laut.de-Biographie
White Lung
Wir schreiben das Jahr 2006 im gegenüber Toronto künstlerisch doch eher beschaulichen Vancouver. Sängerin Mish Barber-Way, Drummerin Anne-Marie Vassiliou, Gitarristin Natasha Reich und Bassist Grady Mackintosh gründen White Lung - benannt nach der Krankheit, an der Bäcker durch das viele Mehlatmen leiden. Mit Ausnahme von Vassiliou kennt die Bandmitglieder selbst im hippen Problem-Stadtviertel Downtown Eastside bislang kein Schwein, was sich aber bald ändern soll. Reich verlässt die Band noch vor dem Erstling, dafür stößt mit Kenneth Williams ein weiterer Mann zu der nun geschlechtergerecht gemischten Truppe.
"It's The Evil" bricht 2010 über die Punkszene herein und verschafft den vier Kanadiern gleich gehörige Aufmerksamkeit. Mish Barber verströmt Wellen an roher Energie, dass es nur so scheppert. Seit Courtney Love hat selten eine Frontfrau so nach Dynamit gerochen wie die erst Anfang zwanzigjährige Mish. Der Sound baut auf schnelle Riffs, noch schnellere Drums und dem darübergelegten hohen, nicht gegrowlten und trotzdem aggressiven Gesang von Barber auf. Das Erfolgsrezept verfolgt die Band auch 2012 auf dem Zweitwerk, das auf dem lokalen Label Deranged erscheint, auf dem auch "Fucked Up" groß wurden.
"Sorry" entschuldigt sich schon im Voraus und führt unter anderem zu einem umjubelten Auftritt der Band beim berühmten SXSW. Es gerät gar noch kompromissloser als das Debüt, in unter 20 Minuten ist die ganze Chose erledigt. Auf dieses Statement hin verlässt Mackintosh jedoch die Band und wird nie richtig ersetzt. Williams übernimmt den Bass im Studio und wechselnde Bassistinnen begleiten die Band auf Tour, ab 2016 ist das Caroline Doyle.
2014 erscheint das wichtigste Album der Bandgeschichte - und eines der wichtigsten Punkalben der 2010er-Jahre überhaupt. Für "Deep Fantasy" holt Pitchfork die 8.6 raus und die Band wechselt klugerweise vorher zum Edel-Indie Domino. Das Album stellt nicht nur einen Höhepunkt der Bandgeschichte dar, sondern auch einen Meilenstein im Schaffen des Produzenten Jesse Gander, sonst vor allem von Japandroids bekannt. Er produziert die Band seit Beginn und kann für sich beanspruchen, deren komplexes Songwriting auf "Deep Fantasy" in den perfekten Rahmen gegossen zu haben. Die Presse überschlägt sich vor Freude, die Festivals werden immer größer.
Für den Nachfolger lassen sies sich zwar nur zwei Jahre Zeit, es kommt aber zu einem klaren Bruch: Lars Stalfors übernimmt die Produktion von "Paradise", er verantwortet unter anderem Alben der Cold War Kids. Schon fällt das daraus resultierende Album viel melodischer aus, Barber bezeichnet das Album sechs Jahre nach Erscheinen als "beautiful, gritty glitter" und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Vielen Fans bekommt die Veränderung gar nicht, aber "Paradise" kommt davon unbeeindruckt glänzend bei der Kritik an und fährt kommerziell Erfolge ein.
Es ist also alles auf einem richtig guten Weg, als 2017 die Aufnahmen für den Nachfolger beginnen. Mish Barber schwingt sich mit Whiskey und Zigaretten ins Studio, als sie unerwartet schwanger wird. Dann passiert Covid und 2020 wird die Frontfrau erneut schwanger. So verschiebt sich "Premonition" immer weiter und erscheint letztlich erst im Dezember 2022. Als wäre das nicht genug Mühsal für die Fans der Band, verkündet diese, sich nach Veröffentlichung des Albums aufzulösen. Die Band hat seit 2017 nicht mehr live zusammen gespielt, deshalb wird die Möglichkeit für Abschiedsshows von den Bandmitglieder eher dilatorisch geprüft.
Barber betont gegenüber dem Upset Magazine jedoch, dass die Band in vollem Frieden auseinanderginge, die Geschehnisse der letzten Jahre hätten die Band letztlich einfach obsolet gemacht. Und sie ist froh, durch die Kinder ihr altes Ich hinter sich gelassen zu haben:
"In meinen Zwanzigern war ich ein absolutes Wrack. Ich hatte keinerlei spirituellen Kompass und war sehr auf mich selbst bezogen und wütend. Wenn ich heute Interviews von mir durchlese, die ich mit 27 gegeben habe, denke ich peinlich berührt 'Oh mein Giott, diese Person ist ein Desaster'".
Die Band hinterlässt mit "Premonition" ein Schlusswerk, das sie musikalisch auf der Suche zeigt. So bleibt angesichts des immer noch jungen Alters der Bandmitglieder die leise Hoffnung, auch nach "Premonition" noch etwas von den Kanadiern zu hören.
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