9. Juni 2015
"Von Iggy Pop kenn ich so gut wie nix"
Interview geführt von Michael EdeleDrei Jahre ist es her, dass wir uns mit The Other-Frontmann Rod Usher über "The Devils You Know" unterhielten. Damals wie heute saßen wir beide gemütlich auf dem Balkon - Rod in Köln und ich in Mainz mit dem Telefonhörer am Ohr und einem kühlen Bier in der Hand.
Dieses Mal steht mir der Sänger aber in Sachen aktuelles Album "Fear Itself" Rede und Antwort. Dabei sind Platte und anstehende Touren noch lange nicht alles, was es bei Rod Neues zu berichten gibt.
Mann, ich hab echt einen interessanten Tag hinter mir. Ich hab heute erfahren, dass ich nächste Woche nach Nepal fliege (was zum jetzigen Zeitpunkt bereits passiert ist, d.Verf.). Das ist für die Hilfsorganisation meines Chefs. Der fliegt runter und benötigt jemanden, der vor Ort drüber berichtet und das dokumentiert. Zuerst hatte ich so meine Bedenken, wegen den Erdbeben, aber im Endeffekt bekommt man so eine Chance nur einmal im Leben. Also gehts nächste Woche in den Flieger. Wir sind dann drei Tage vor Ort. Horrorrocker auf Hilfsmission. Das ist auch mal was anderes (lacht).
In der Tat. Und humanitäre Arbeit dieser Art soll auf keinen Fall unerwähnt bleiben. Aber primär wollen wir natürlich über deine Aktivitäten mit The Other reden, und da steht erst mal das neue Album "Fear Itself" an. Für meinen Geschmack setzt ihr den Fans da - neben gewohnt guter Kost - auch ein, zwei recht sperrige Sachen vor.
Lustig, dass du das sagst. Ich hab auch schon genau das Gegenteil gehört, dass es unser eingängigstes Album wäre. Aber der Kollege vom Legacy meinte auch, dass die sperrigen Nummern nach dem dritten Durchlauf plötzlich bestens funktionieren.
Das will ich gar nicht bezweifeln, aber du wirst mir doch zustimmen, dass Songs wie "German Angst" oder "The Price You Pay" zumindest ungewöhnlich für euch klingen, oder nicht? Gerade bei Letzterem, denke ich, geht der Refrain plötzlich in eine Richtung, die man so nicht erwartet.
"German Angst" ist für mich vom Gefühl her sogar ein wenig Black Metal-mäßig, zumindest von den Gitarren her (lacht). Bei "The Price You Pay" kann ich das nicht so ganz nachvollziehen. Okay, die Strophe ist sehr eingängig und der Refrain, genau wie der Mittelteil, nehmen dann eine merklich andere Wendung. Aber vielleicht seh ich das auch anders, weil uns der Song im Proberaum quasi in einem Rutsch von der Hand gegangen ist. Allein die Schlagzeugarbeit im Refrain wurde ein wenig diskutiert, bis wir zum jetzigen Beat gekommen sind. Der Rest ging ganz schnell. Eine Single wird die Nummer aber mit Sicherheit nicht (lacht).
Was mich tatsächlich ein wenig stört, sind die Leadgitarren bei den ersten beiden Songs. Die haben einen sehr penetranten Sound und stehen im Mix sehr im Vordergrund.
He, jetzt mach aber mal halblang (lacht). Das seh ich natürlich komplett anders. Ich finde das gerade so geil, dass wir mit Pat und Ben jetzt zwei Gitarristen haben und das auch entsprechend einsetzen können. Viele haben mir gesagt, dass der Sound dadurch viel breiter und abwechslungsreicher wird und gerade der Einstieg von "Black Sails" wurde schon mehrere Male als besonders gelungen bezeichnet. Durch die zweite, disharmonische Gitarre kommt so ein geiler Gruseleffekt zustande.
Versteh mich nicht falsch, ich bin der Erste, der zwei Gitarren in einer Band bevorzugt und ihr nutzt die Möglichkeiten von zwei Gitarristen weitgehend gut. Es geht mir allein um den Sound der paar Leads, die so penetrant im Vordergrund stehen. Aber du kennst das ja: ein Arschloch, eine Meinung.
Natürlich, aber das ist ja vollkommen oayk. Ich bin tatsächlich sehr zufrieden mit dem Gesamtsound. Wir sind auf gewisse Weise zwar wieder punkiger geworden, allerdings steht es auch außer Frage, dass wir vom Sound der Misfits mittlerweile weiter denn je entfernt sind. Darüber bin ich mir natürlich im Klaren. Wenn ich es beschreiben müsste, würde ich sagen, wir klingen jetzt in etwa so, wie die Misfits klängen, wenn Danzig die Band damals weiter geführt hätte. Dann würden die vielleicht so wie wir bei "Doll Island" klingen.
Und warum klingt "Funeral March" zumindest in der Strophe original nach Iggy Pops "Wild One"? Zumindest, was deine Intonation angeht.
Verdammt, du bist jetzt echt schon der Vierte, der das sagt und ich kann nur sagen: Das war null beabsichtigt! Mir war der Song von Iggy überhaupt nicht präsent, und ich musste mir den erst noch mal anhören, als der Erste mit dem Vergleich kam. Und leider muss ich zugeben: Es stimmt. Und es ist auch keinem meiner Jungs in der Band aufgefallen. Die fielen wie ich aus allen Wolken, als ich ihnen den Song weitergeleitet habe. Es lässt sich ja echt nicht abstreiten, das die Ähnlichkeit da ist, aber eine Intention im Sinne einer Hommage steckt auf keinen Fall dahinter.
Der Song nimmt nach der Strophe auch eine komplett andere Richtung. Dieses 80er-Feeling war aber durchaus beabsichtig, oder?
Ja, das auf jeden Fall. Ich wollte so einen Goth-Punk-Wave-Song haben, wie sie in den 80ern an der Tagesordnung waren. Damit die Goth-Rocker auch ein Bisschen auf der Tanzfläche abgehen können. Ursprünglich wollten wir sogar noch so einen typischen Keyboardsound draufpacken, aber den haben wir nicht richtig hinbekommen, weswegen wir ihn lieber weggelassen haben. Aber der 80er-Wave-Stil ist durchaus beabsichtigt, da hast du recht. Von Iggy Pop kenn ich auch so gut wie gar nichts. Hab kein einziges Album vom ihm daheim. Aber sowas passiert natürlich hin und wieder. Ich hatte auch mal nen Song geschrieben und fand den echt geil, aber dann fiel auf einmal einem im Proberaum auf, dass der total nach Billy Talent klingt. Damit war die Nummer auch gestorben (lacht).
"Sie fragte: 'Wer singt denn da?'"
Ihr habt ja bereits vor der Veröffentlichung von "Fear Itself" auf dem Wave Gotik Treffen gespielt. Wie wars?
Sehr geil. Wir waren schon Samstag da und haben uns Moonspell und Fields Of The Nephilim angeschaut und Party gemacht. Sonntag dann ein wenig regeneriert, und Montag einen richtig geilen Gig gezockt. Der Laden war rappelvoll, das Publikum ist gut mitgegangen, Sound war super – klasse! Das darf mit den Festivalgigs gerne so weiter laufen. Die Gothic-Szene war ja eh die erste, die uns richtig gut aufgenommen hat. Da merkt man schon, dass wir da ein sehr gutes Standing haben, und ich bin von der Szene auch nach wie vor fasziniert.
Das war sozusagen die Festival-Feuertaufe für die neue Besetzung.
Richtig, gerade für die meisten unserer Saitenfraktion sind die großen Bühnen eine ganz neue Erfahrung. Umso erstaunlicher, dass die eigentlich vor der Show weniger nervös waren als ich (lacht). Aber das ist bei mir immer so, egal wie groß oder klein der Gig ist. Vor dem Gang auf die Bühne bin ich ein Nervenbündel. Das legt sich zwar dann schnell, aber der Einstieg ist immer schlimm. Aber die Jungs sind alle dermaßen fit an ihren Instrumenten, dass ich da ruhig auch mal was verscheißen kann und die retten das dann ganz locker. Von den spieltechnischen Fähigkeiten war das Line-Up von The Other noch nie so gut.
In Sachen Songwriting sind dir die neuen Jungs auch schon zur Hand gegangen?
"Zur Hand gegangen" klingt, als würden die meisten Songs von mir stammen, das ist aber nicht so. Ich bin zwar für die Gesangsmelodien und Refrains zuständig, aber die Stücke werden alle gemeinsam geschrieben. Doktor Caligari und ich schreiben da niemandem vor, was er zu spielen hat. Ganz im Gegenteil. Ich bin immer sehr dankbar, wenn sich alle am Songwriting beteiligen und wir dann im Proberaum alle zusammen einen neuen Song ausarbeiten. Die neuen Jungs sind jetzt weniger mit der alten Misfits-Schule aufgewachsen, kennen dafür aber manche 80er-Metal-Band in- und auswendig. Da muss ich dann hin und wieder ein wenig regulierend eingreifen, dass das Ergebnis auch noch nach The Other klingt, aber das sehe ich letztendlich nur als positiv. Die Vielfalt an musikalischen Einflüssen macht es doch gerade aus. Und daraus dann eben den eigenen Bandstil zu kreieren. Das ist doch das, was jeder mit seiner Band versucht. "Animal Instinct" stammt zum Beispiel komplett von unserem neuen Gitarristen Pat und "The Price You Pay" oder "German Angst" von Ben. Wahrscheinlich ist es aber zu einem guten Teil schon meine Stimme und meine Art des Gesangs, die das Wiedererkennungszeichen für unseren Sound sind. Viele der Riffs ließen sich in eine ganz andere Richtung leiten, wenn der Gesang beispielsweise eher auf Metal getrimmt wäre.
Ist die Art des Songwritings immer noch die gleiche wie früher?
Ja, bedingt. Unser Bassist studiert auch Musik, und da die anderen Jungs in der Theorie auch relativ fit sind, kommt es schon mal vor, dass wir ein Riff haben und auf einmal heißt es: "Da würde super was in Fis dazu passen!". Und ich steh dann immer nur dabei und denk mir: "Whatever you say. Macht einfach." (lacht). Das lässt uns deutlich schneller und effektiver arbeiten, weil man nicht mehr so viel ausprobieren muss, was denn passen könnte, sondern man weiß einfach, was tatsächlich passt.
Da du gerade selber den Gesang angesprochen hast: Arbeitet ihr denn mit Gastsängern auf der Scheibe?
Nicht wirklich. Unser alter Basser Victor war dabei und ein Fan, der bei unserem Aufruf, uns im Studio bei Backing Vocals zu unterstützen, gewonnen hat. Der ist dann nach Dortmund gekommen und hat sich echt super angestellt. Was wir vor Ort erst erfahren haben, war, dass er in ner Hardcore-Band geshoutet hat. Der konnte also hervorragend brüllen, was uns sehr zugute kam, da er bei fast jedem Song die Backings gemacht hat (lacht).
Aber in den Strophen ist da sonst außer dir niemand zu hören? Du bringst da nämlich ein paar sehr unterschiedliche und neue Klangfarben ins Spiel.
Lustig, dass du das sagst. Als ich die Scheibe zum ersten Mal meiner Freundin vorspielte, meinte die auch: Wer singt denn da? Das erkennt man an manchen Stellen gar nicht, dass du das bist. Was Ähnliches kam auch vom den anderen Jungs und sogar unser Label SPV hat sich gewundert, dass ich spürbar anders singen würde. Mir selber fällt das gar nicht so auf. Das einzige, dass ich tatsächlich bewusst anders gemacht habe, ist, dass ich zwischendurch das Vibrato ein wenig aus der Stimme genommen habe.
Gerade bei "Dreaming Of The Devil" variierst du stimmlich innerhalb des Songs doch sehr stark. Von sanft über typisch Rod Usher bis hin zu sehr derb.
Zu "Dreaming" haben wir ja jetzt auch das Video gedreht. Da ist schon Abwechslung drin, aber so neu ist das nicht. Das habe ich auf "The Place To Bleed" (2008) auch schon gemacht. Die Abwechslung beim Gesang ist aber auch schlicht und ergreifend der Abwechslung im Song geschuldet. Ich wollte über die Akustiksachen nicht einfach mit meiner gewohnten Stimme drüber weg singen, sondern der Stimmung entsprechend Rechnung tragen und eine neue Dynamik einbringen. Das war mir auf der Scheibe sehr wichtig. Dadurch habe ich auch viele Sachen deutlich tiefer gesungen als früher. Bei "Dreaming Of The Devil" hat sich das angeboten, da der Track einen etwas moderneren Anstrich hat. Den kannste auch in einem Rock/Metal-Schuppen laufen lassen, ohne dass gleich alle an Punkrock denken.
Bekommst du die Sachen, die du jetzt im Studio gesungen hast live alle hin?
Auf jeden Fall. "Dreaming" haben wir auf dem WGT gespielt und das lief absolut genial. Und dadurch, dass ich wie gesagt viele tiefer singe als früher, dürfte das alles eh kein Problem darstellen. Bei einer Nummer wie "Mephisto" singe ich an manchen Stellen sehr hoch. Das würde ich mir natürlich auf der Setlist nicht in eine Reihe mit zwei, drei anderen Songs in einer derartigen Tonlage legen. Aber grundsätzlich bring ich das alles auch live auf der Bühne.
"Endlich geht es wieder richtig voran!"
Produziert hat die Scheibe wieder Waldemar Sorychta. Wie groß ist der Einfluss, den er auf euer Songwriting hat?
Beim Vorgänger haben wir ihn noch etwas stärker zu Rate gezogen, aber dieses Mal waren wir mit der Vorproduktion schon weitgehend da, wo wir auf dem Album hin wollten. Wir haben ihm die Sachen zugeschickt, und er hat dann noch vereinzelt ein paar Vorschläge in Sachen Gitarrenarbeit gemacht. Hier mal was vereinfacht, da was gekürzt oder verschoben - was man sich von einem Produzenten eben erhofft und erwartet: produktives Feedback und ein paar Vorschläge, die man selbst vielleicht nicht hatte. Wo er uns sehr geholfen hat, war das Thema Harmonien. Da ist der Mann einfach unschlagbar. Zu 95 Prozent ist das Material zwar noch mit unserer Vorproduktion identisch, aber Waldemar ist, nicht nur als Produzent, mittlerweile sehr wichtig für The Other. Auch wenn es dieses Mal vielleicht nur Details waren - die darf man nicht unterschätzen.
Das Outro von "Mephisto" ist fast schon großes Filmkino.
Jaha, und das war ursprünglich sogar noch größeres Filmkino. Wir sind da schwer in die Tim Burton-Ecke gegangen, aber das war meinen Jungs dann doch eine Nummer zu krass, weil die mit den vielen Dissonanzen nichts anfangen konnten. Aber der Plan war durchaus, das Stück sehr episch enden zu lassen. Etwas anderes wäre dem Faust-Thema auch gar nicht gerecht geworden.
Stammt das Outro denn von dir?
Nein, wir haben im Proberaum mit der Gitarre eine kleine Vorarbeit geleistet, und das dann an Chris Dominik Dellacher geschickt. Der ist Komponist und leitet auch ein eigenes Orchester. Das Bochumer Symphonie Orchester führt momentan ein Stück von ihm auf. Dirigent, Komponist, Arrangeur, Professor, studiert, muss ich mehr sagen? Der Mann ist unglaublich. Er hat auch bei den letzten beiden Alben die Intros geschrieben, die Keyboards gespielt und uns sogar bei einem Gig mal live begleitet. Das würde ich gern öfters machen, liegt aber leider nicht in unseren finanziellen Möglichkeiten (lacht). Der Typ ist echt ein Genie. Das ist einer von denen, die Töne als Farben sehen (auch Synästhesie genannt, d.Verf.) und der schüttelt sich Idee und Arrangements aus dem Ärmel, da kippst du echt vom Stuhl. Mit dem mal richtig Songs zu schreiben, wäre schon so ein kleiner Traum von mir. Dann gerne auch Filmmusik und ähnliches. Allein schon, um neue Insights zu bekommen, denn so jemand geht ja ganz anders ans Songwriting ran, als du es selbst gewohnt bist. Was ich aber auch immer wirklich großartig finde, ist, wenn du deinen eigenen Song hörst, und der durch seinen Beitrag auf einmal ein ganz neues Eigenleben bekommt und auf einmal viel größer wird, als er er vorher war.
Nachdem ihr jetzt ja wieder komplett seid und live spielen könnt, steht demnächst sogar eine England-Tour auf dem Plan.
Ja, ich kann das selber noch gar nicht wirklich fassen. Wenn man bedenkt, dass wir uns schon fast aufgelöst hatten, bevor Pat, Ben und Aaron in die Band kamen. Und plötzlich steht da dieses Tourangebot mit Christian Death im Oktober. Dann sind wir fünf Tage zuhause, bevor es für sechs Tage ab nach England geht und im März 2016 haben wir jetzt sogar eine dreiwöchige US-Tour bestätigt bekommen. Das ist so geil, endlich geht es wieder richtig voran und ein Zahnrad greift ins andere. Die neuen Jungs sind heiß und freuen sich genauso wie ich auf die Touren. Und dass sich Pat auch noch sehr gut mit Videoschnitt und solchem Kram auskennt, schadet natürlich ebenfalls nicht. Es ist eine ganz neue Euphorie vorhanden, weil die Nachfrage nach The Other einfach größer als je zuvor ist. Jetzt gehts richtig ab!
1 Kommentar mit 3 Antworten
Eine Band, die ganz bewusst den Misfits nacheifert, die einen Batcave-Song aufs Album packt, um Teile ihrer Fanbase zu bedienen, die Fans im Studio die Backings einsingen lässt... Ja, das ist wohl alles etwas von künstlerischem Anspruch entfernt. Aber dafür bekommt man, was man erwartet: Puren Horror-Punk. Macht gerade live erstaunlich viel Spaß! Gibt es eigentlich aktuell sonst noch irgendetwas in diesem Genre?
naja, von ein zwei schwedischen bands mit "fragwürdiger" gesinnung abgesehen, natürlich die famosen coffinshakers auf finnland, die exakt so klingen als täten die misfits johnny cash nachspielen
Calabrese könnt ich da empfehlen, gefallen mir wesentlich besser als the other,welche mir zu melodisch sind.
Danke euch für die Tipps!! Ich maße mir, aufgrund kurzen Reinhörens auf youtube zwar kein Urteil an, aber dem Ersteindruck nach finde ich Calabrese ein wenig langweilig. Coffinshaker allerdings ist Kino!