28. April 2011
"Wir sind billiger als Lena!"
Interview geführt von Artur Schulz2010 war das Jahr der Baseballs, die nun mit neuem Album ihren Erfolg zementieren möchten. Von Eindrücken bei Reisen rund um die Welt und den Transfer von Hip Hop in Rockabilly erzählen die drei im Gespräch mit laut.de.The Baseballs sind stark gefragt an diesem Tag. Bei meinem Eintreffen zum Interview sind sie auf dem Rückweg von einem Radio-Sender-Besuch inklusive Live-Performance. Doch schneller als gedacht tauchen Sam, Digger und Basti in dem kleinen Besprechungsraum der Plattenfirma auf, in dem wir unser Gespräch führen. Begleitet von einem Betreuer, der entschuldigend auf eine Erkrankung von Sam hinweist - in der Tat wirkt er sehr angeschlagen. "Ich weiß auch nicht recht - Schnupfen und Kopfschmerzen, der Kopf ist ganz dicht im Moment, und beim Singen vorhin war es sicher auch nicht vorteilhaft". Doch Sam steht tapfer seinen Mann, echte Rock'n'Roller sind hart im Nehmen.
Bereits zur VÖ des Debüts "Strike!" erhielt ich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit den drei Newcomern; trotz ihres großen Erfolges hatten The Baseballs schon damals mit Jungstar-Allüren nichts am Hut. Heute wirken sie - trotz des Stresses - noch offener und unkomplizierter. Abgehoben ist was anderes.
Zum Anfang muss ich gestehen, dass ich völlig ahnungslos hier auftauche. Da das Interview kurzfristig angesetzt wurde, hatte ich noch keine Gelegenheit, auch nur einen Ton eures aktuellen Albums zu hören, weil ich noch keine Promo erhielt. Amazon hat auch noch keine Hörproben am Start. Darum stürze ich mich zunächst mal auf die schlichte Titelliste. Ich vermute, "Hello" ist ein Cover des alten Lionel-Ritchie-Klassikers? ...
Basti: Nee ....
Dann von Shakespear's Sister?
Digger: Auch nicht. Das ist von Martin Solveig, so eine Dance-Nummer. Viele Leute werden den Song bestimmt nicht kennen und vielleicht sogar denken, der wäre von uns. Beim zweiten Album wollten wir auch mal anderes ausprobieren. Zusätzlich zum Rock'n'Roll haben wir diesmal versucht, Einflüsse der Sechziger - wie z. B. die Beach Boys - mit einzubringen. Gerade "Hello" hat sich prima für so eine Art Beach Boys-Version angeboten.
Aha! Dann liege ich sicher nicht falsch damit, dass "California Girls" ein Beach Boys-Cover darstellt?
Digger: Doch, falsch! (Alle lachen) Das ist nämlich "California Gurls" von Katy Perry. Der Song hat sich so angeboten, daraus was zu machen. Gut, der Hook-Part klingt tatsächlich ein wenig nach den Beach Boys. Und dass die Assoziation dazu schon da ist, freut natürlich!
Zweimal gepatzt. Na gut, aber: "Quit Playing Games (With My Heart)" ist doch nun bestimmt von den Backstreet Boys, oder kommt da wieder was anderes?!
(alle:) Ja! Diesmal richtig! Bravo! Gelächter
Und mit "Ghetto Superstar" von Nas dürfte ich nicht falsch liegen.
Digger: Richtig. Wobei der Nas-Song selbst sich aber ebenfalls einer früheren Aufnahme bedient, nämlich "Islands In The Stream" von Kenny Rogers und Dolly Parton, geschrieben von den Bee Gees. Irgendwie schließt sich da bei uns mit ein Kreis: nämlich dass wir mal einen Song covern, der sowieso selbst schon ein Cover darstellt. Da bekommt man, wenn man die Historie verfolgt, schon einen ganz anderen Bezug zu.
Covern ist aus irgendeinem Grunde seit ewig gang und gäbe. Beispielsweise "Singin' In The Rain", das eigentlich allen in der Version von Gene Kelly bekannt ist. Das Original stammt eigentlich aus den Zwanzigern oder Dreißigern, und wurde schon vor Gene Kelly sehr oft aufgenommen.
Basti: Der Rock'n'Roll ist sowieso voll davon. Vieles existierte schon als z. B. Blues-Songs, bevor es dann in den Fassungen von Elvis und anderen richtig bekannt wurde.
"Wir sind keine Fans von illegalen Downloads"
Bei unserem ersten Treffen damals sagtet ihr mir, dass ihr euch für die Zukunft verstärkt um Eigenkompositionen kümmern wollt. Wie schaut das auf "Stars'N'Stripes" aus?Basti: Wir haben da natürlich auch weiter dran gearbeitet, und ein Song ist dabei.
Was? Nur einer?
Digger: Wir hätten schon ein paar weitere gehabt, weil wir live sowieso immer ein paar mehr spielen, dennoch ist das Album sehr vielseitig geraten. Der eigene Song heißt "Hard Not To Cry", und ist fast sowas wie eine A Capella-Ballade, mit ein bisschen Kontrabass und Gitarre ergänzt. Das bringt eine ganz neue Note hinein. Denn eine richtige Ballade hatten wir noch nie. Der Song kam bei den Fans immer sehr gut an, deshalb haben wir den dann draufgepackt.
Was hat sich im Gegensatz zu "Strike!" sonst noch geändert?
Sam: Zunächst einmal wollten wir uns selbst treu bleiben. Dennoch sind wir abseits von Rock'n'Roll und Rockabilly offener für neue Einflüsse. In diesem Falle für die Musik der sechziger Jahre, mitsamt den bereits angesprochenen Beach Boys. Das Ganze sollte recht sommerlich gestaltet sein, aber gleichzeitig auch nicht so die Haudrauf-Sommermusik. Man dreht im Auto die Fenster runter, es ist schön warm, und damit verbindet man einfach positive Gefühle. Das war die Kernvorgabe.
Basti: Wir haben uns bei der Auswahl der Songs an Nummern gewagt, die für uns vorher eigentlich tabu waren. Eben Rap-Songs wie "Candy Shop" von 50 Cent, da hatten wir uns gesagt: sowas hatten wir auf dem ersten Album nicht drauf. Und es dann ausprobiert und gefragt: was können wir mit diesem eigentlich sehr unmelodiösen Text machen? Das war der erste Rap-Song überhaupt, mit dem wir experimentierten. Wir haben den eigentlichen Basslauf herausgezogen, bearbeitet, und dann versucht, die Nummer auf die fünfziger Jahre zu übertragen.
Und damit eine völlig neue Musikrichtung kreiert: den Rockabilly-Rap?
Basti: Als wir die ersten erkennbaren Züge von "Candy Shop" fertighatten, da dachte ich schon: oh je, funktioniert das eigentlich? Kann man das machen? Ist das eigentlich noch Rock'n'Roll? Dann stellte sich schnell heraus, dass das Ganze tatsächlich groovt, und eine Menge Spaß macht.
Habt ihr gestern zufällig TV Total mit Stefan Raab gesehen?
Digger: Nicht so richtig, das heißt, spät eingeschaltet ... wer war denn da?
Peter Kraus, der Urvater des deutschen Rock'n'Roll.
Digger: Stimmt, das habe ich im Nachhinein noch mitgekriegt! Da war doch diese eine Frau, die Raab die Frage stellte, ob ihr der Name Peter Kraus was sagt.
Kraus hat mit 72 Jahren einen absolut blitzsauberen Auftritt hingelegt. Was denkt ihr über die alten deutschen Helden wie eben Peter Kraus und Ted Herold?
Sam: Ich hab' ihn vor kurzem mal gesehen, in dieser Sendung, die Andy Borg oder so moderiert ... irgendwas mit Volksmusik ... hab' da natürlich nur zufällig reingeschaltet, aber mitbekommen, wie er "Save The Last Dance For Me" gesungen hat. In einer deutschen Version, "Ich Bin Nur Ein Mann" - glaube ich. Er hat es gut performt, andererseits war es ein bisschen schwierig: wenn man so einen Song nur im Original kennt, also auf Englisch, wenn nur der Text übersetzt wird, geht etwas von dem eigentlichen Zauber verloren. Im Kopf hatte ich den Original-Ablauf, und von der Silben-Rhythmik her kam mir das ein bisschen komisch vor. Das ist aber nicht negativ gemeint. Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen Peter Kraus und Ted Herold, wähle ich immer Peter. Ted Herold hat ebenfalls Super-Sachen gemacht, klar. Man muss auch bedenken, dass die beiden Konkurrenten waren damals. Kraus eher der Nice Guy, Herold der Rocker, und dennoch haben beide auf ihre Art das gemacht, was sie wirklich berührte. Das finde ich ziemlich cool. Man muss natürlich nicht alle Lieder von den beiden toll finden, ich find' das aber großartig, was sie damals in Sachen Rock'n'Roll in Deutschland auf die Beine stellten.
Nun sind Elvis und die Sun Records-Zeit bei eurer Art, Musik zu machen, sehr dominant. Habt Ihr auch andere Helden als die üblichen großen Namen? Baggert ihr auch in anderen Kisten des Gestern?
Digger Wir stöbern gern auf YouTube, und du stößt da natürlich auf viele andere Künstler des Genres. Auch da findest du haufenweise Cover früherer Zeiten, z. B. bei Dion: sein "The Wanderer" ist von vielen anderen Sängern neu aufgenommen worden. Wen ich zunächst schon lange nicht mehr auf dem Schirm hatte, war Sam Cooke. Da kennt man oberflächlich eigentlich nur die ewiggleichen Songs, aber der hatte nun wirklich eine ganze Menge mehr zu bieten, als das, was nur immer wieder im Radio gespielt wird. Daraufhin habe ich mir ein Album runtergeladen, und so beschäftigt man sich dank YouTube viel intensiver mit diesen Sachen.
Legal runtergeladen, hoffe ich doch ...
Digger: Ja, klar! Ich hab' sowieso kein Programm, mit dem man sowas illegal runterladen kann, das hab' ich mir auf ITunes besorgt. Ich bin sowieso Fan davon, tatsächlich in Geschäfte zu gehen, und sich dort Platten und CDs zu besorgen. Es gibt z. B. so viele Elvis-Alben, praktisch jedes Jahr kommt ein neues mit unentdeckten Songs oder Probeaufnahmen und so weiter heraus, das ich mir einfach holen muss. Ich bin immer ein Fan davon gewesen, eine CD oder LP in den Händen zu halten, im Booklet und den Beilagen zu blättern. Ich bin kein Fan vom illegalem Runterladen - von legalem auch nicht sonderlich. Nebenbei: wir sind ganz stolz darauf, dass "Stars'N'Stripes" auch auf Vinyl herauskommt - das ist ein Super-Feeling. Und: das Album kann man sich nicht runterladen!
Nun wart ihr im abgelaufenen Jahr viel auf Tournee. Funktioniert die Freundschaft untereinander noch, oder geht man sich irgendwann schon mal auf den Sack?
Sam: Es ist so: gerade, wenn man viel unterwegs ist, im Bus, in dem man auch schlafen muss, sind wir nicht nur zu dritt. Insgesamt sind wir 14 Leute auf Tour. Die einzige Möglichkeit, wenn es um Privatsphäre geht, ist quasi, in die Kabine zu gehen, und den Vorhang zuzuziehen. Wir verstehen uns immer noch super, weil wir untereinander alle gleichberechtigt sind, alles zusammen machen. Ob es nun um die Song-Erarbeitung geht, oder um Video-Drehs. Wir haben da keine tausend Leute im Hintergrund, und fühlen uns deshalb auch nie irgendwo und von irgendwem auf den Schlips getreten. Das schweißt sehr zusammen, und bewahrt vor wirklich brenzligen Situationen. Auch wenn wir jeder unsere ganz eigenen Macken haben. Es klingt vielleicht komisch, aber irgendwie steckt man in sowas wie einer Beziehung. Und nimmt untereinander Rücksicht, das ist sehr wichtig.
"Peter Fox ist sehr cool"
Wie ist die Aufnahme im Ausland? Deutscher Rockabilly? Gab es keinerlei Irritationen?Basti:In England hatten wir eine eigene kleine Tour und den Support für Jeff Beck gespielt. Das war eine Riesensache, gerade, wenn man in einem Land mit einer solchen Musik-Geschichte auftreten darf. Wir hatten aber schon Befürchtungen, was die Resonanz anging. Gerade bei Besuchen von Radio-Stationen, das wurde natürlich aufgegriffen mit unserer Herkunft, aber nicht im Negativen. Eher im Gegenteil, vor allem, wenn sie merkten, dass wir auch über uns selbst lachen können. Das ist schließlich nicht unbedingt etwas, was man dort von Deutschen erwartet. Einfach mal blödeln, was aber nie bedeutet, dass wir die Musik nicht ernst nehmen. Wir waren selbst überrascht, wie positiv die Aufnahme war.
Digger: Die Auftritte in der Royal Albert Hall waren eine tolle Sache. Irgendwie klopft man sich dann gern mal selbst auf die Schulter, wenn sowas klappt. Wir waren sogar in einer Halle, in der schon Buddy Holly auftrat, das macht richtig stolz.
Basti: Irgendwie kommt es mir vor, als ob wir im letzten Jahr nur an 20 Tagen nicht im Ausland unterwegs waren. Eigentlich fehlten nur Neuseeland und Australien. Wir waren viel in Skandinavien, Spanien, Italien, Holland, Belgien, Frankreich, kurz in Polen ...
War Polen so schlimm?
Digger: Das nicht, aber wir wurden einquartiert in einem Hotel, in dessen Räumen am gleichen Tag ein Casting für eine Porno-Website stattfand. Wir kamen also da hin, stiegen aus unserem Bus, und sahen nur hübsche, hmm - Bitches! Ja, ich muss das so sagen! (Gelächter) Wir dachten: also, wenn das so weitergeht, sollten wir vielleicht hier hinziehen! Auf dem Flughafen liefen Polizistinnen in High Heels herum, da denkst du nur: 'Meine Güte, was geht hier denn ab?' Polen ist schon etwas anders.
Wie stehts mit der persönlichen Bodenhaftung? The Baseballs heben nicht ab?
Digger: Gut, wir waren mit dem ersten Album sehr erfolgreich überall, das heißt aber nicht, dass wir nun zum zweiten Album nur große Hallen buchen, wo mindestens 2.000 Leute reingehen. Lieber viermal in einer Stadt in kleineren Clubs spielen, um das Rock'n'Roll-Feeling zu behalten, anstatt nur einmal zu spielen, und zu viele Leute hereinzulassen. Natürlich kommt mal einer aus der Pop-Branche und meint: 'Ihr würdet finanziell aber viel besser dastehen, macht ihr nur ein großes Konzert'. Das ist uns egal. Am Ende geht es darum, was wir und die Fans auf und vor der Bühne fühlen. Es bringt nichts, da nur auf einer großen Bühne herumzustehen, und der Spirit ist nicht da.
Eher Clubs von der Größenordnung der Großen Freiheit also?
Digger: Selbst das war uns schon ein bisschen zu groß. Wir haben danach zwei Monate nur davon gesprochen, dass wir überhaupt in der Freiheit waren, und so viele Leute gekommen sind! Es war ein Super-Konzert, keine Frage. Aber am besten sind Clubs mit so 500 bis 900 Leuten, wo man noch bis in die letzte Reihe gucken kann. Und es wirklich voll ist.
Im Gegensatz zu Lena. Da startet demnächst eine Tour in den größten Hallen, aber ausverkauft ist das Ganze längst nicht. Vielleicht auch, weil die Karten nun nicht gerade im unteren Preis-Bereich angesiedelt sind.
Basti Wenn man in große Hallen geht, werden die Karten automatisch teurer. Das ist ja das Problem. Wenn man faire Preise für die Fans bieten will, kann man nicht in sowas auftreten. Man braucht viel mehr Leute, die da mitarbeiten müssen, das schaukelt sich dann gegenseitig hoch.
Ihr seid auf jeden Fall preiswerter als Lena? ...
Basti Wir sind billiger als Lena! (Großes Gelächter)
Gibt es aktuelle deutschsprachige Künstler, die ihr schätzt?
Digger: Z. B. Bands wie Wir Sind Helden. Das ist alles noch handgemacht, was mehr oder weniger Grundvoraussetzung dafür ist, dass wir uns mit anderer Musik, als wir sie machen, anfreunden. Abgesehen natürlich von Lady Gaga schmunzelt.
Basti: Clueso ist ein Künstler, den ich gern höre.
Sam: Deutschland hat allgemein schon sehr gute Künstler zu bieten. Peter Fox ist sehr cool. Pohlmann finde ich auch großartig. Persönlich ist er ein sehr angenehmer, freundlicher Mensch, der Umgang mit ihm macht einfach nur Spaß. Was er ausstrahlt, wenn er da nur mit seiner Gitarre auf dem Stuhl sitzt, ist super.
Gab es im abgelaufenen Jahr ein Erlebnis, das euch besonders bewegt hat?
Digger: Ganz klar der Amerika-Trip. Da haben wir Graceland besucht, und es nicht nur von außen gesehen! Wir sind auch drinnen gewesen. Das war etwas ganz Besonderes, dort umherzugehen zu können, wo einst Elvis gelebt hat. Als ob der Geist von ihm ganz nahe wäre. Und natürlich die Sun Studios. Da bekommst du Gänsehaut, bist irgendwie inmitten lebendiger Geschichte. Das Original-Piano von Jerry Lewis steht da noch, und ich ging auf die Knie, um es zu umarmen. 'Oh mein Gott, das ist Jerrys Klavier' - ich konnte einfach nicht anders.
Unsere angesetzte Gesprächszeit ist längst vorüber, der Betreuer schaut vorbei, denn der nächste Interview-Termin wartet bereits. Er überreicht mir ein Exemplar von "Stars'N'Stripes" - nun bin ich endlich fachgerecht ausgestattet. Wir verabschieden uns voneinander.
Sam, Basti, Digger: vielen Dank für Gespräch und Platte, und bis zum nächsten Mal!
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