeiten in einem sicheren Job. Ich hab mich lieber mit einer Gitarre auf die Straße gestellt und mit meiner kleinen Folkband Konzerte gespielt. Das ist der Samen, aus dem alles gewachsen ist. Und die sechs anderen Musiker bei Subway haben genauso gedacht. Dann gab es die Band, und wir haben zusammen ein neues Samenkorn gelegt, weil wir an uns glauben und das durchziehen. Bis heute. Wir haben zwei Wechsel gehabt, ansonsten sind wir so zusammengeblieben, wie wir angefangen haben. Was will man mehr.
Und jetzt die zehnte Studioplatte
Echt?
Laut Pressetext
Ich hab den nicht geschrieben (lacht). Aber kann gut sein. Ein kleines Jubiläum!
Habt ihr da echt nie drüber gesprochen in der Band? Dir war das schon bewusst, oder?
Ich höre das zum ersten Mal. Das ist mir nicht wichtig. Ich wüsste auch nicht, welches das fünfte oder sechste Album ist. Ich weiß, welche Musik ich erinnern muss, wenn ich den Albumtitel höre. Ich weiß, welche Geschichten sich jeweils darum ranken. Ich weiß, welche Kernlieder da drauf sind. Aber ich kann dir die Jahre nicht sagen. Zeit und Zahlen, das ist nicht meine Welt. Ich lebe relativ gelassen, zeitlos, sonst könnte ich mit dem Arbeitspensum auch gar nicht umgehen. Ich nutze die Stunden, die leer sind, intensiv, um den Akku wieder aufzuladen. Aber ich rechne nicht voraus: Wie viel Stunden habe ich morgen zu tun und wann habe ich wieder frei? Ich rechne auch nicht zurück: Wie lange mache ich das schon. Vielleicht würde mich das schockieren und mir klarmachen, wie alt ich schon bin.
Im ersten Song der neuen Platte heißt es: "Wir steigen immer weiter auf". Ist das das heimliche Subway-Motto?
Ja, die Frage ist berechtigt. Mehr sage ich dazu nicht (lacht ).
Aber es geht ja noch weiter: "…immer weiter auf. Bis zur Sonne". Um dann wie Ikarus abzustürzen?
Nimm es als Gleichnis. Die in Liedform formulierte Erkenntnis, dass immer, wenn man aufsteigt, was ja diese Band nach wie vor tut, auch mal die Luft dünn wird. Und dass man sich dann, wenn man nicht aufpasst, wie Ikarus die Flügel verbrennt. Ich hoffe auch, dass alle Leute das so sehen, dass wir uns dieses Problems bewusst sind - jetzt bin ich ja doch bei der Interpretation - und eigentlich nicht in der Gefahr sind, abzustürzen.
Wenn meine Ohren mich nicht getäuscht haben, sind im ersten Stück wieder Dudelsäcke zu hören?
Aber eben nur als Farbe. Wir wollen diese Elemente nicht missen und benutzen sie, aber nicht vordergründig. Sie stützen manche Melodien, die auch als solche funktionieren. Ja, für den Liebhaber sind ein paar Dudelsäcke zu entdecken.
Gibt es eine Diskussion in der Band darüber, ob man auf Dudelsäcke ganz verzichtet. Oder sagt ihr, für die alten Fans, die sich das noch wünschen, machen wir das?
Ich habe nie verschwiegen, dass ich aufgrund der wachsenden Population an Dudelsäcken auf den Bühnen dieses Landes eigentlich kein Bock mehr habe. Nun habe ich aber einen neuen Dudelsack, den ich wieder sehr liebe. Eine irische Pfeife, die hat mich wieder etwas dazu gebracht. Ich bin der Einzige, der das immer ein bisschen bremst. Die anderen wollen stets, dass ich weiterspiele. Wie die Drehleier sind das Trademarks, auf die wir eigentlich nicht verzichten wollen.
"Vielleicht bin ich sogar ein Homophobiker"
Ärgert es dich, wenn ich sage, dass mich eine Stelle im Stück "Die Jagd" sehr an Rammstein erinnert? Bei euch heißt es "Ich rieche dich", bei Rammstein "Du riechst so gut"Ich hab mir beim Einsingen schon schmunzelnd gedacht, dass so was kommen wird. Aber eben schmunzelnd. Das Thema wird wohl vielen Leuten bekannt sein: Eine einseitige Liebe, die in eine Besessenheit ausartet und nicht erwidert wird. Ich finde den Text wunderbar formuliert. Ich habe auch mit Bodenski (dem Gitaristen und Texter, Anmerk. der Red.) drüber gesprochen, wir haben beschlossen, dass wir uns von der Affinität nicht stören lassen. Also ärgert es mich nicht.
Der Rammstein-Vergleich kam ja immer wieder
Da stehe ich drüber. Ich halte Rammstein für ein gelungenes Konzept, sowohl musikalisch als auch optisch. Ich finde auch, dass die wunderbare Songs haben. Aber eine musikalische Parallele sehe ich überhaupt nicht. Nimm unseren Gitarristen Ingo, der so sehr zuständig ist für unseren Sound. Die Art, wie er Gitarre spielt, ist so meilenweit von bloßem Riffgeschrubbe entfernt, dass man wirklich nicht von einer Verwandtschaft sprechen kann. Wie viel mehr an Text und Bildern in "Die Jagd" drin steckt als in Rammsteins "Du riechst so gut". Das ist eine ganz andere Welt.
Jagdmetaphern tauchen auf der neuen Scheibe einige auf, etwa auch im Stück "Niemals". Früher wart ihr eher für Schiffsmetaphern und ähnliches bekannt ...
Es gibt halt einige Themen und Metaphern, die sich aufdrängen. So reich die deutsche Sprache auch ist. Wenn man Lyrik in Bilder verpackt, dann sind Feuer, Wasser, Seefahrt schon große Bilder, die sich anbieten für eine Story. Insofern ist man vor Wiederholungen nicht gefeit, das stimmt schon. Wie oft kommt das Word "Love" in englischen Songs vor? Ich hab letztens für meinen Sohn ein paar Beatles-Lieder analysiert und ich liebe die wirklich sehr. Aber was da textlich an Armut zu Tage kam, ist sagenhaft: "I love you, yeah, yeah, yeah". Mehr haben die nicht gemacht. Unglaublich.
Du hast aber nie darunter gelitten, die Texte eines anderen zu singen?
Das habe ich nie empfunden, weil ich glücklich bin, jemanden zu haben, der solche Texte schreibt. Das ist genau mein Ding: In Rollen zu schlüpfen und die zu interpretieren. Was ich manchmal anders mache, als Bodenski das meint. Die Möglichkeit habe ich. Spannend ist, wie er damit umgeht. Der Frontmann ist der erste, der auf der Bühne Beifall einheimst. Das tut ihm sicher manchmal bissl weh, dass ich mit seinem Text den Hauptbeifall ernte. Auch wenn das nicht wirklich ein Problem ist. Es gibt ja jetzt erstmals auf der Platte zwei halbe Texte von mir. Texte, die ich angedacht habe und die teilweise auch von Bodenski übernommen wurden.
Welche Stücke sind das?
"Einsam" und "Vater".
Dann lass uns über "Einsam" sprechen und die Stelle, wo es heißt: "Nur ein Narr braucht die Gesellschaft". Ich könnte mir denken, dass solche Empfindungen auch in Deinem Verhältnis zum Rest der Band mal eine Rolle spielen. Dass man einfach die Schnauze voll hat und allein sein will. Gerade nach einer Tour
Gerade auf Tour. Mir wird das manchmal vorgeworfen: Ich bin nicht gerade der Kommunikativste, mir ist Small Talk verhasst. Vielleicht bin ich sogar ein Homophobiker. Menschenmassen mag ich nicht, außer sie stehen vor meiner Bühne (lacht ). Deswegen geh ich auch auf Tour in freien Stunden immer wieder los in den Wald oder einen Park. Ich brauche das, um überhaupt alles andere tun zu können. Ich kann nicht an einem Gespräch teilnehmen, das belanglos ist. Das nervt mich. Deswegen liebe ich "Einsam" ganz besonders, weil ich das bin.
Und "Vater" ist eine kritische Auseinandersetzung mit Glauben und Religion?
Das ist zu vereinfacht. Es geht auf eine Beobachtung zurück. Ich bin zwar überhaupt nicht gläubig und ein Agnostiker, aber ein atmosphärischer Mensch. Und Kirchen haben nun einmal etwas Atmosphärisches. Warum soll man nicht zu Ostern in die Kirche gehen, ein Orgelkonzert hören oder auch eine Predigt. Das gehört zur Allgemeinbildung.
Bei so einer Gelegenheit habe ich beobachtet, dass Leute, die ich kenne, die sonst nie in die Kirche gehen, der Versuchung gefolgt sind, mitzubeten und ganz gegen ihre Gewohnheit den Kopf gesenkt und die Hände gefaltet haben. Ich habe mich gefragt: Was tun die da gerade, was denken die? Denken die: Ich kann ja jetzt mal beten, vielleicht hilft es. Wenn ich mich total irre und den alten, weisen Mann mit dem großen Plan gibt es doch, dann habe ich nichts falsch gemacht. Und wenn es ihn nicht gibt, hab ich auch nichts falsch gemacht. Das war die Beobachtung, die mich erschreckt hat. Ich tue das nicht.
Weil du ehrlich zu dir sein möchtest?
Weil ich tatsächlich nicht glaube, wäre es für mich sinnlos. Das Gebet als Wunschzettel funktioniert nicht.
"Plötzlich sind wir in den Charts, nur weil das ein Mädchen singt"
Wie geht es dem Mittelalterrock im Jahr 2009?Er leidet unter Inflation. In der Geldpolitik heißt Inflation ja, dass alles an Wert verliert, und so sehe ich das auch. Es gibt immer mehr und immer jüngere Bands, die kaum noch zu unterscheiden sind. Ich nenne keine Namen und es gibt sicher auch ein paar innovative Beispiele, die ihren Weg gefunden haben.
Und das führt dazu, dass du mit dem Begriff "Mittelalterrock" und der ganzen Szene noch weniger zu tun haben möchtest?
Ja, durchaus. Es ist faszinierend, dass die Nachfrage immer noch ungebrochen ist. Das sieht man bei den vielfältigen Festivals, bei denen auch wir oft spielen. Vieles ist austauschbar, bis auf drei, vier Kapellen. Corvus Corax sind für mich die Größten der Branche. Da ziehe ich absolut den Hut. Die anderen Kapellen schreiben sich zwar auch Authentizität auf die Fahnen, bringen es aber nicht zu so einer Klasse. Das geht soweit, dass ich auf Festivals durchaus bei acht Bands siebenmal das gleiche Lied verwendet höre, weil der Fundus, aus dem sie schöpfen, begrenzt ist. Deswegen sage ich: Die Mittelalterszene steht am Scheideweg.
Und wie siehts aus mit In Extremo, die letztes Jahr in Deutschland mit dem Album "Sängerkrieg" sogar auf Platz eins waren?
Respekt kann ich da nur sagen. Die Mechanismen, gerade in Deutschland, was den Weg zur Popularität betrifft, habe ich da noch mal überdacht. Und bin zu einem Schluss gekommen, der mich in keiner Weise neidisch werden lässt, aber auch keine Missgunst zulässt. Von einem kniefälligen Respekt bin ich ebenso weit entfernt.
Trotzdem spornt euch so ein Erfolg vielleicht an. Sagt ihr: Wir wollen das auch schaffen?
Werden wir nicht können.
Ihr wart doch auch schon in den Top Ten
Platz fünf war das Beste, das wollen wir schon toppen. Aber unabhängig davon, was die Kollegen erreicht haben. Es gibt auch in dieser überschaubaren Branche mehrere Wege und unser Weg führt eben zu einem wesentlich kleineren Zuhörersegment. Das will ich mal so stehen lassen. Wir schlagen uns nicht gegenseitig die Köppe ein, aber wir umarmen uns auch nicht.
Bist du stolz, dass Eisblume mit eurem Song "Eisblumen" so erfolgreich sind. Subway-Fans sehen die Coverversion teilweise sehr kritisch?
Du siehst mich grinsen. Ich finde das so was von geil, dass ein Lied von uns plötzlich auf Platz drei der Singlecharts ist, nur weil das ein Mädchen singt. Das sagt so viel über unsere Medienlandschaft. Es ist ein schönes Lied, aber es war auch schon schön, als wir es gemacht haben. Ich beobachte das mit großem Interesse und amüsier mich täglich aufs Neue darüber.
Hofft ihr, dadurch neue Fans zu gewinnen?
Ach, wer nimmt das denn wahr, dass das nicht von Eisblume ist. Es ist ohnehin zu beobachten, dass unser Publikum jünger wird.
Wohl schon die Kinder von Fans der ersten Stunde?
Ganz sicher. Das liegt auch an der neuen Verfügbarkeit, etwa durch Myspace oder Youtube.
Bei "Komm in meinen Schlaf" ist Ria, die Frontfrau von Eisblume, jetzt sogar Gastsängerin auf eurem Album
Wir haben auch andere Sängerinnen angehört. Ich habe dann zusammen mit Bodenski aus rein künstlerischen Gründen eine Lanze für sie gebrochen. Ihre Stimme klang am besten, die Souveränität, mit der sie die Höhen singt. Das war eine künstlerische Entscheidung.
Im Pressetext heißt es, nach dem "Dauerstress" der letzten Jahre würdet ihr nach der Apriltour erst mal eine "verdiente Pause" einlegen. Muss man sich Sorgen machen. Leidet ihr an Burnout?
Da muss der Pressetext falsch formuliert sein. Das ist so zu verstehen, dass wir in diesem Jahr nicht wie in den letzten den ganzen Sommer spielen, nicht jedes Pups-Festival mitnehmen. Wir spielen vier große Festivals und machen mal keine Oktobertour, sondern nur die Weihnachtstour. Das ist alles. Und im nächsten Frühjahr werden wir eine geile Akustiktour spielen und wieder alle überraschen.
Und was macht dein Soloprojekt?
Am 5. Juni kommt meine Solo-DVD, mein nächstes Album im September.
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