2. März 2017

"Ich bin eine Popschlampe"

Interview geführt von

Zeal & Ardor verknüpfen Black Metal mit afroamerikanischen Work Songs. Was als Witz begann, steht mittlerweile auf dem Billing des Roadburn-Festivals und bringt frischen Wind ins Metal-Dickicht.

Die satanischen Opferrituale des Black Metal auf der einen, gospelige Gruppenchants auf der anderen – es dürfte schwer werden, eine ungewöhnlichere Genre-Kollision als Zeal & Ardor zu finden. Das Debütalbum "Devil Is Fine" erschien digital bereits Mitte 2016 und sorgte im Metal-Untergrund für einiges Aufsehen. Nun folgt ein breiteres Release, außerdem begibt sich das bislang vor allem im Studio aktive Projekt im Frühjahr auf Europatournee.

Dahinter steht Mastermind Manuel Gagneux, der die ersten Gehversuche mit Zeal & Ardor während seiner Zeit in New York unternahm und zuvor bereits unter dem Namen Birdmask genreübergreifend Musik machte. Zwar hat Gagneux an dem Abend in der Schweizer Heimat noch eine Barschicht zu absolvieren. Vorher beantwortete er uns allerdings im Berliner Ramones-Museum noch ein paar Fragen.

Zeal & Ardor wird von manchen als das musikalisch Innovativste angesehen, was 2016 hervorbrachte. Dabei hat alles mehr oder weniger als Witz angefangen...

Ja, das stimmt.

Siehst du es jetzt immer noch ein bisschen als Witz? Oder wann war der Punkt erreicht, an dem es ernster wurde?

Ab dem Moment, als ich mich wirklich leidenschaftlich reingestürzt habe, wurde es ernst. Aber ich finde halt Gospel mit satanistischer Konnotation einfach sehr witzig. Ich glaube, daran wird sich auch so bald nichts ändern.

Wo hast du eigentlich angesetzt, um diese beiden Pole zu verbinden?

Ich habe einfach ein paar Experimente angestellt. Die ersten paar Lieder waren übrigens richtig scheiße. Ich brauchte irgendwie einfach mehrere Iterationen. Es war gar nicht so einfach. (lacht)

Wie lange hats gedauert?

Hm, so etwa sieben Lieder lang, meine ich. Dann kam ich so langsam rein und es hat geklappt.

Existieren die ersten Versuche noch irgendwo?

Ja, aber die werd’ ich nie veröffentlichen, haha. Die sind wirklich scheiße.

Die Ursprungsidee stammt ja aus dem Forum 4Chan. Tummeln sich dort noch andere Musiker mit ähnlich obskuren Ideen?

Ja, genau. Dort hab ich von der Community immer Vorschläge über zwei Genres entgegengenommen und das dann in Lieder verpackt. Und klar: ich habe Bandcamp-Pages gefunden mit aleatorischem Anti-Folk und Ambient Industrial Gabble. Alles mögliche.

Was hast du denn noch für Vorschläge bekommen?

Ich glaube das Interessanteste war "Chiptune-Folk" oder so. Hörte sich alles ziemlich scheiße an, muss ich sagen. Aber es existiert.

Kannst du Haupteinflüsse von beiden Seiten nennen – Work Songs und Black Metal?

Burzum, Darkthrone und Naglfar sind drei große Namen für die Metalseite. Und ich habe mich durch Aufnahmen eines Herrn Lomax gehört. Das war ein Musikwissenschaftler, der für ein Museum die Aufgabe übernommen hat, das Kulturgut dieser neuen Nation irgendwie festzuhalten. Er und sein Vater haben im Zuge dessen unglaublich viel Musik aufgenommen. Das waren eben diese Work Songs, Prison Chants... All das. Wie die Leute darauf alle hießen, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht mehr.

Warst du vorher eigentlich schon ein bisschen in dieser Art Musik drin?

Nie wirklich tief und ernsthaft, nein.

Was hat dich daran dann besonders fasziniert?

Es hat eine enorme Schwere. Und etwas Gemeinschaftliches. Wenn man diese Musik hört, hat man irgendwie das Bedürfnis, daran teilzunehmen. Was wiederum der totale Gegenentwurf zu Black Metal ist.

Wo eher die Isolation im Vordergrund steht.

Genau. Aber ich glaube, der interessante Effekt ist, wenn man als Präludium eben dieses spirituelle Zeug hat und dann die Black Metal-Elemente kommen, nimmt man die eher als Rückenwind wahr, statt als Schlag ins Gesicht.

"Künstler und Werk sollte man trennen"

Auf "Devil Is Fine" finden sich mit der "Sacrilegium"-Trilogie drei Songs, die eigentlich weder mit Black Metal noch mit dem Work Song-Kontext was zu tun haben, sondern fast in Richtung Hip Hop / Pop schielen. Wieso passen sie für dich trotzdem in diesen Rahmen?

Diese drei sind gewissermaßen thematisch Sakrilegien. Das erste verfügt über einen Muezzin-Gesang – wenn man den verändert ist das automatisch Haram und also unheilig. Im zweiten versteckt sich ein Tritonus-Intervall. Und das dritte ist einfach ein Synthesizer-Track auf einem Metalalbum und das an sich ist schon ein Sakrileg. (lacht)

Wie viel von dir selbst steckt eigentlich in Deal & Ardor? Und wie sehr ist es eine Rolle, die du spielst?

Ich bin der festen Überzeugung, dass man Künstler und Werk trennen sollte. Klar, es kommt von mir, aber ich sehe mich nicht als Person darin, ich kann mich nicht damit identifizieren. Ich bin nicht Zeal & Ardor.

Was ist denn dein persönlicher Standpunkt zum Thema Spiritualität aus?

Ambivalenz, glaube ich. Ich bin selbst nicht religiös, verstehe aber, dass viele Leute es sind. Meine Haltung zu dem Ganzen ist etwas seltsam. Ich bin nicht religiös aufgewachsen, nicht getauft oder so. Aber es ist faszinierend, dass Religion derart viele Leute so stark beeinflussen kann.

War es auch eine Inspiration, etwas zu nehmen, das so viele Leute bewegt, und quasi mit der entsprechenden Antithese zu kombinieren? Dieses provokative Element?

Ein bisschen sicher. Obwohl das nicht die ursprüngliche Intention war. Für mich waren eher die amerikanischen Sklaven interessant, die in diesem Kontext steckten. Weil ihnen eben – wie auch den Norwegern – das Christentum aufgezwungen wurde. Da die Norweger auf interessante Weise rebelliert haben, habe ich mich gefragt, was wohl wäre, wenn die Sklaven das auch getan hätten.

Könntest du dir vorstellen, in Zukunft vielleicht auch eine andere Utopie in der Art zu vertonen?

Ja, schon. Aber ich werde erst einmal diese hier ein bisschen verfolgen.

Also kommt noch mehr von Zeal & Ardor.

Ja, definitiv.

Zeal & Ardor ist in New York entstanden, aber ursprünglich kommst du ja aus der Schweiz. Was hast du eigentlich getrieben, bevor du 2012 in die USA übergesiedelt bist?

Ich hatte andere Musikprojekte am Laufen, auch einige Theatersachen. Aber eigentlich war immer alles ziemlich musikorientiert.

Ein Grund nach New York zu gehen, war, sich bewusst zu isolieren, um sich auf die Musik konzentrieren zu können, habe ich gelesen.

Ja, richtig. New York ist dafür auch ein super Ort. Egal welche Art von Musik du machst – wenn sie schon existiert, gibt es dort jemanden, der es besser kann. Das zwingt dich, etwas Originelles zu schaffen.

Aber von der Musik leben kannst du nicht oder?

Nein. Ich betreibe mit ein paar Freunden eine Bar. Dort organisieren wir auch Konzerte und so.

In New York?

Nee, in der Schweiz. So cool bin ich nicht, haha.

Vor Zeal & Ardor warst du unter dem Namen Birdmask aktiv. Und zwar recht poppig, obwohl du in deiner Jugend doch eher der Metalhead warst. Wann hat das denn angefangen, dass du auf die Pop-Schiene gekommen bist?

Keine Ahnung, ich fand das einfach irgendwie witzig. Und ich war wohl auch schon immer ein bisschen eine Popschlampe. Wenn etwas catchy ist und man es plötzlich mitsummt, hat das doch was oder? So hat diese Faszination für Pop angefangen.

Gab es mal die Überlegung, Zeal & Ardor einfach unter dem Birdmask-Banner aufzuziehen? Dort bist du eigentlich auch recht breit aufgestellt.

Ich war ein bisschen frustriert wegen des Birdmask-Dings – es war mir irgendwie zu lieb. Also habe ich angefangen, Songs zu schreiben, die etwas böser waren, und diese dann unter dem Namen Zeal & Ardor auf eine Soundcloud-Page gekickt. Es hat als etwas anderes angefangen. So ganz homogen wäre das glaube ich auch nicht gelaufen.

"Jetzt müssen wir an die Säcke"

Du meintest vorhin, dass du Künstler und Musik strikt trennst. Und hast auch Burzum als Einfluss erwähnt. Also ist es nicht nur beim Musikmachen, sondern auch beim Musikhören so?

Ja, zwanghafterweise. Das Ding ist: Der Typ (Burzums Varg Vikernes, A.d.R.) kann noch so ein Arschloch sein, aber seine Musik finde ich halt trotzdem gut. Ich finde, das hat ja einen Wert. Man sollte das trennen können. Aber vielleicht sage ich das jetzt auch nur als Ausrede, wer weiß? (lacht) Ja, scheiße eigentlich. Aber die Haltung ist einfach nicht so mit mir vereinbar. Ist wohl auch besser so.

Definitiv. Aber da wir jetzt eh schon beim Thema sind: Haben die Ereignisse des letzten Jahres – oder besser der letzten Jahre – dich eigentlich musikalisch beeinflusst?

Ja, schon. Dass ich das mit den Schwarzamerikanern so thematisiert habe, geschah auch ein bisschen aus einer Trotzreaktion heraus. Als damals die Leute erschossen wurden, habe ich noch in New York gelebt. Wenn man dabei dann auch noch vor Ort ist, rüttelt das schon an einem. Wenn man einfach den Polizisten nicht trauen kann und existentielle Todesangst hat.

Es hat dich ja auch irgendwie betroffen.

Ja, eben. Das ist nicht wirklich cool.

Wie hast du es denn im Vergleich zur Situation hier wahrgenommen? Kann man das miteinander vergleichen oder sind zwar die Tendenzen gleich, aber das Ganze doch verschieden?

Ich glaube, es wird ähnlicher. Als ich in New York angekommen bin, war es aber schon etwas Anderes. Die Xenophobie hier ist nicht spezifisch, wohingegen sie in den USA schon ihre spezifischen Ziele hat. Hier ist man generell gegenüber anderen misstrauisch.

Auf dem "Devil Is Fine"-Cover ist Robert Smalls zu sehen. Warum hast du ausgerechnet ihn gewählt?

Das war einfach ein knallharter Typ, haha. Ein Sklave, der entflohen ist, dann ein Schiff geklaut hat, noch mehrere Leute befreit hat und später Politiker wurde. Er überdeckt vom Sigel Luzifers fasst das Album irgendwie sehr schön zusammen, finde ich.

Willst du diese Thematik eigentlich auch in der Liveshow dann noch deutlicher zum Ausdruck bringen? Man hört, es soll in Richtung Musiktheater gehen.

Naja, es wird kaum vermeidbar sein bis zu einem gewissem Grad. Aber ich ich will das eigentlich nicht nochmal extra thematisieren. Es ist glaube ich effizienter, wenn es etwas subtil ist.

Überhaupt: Liveshows. Letztes Jahr hattest du in der Schweiz einen kleinen Gig, bald steht Roadburn auf dem Plan.

Ja, das ist schon ein kleiner Unterschied, haha. Johan Prenger von Reflection Records hat in kleiner Auflage einen Vinylrun gestartet. Und er ist ein Buddy des Roadburn-Intendanten Walter Hoeijmakers. Walter hat mir dann geschrieben, dass ich doch am Roadburn spielen soll. Dann habe ich meinen Kalender gecheckt, um zu sehen ob ich Zeit habe, hihihi. Ich habe schon ein bisschen Schiss. Dort spielen riesige Vorbilder von mir. Und wir selbst haben eigentlich noch nie wirklich live gespielt. Ich will aber natürlich, dass es gut klingt. Jetzt müssen wir irgendwie an die Säcke.

Steht die Band schon?

Mhm. Wir proben schon seit Oktober. Neben mir ist das noch ein weiterer Gitarrist, ein Schlagzeuger, eine Bassistin und zwei Backing-Sänger. Wird interessant, glaube ich.

Im Zuge dessen startet dann ja auch gleich eine Tour durch Europa.

Ja, das lief eklektisch. Ein paar Venues haben einfach angefragt und wir hatten dann noch einen Booker, der das mitgedeichselt hat.

Pro Land spielst du ja immer nur eine Stadt. Ging das von dir aus?

Das hat sich so ergeben. Und wie gesagt: Ich habe keine Tour-Erfahrung. Ich weiß nicht, wie man das normalerweise macht. Letztendlich lief es irgendwie so: "Hey, da ist noch was! Und da! Und da!" Jetzt gehe ich halt in viele Städte, in denen ich noch nie war. Damit habe ich eigentlich kein großes Problem, haha.

Du meintest in einem Interview mal, dass die Shows in Richtung Ghost gehen sollen.

Ja, aber jetzt fahren die dermaßen riesig auf, dass ich keine Chance mehr habe, mitzuhalten. (lacht)

Wie wärs denn mit Birdmasken?

Haha, ja. Naja, ich habe natürlich nicht das Budget von Ghost. Aber es wird schon definitiv eine visuelle Komponente haben. Ich merke jetzt allerdings immer mehr, dass die Musik an sich sehr wichtig ist und wir uns darauf konzentrieren sollten. Ehe wir feuerspuckende Drachen auf die Bühne schleppen.

Vielleicht klappt es ja mal, Ghost-Vorband zu spielen.

Das wär cool. Da hätte ich bestimmt nichts dagegen.

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1 Kommentar mit einer Antwort

  • Vor 7 Jahren

    laut Aussagen von den Zeitgenossen, die ich kenne, soll "der typ" zwischenmenschlich eigentlich ganz Ok sein. Halt sehr schrullig, kauzig und eigenbrödlerisch, was durch die lange haft nicht besser wurde... Gut, er dekonstruiert in seinen mehr oder weniger regelmäßigen "v-logs" szukzessive alles, was noch vom kvlt übrig ist... aber mei... dies machen andere auch.
    Auch wenn sein Tod "der Szene" weniger geschadet hätte, rückblickend war Euro der größere Minusmensch