30. März 2015
"Die Szene ist völlig verweichlicht"
Interview geführt von Kai ButterweckMit ihrem neuen Album "The Day Is My Enemy" bringen The Prodigy das nach eigenen Angaben bis dato "düsterste und härteste Material" der Bandgeschichte an den Start.
In Branchen-Kreisen wird das neueste Werk einer Band fast immer immer mit Superlativen à la "das beste", "das härteste" und "das wildeste Album" angekündigt. Im Fall des neuen Prodigy-Albums liegen die Verantwortlichen mit ihrer Einschätzung aber gar nicht mal so falsch. "The Day Is My Enemy" präsentiert sich nicht gerade als Party-Album. Aber warum, wieso, weshalb? Was bringt eine Band, die nun schon seit über zwanzig Jahren mit geschwollenen Mittelfingern unterwegs ist, noch so dermaßen auf die Palme? Wir trafen uns mit Sänger Keith Flint und Regler-Nerd Liam Howlett im Berliner Soho-House und fragten nach.
Hi ihr zwei, wie schwer fällt es euch mitten am Tag Interviews zu geben?
Keith: (lacht) Der Horror!
Liam: Normalerweise lautet unser Motto: We only come out at night. Nein, im Ernst: Wir haben kein Problem mit Tageslicht. Wir sind ja keine Vampire. Wir arbeiten nur lieber nachts. Zumindest ich.
Du schreibst und komponierst hauptsächlich nachts?
Liam: Ja.
Warum?
Liam: Nachts bekomme ich einen anderen Zugang zur Musik. Ich fühl mich irgendwie freier, nicht so beobachtet. Nachts kann ich einfach in Ruhe arbeiten. Es klopft keiner an die Tür, und auch mein Handy bleibt meist stumm. Die perfekten Voraussetzungen, um sich künstlerisch zu betätigen.
Würden eure Alben handzahmer klingen, wenn ihr tagsüber schreiben, produzieren und aufnehmen würdet?
Keith: Schwer zu sagen. Vielleicht würden sie aber hektischer klingen.
Liam: Das glaube ich auch. Und es würde wahrscheinlich auch kein Album "The Day Is My Enemy" heißen (lacht).
Ein ziemlich böses Album.
Liam: Oh ja, das ist es.
Keith: Es ist ein richtiges Band-Album geworden. Das haben wir auch schon mit dem letzten Album angedeutet ("Invaders Must Die"). Diesmal haben wir aber alle Lücken geschlossen. Es gibt keinen Song, der sich anhört, als hätte da nur jemand gelangweilt hinter dem Laptop gehockt.
Liam: Wir haben das Ganze einfach laufen lassen. Und das kam dann dabei raus: Ein wildes, organisches Elektro-Brett, das einem die Schuhe auszieht. Jedes Album ist eine Reaktion. Auch dieses Album entstand aufgrund diverser Ereignisse und Erfahrungen, die wir in den vergangenen vier Jahren erlebt und gemacht haben.
"Es brauchte mal wieder einen richtigen Schlag in die Fresse"
Von welchen Erfahrungen und Ereignissen sprichst du?
Liam: Nun, da kam so einiges zusammen. Ich will das jetzt nicht alles detailliert breittreten. Ich rede von Frustrationen im kreativen Bereich, von Beziehungsdramen und jeder Menge Scheiß, der sich in der Öffentlichkeit breitmachte. Ich meine, hör dir doch den ganzen Elektro-Müll von heute an. Die Entwicklung ist besorgniserregend. Es wird immer softer. Da brauchte es mal wieder einen richtigen Schlag in die Fresse, wenn du mich fragst.
"The Day Is My Enemy" soll also gezielt aufrütteln?
Keith: Ja, genau. Es soll den Leuten da draußen wieder vor Augen führen, was wir vor 25 Jahren eigentlich lostreten wollten. Die Szene ist völlig verweichlicht. Es fehlt das Feuer. Wir möchten, dass man Elektro-Musik wieder ernst nimmt und nicht als etwas wahrnimmt, dass nur in oberflächlichen Großraumdiskotheken abgefeiert wird.
Davon gibt's auf Ibiza ganz viele, habe ich mir sagen lassen.
Liam: Nicht mehr lange, hoffe ich (lacht).
Übrigens mein Lieblingstrack auf dem neuen Album.
Liam: "Ibiza"?
Ja.
Liam: Ja, da bist du nicht der einzige. Wobei ich nicht denke, dass es die Lyrics sind, die die Leute von den Sitzen reißen. Ich denke eher, dass es dieser ungezügelte Auf-die-Fresse-Sound ist, der Spuren hinterlässt. Dass auf Ibiza oder irgendwo anders auf der Welt Elektro-Musik vergewaltigt wird, ist doch schon lange kein Geheimnis mehr. Das allein zur Sprache zu bringen, reicht nicht aus, um die Menschen zu erreichen. Man muss ihnen auch zeigen, wie man es richtig anpackt. Man muss einen musikalischen Gegenentwurf präsentieren.
Muss man das wirklich noch? 25 Jahre nach "Firestarter"?
Liam: Scheinbar schon. Warst du schon mal auf Ibiza?
Nein.
Liam: Eine schöne Insel, keine Frage. Auch die Menschen sind toll. Versteh mich nicht falsch, ich bin wirklich gerne dort. Aber was das Nachtleben angeht ...
Ich finde auch "Rock-Weiler" sehr gelungen; ein Song, der schon fast zweieinhalb Jahre auf dem Buckel hat.
Keith: Ja, dieser Song stammt noch von der ersten Album-Session. Wir hatten 2012 schon ein halbes Album fertig.
"Es gibt da draußen nur noch wenige Künstler, die ihr Ding durchziehen"
Was ist mit den restlichen Songs passiert?
Liam: Wir haben einige davon immer mal wieder live gespielt. Aber irgendwann hatte ich keinen Zugang mehr zu dem Material. Es fühlte sich nicht mehr richtig an. Manchmal läuft es einfach so. Man hat ein bestimmtes Ziel vor Augen, dem sich alles andere unterordnen muss. Dazu gehören auch Songs. Da kann dann schon mal was auf der Strecke bleiben.
Um zu einem späteren Zeitpunkt dann wieder aufgesammelt zu werden?
Liam: Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Einige der Songs, die es letztlich nicht auf das neue Album geschafft haben, werden wir sicherlich noch veröffentlichen. Da gibt es ja mehrere Möglichkeiten. Über das wie und wann habe ich mir aber noch keine Gedanken gemacht.
Es gibt Leute, die euch eine fehlende Weiterentwicklung vorwerfen. Nervt euch das?
Liam: Nein.
Keith: Nein.
Geht euch am Arsch vorbei?
Liam: Mich interessiert das Geschwätz solcher Leute nicht. Dass hat es noch nie. Schon gar nicht, wenn es von Leuten kommt, die keine Ahnung haben. Wir haben uns definitiv weiterentwickelt. Wer das nicht erkennt, dem ist nicht zu helfen.
Irgendwo stand zu lesen, dass man einen 25 Jahre alten Song wie "Firestarter" auch auf dem neuen Album hätte parken können. Die neuen Songs würden sich lediglich um altbekannte Achsen drehen.
Keith: Solche Aussagen kommen immer von Leuten, die auch Probleme mit Bands wie AC/DC oder den Ramones haben. Das juckt mich nicht. Wir haben nun mal unsere Trademarks. Hallo? Wir sind The Prodigy! Wir sind keine Band, die sich an irgendwelchen Hypes orientiert.
Liam: Vor mehr als zwanzig Jahren haben wir einem Genre in den Arsch getreten, das am Boden lag. Dabei standen unsere Bedürfnisse aber stets im Vordergrund. Die Musik, die wir aus dem Boden gestampft haben, war unser Ding. Heute machen wir nichts anderes. Wir interessieren uns nicht für die Meinungen von anderen. Genau das macht diese Band aus. Wir sind authentisch. Es gibt da draußen nur noch wenige Künstler, die ihr Ding durchziehen. Die meisten lassen sich manipulieren.
Ich schreibe lieber noch hunderte Songs, die sich um die Achse dessen drehen, was einst für einen musikalischen Urknall sorgte, als irgendeinen kurzlebigen Saison-Mumpitz zu komponieren, an den sich ein Jahr später kein Schwein mehr erinnert. Glaube mir, wir treffen keine Entscheidungen aus Bequemlichkeit. Wir haben alle unseren eigenen Kopf. Wir sind keine Ja-Sager. Schlussendlich landen wir aber immer wieder an ein und demselben Ort. Dort ist es dunkel, kalt und gefährlich. Dort werden keine Kompromisse gemacht. Laut, aggressiv und auf die Zwölf: Das war vor 25 Jahren so, und das wird auch so bleiben.
Wie lange noch?
Liam: Wir haben keinen Masterplan. Wir hangeln uns von Album zu Album. Es geht bei The Prodigy nicht um ein künstlerisches Konzept, das irgendwann abgeschlossen ist. So lange uns Dinge beschäftigen, die sich mit unserer Musik verarbeiten lassen, werden wir keine Ruhe geben.
Also sollten sich eure Fans eher darüber freuen, wenn auf Ibiza mal wieder eine neue Großraumdiskothek eröffnet wird?
Keith: (lacht) Ibiza ist doch nur die Spitze des Eisbergs.
Liam: Wir werden immer da sein, wenn's brennt. Ibiza, New York, London, Berlin: Es spielt keine Rolle, wo sich der schleimige Kommerz breitmacht. Wir waren schon überall und wir werden auch in Zukunft keine Ruhe geben; ganz egal, ob wir irgendwo einmarschieren müssen, wo wir schon zigmal waren.
11 Kommentare mit 12 Antworten
joa das ist mal wieder typisch laut.de, erst das album kritisieren und mit 2-punkte abstempeln und im interview den jungs dann schön in den arsch kriechen und keine einzige kritische frage stellen oder sich nur auch nur annähernd auf die negative resonanz seitens laut.de einzugehen
aja "sich nur" war rhetorisch falls gleichwieder die klugscheißer mir hier was von rechtschreibung oder grammatik an den kopf schmeißen wollen
#rapbrauchtkanabitur
Die Klugscheißer dürften das größere Problem in deiner Logik als in deiner Rechtschreibung sehen. Das Interview und die Rezension stammen von verschiedenen Menschen. Was hätte Kai Butterweck deiner Meinung nach tun sollen? Eine Live-Schaltung zu Sven aufbauen, damit er The Prodigy mal schön seine Meinung sagen kann?
Wär mal eine gute Idee. Kai lasse man den unangenehmen Part als Interviewer machen und Sven holt per Skype nochmal zum Roundhousekick aus.
Jojo, wie bei den Bullen: guter und boeser Cop...
@morpho: Ist schon ok. Lass ihm seine Folklore. Muss auch sein.
was heißt hier verweichlicht? die haben wohl noch nix von Oomph! gehört (was aber in so gehobenen Musikerkreisen schier unmöglich ist...)
Das Album ist absoluter Schrott. Da kann man sich ne Oma beim Einkaufen ansehen, das ist spannender. Ich habe mir die maximale Vorverkaufsgrütze bestellt. Mit cd Lp Tshirt bla weil das letzte Album echt gut war das beste bisher. Die ersten Beiden Tracks sind ganz gelungen aber der dem Rest fehlt irgendwie alles. Vielleicht kann ich die Lps ja noch als Untersetzer für fettiges verwenden...
Das Interview wimmelt nur so vor Nullaussagen. Die ewigen Revoluzzer machen ihr Ding. Wie austauschbar. Ein Interview soll steuern. Hier rollt der Wagen im Leerlauf ohne Lenker gegen den Rinnstein.
Wie lobe ich mir das Musiker-Interviews in der SZ am Wochenende - gut vorbereitet, unerwartet. Und die Musiker werden an Orten abgeholt, auf die sie ihr Presse-Fuzzi nicht vorbereitet hat. Vgl. Lemmy oder Herbie Hancock. Vielleicht haben The Prodigy einfach auch nicht mehr zu sagen, das sei dahingestellt.