25. September 2013

"Ich hatte die Hosen voll"

Interview geführt von

Pathos, Bombast und allerlei virtuoses Gezwirbel: Wenn sich die beiden Ausnahmegitarristen Myles Kennedy und Mark Tremonti zusammentun, um unter dem Alter Bridge-Banner Ideen auszutauschen, dann raucht es ordentlich im Karton. So auch auf dem mittlerweile vierten Studioalbum "Fortress".

Wenn sich Alter Bridge-Frontmann Kennedy und Gitarrist Tremonti eine Bühne teilen, dann steht der Sänger meist etwas im Schatten seines wirbelnden Saitenhexers. Dabei beherrscht der Bandleader das sechssaitige Instrument nahezu genauso perfekt wie der Mann zu seiner Linken, der sich mit Creed vor gut 15 Jahren nahezu über Nacht in den Rock-Olymp katapultierte.

Im Studio sieht es da schon anders aus. Viele Soli auf den vergangenen drei Alben stammen aus der Feder des gebürtigen Bostoners Kennedy. Und so verwundert es auch nicht, dass der Mann, der vor seiner aktiven Musikerlaufbahn als Gitarrenlehrer tätig war, uns zum Interview in einem Berliner 5-Sterne-Bunker mit einer Akustischen im Arm begrüßt.

Hi Myles, hier liegen ja mehr Gitarren auf dem Bett rum, als Handtücher im Schrank hängen. Mein Sohn geht auch nie ohne Fußballtrikot aus dem Haus. Ist die Bande zwischen dir und der Sechssaitigen so groß?

(lacht) Ja, ich glaube schon. Gitarren haben eine magische Anziehungskraft auf mich. Ich bin froh, wenn ich immer eine dabei habe. Das lässt mich nie vergessen, warum ich gerade bin, wo ich bin.

Du wirst oft nur als Sänger wahrgenommen, der nebenbei noch ein bisschen Gitarre spielt. Ärgert dich das? Fühlst du dich in Bezug auf deine Fähigkeiten als Gitarrist unterschätzt?

Nein, gar nicht. In erster Linie bin ich ja schließlich der Sänger der Band. Auf der Bühne liegt mein Fokus eindeutig auf dem Gesang. Ich stelle mich ja nicht hin und spiele auch noch all die intensiven Soli. Dafür ist Mark zuständig. Ich kann von den Leuten nicht erwarten, etwas zu sehen oder zu würdigen, was letztlich nur angedeutet wird. Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich einigermaßen gut Gitarre spielen kann. Ich habe 15 Jahre als Gitarrenlehrer gearbeitet. Während dieser Zeit hat sich keiner meiner Schüler beschwert (lacht).

Mark sieht das ein bisschen anders. Es gibt kaum ein Interview, in dem er sich nicht darüber aufregt, dass du als begnadeter Gitarrist kaum wahrgenommen wirst.

Das ehrt mich, denn Mark ist wirklich jemand, der weiß, wovon er spricht. Er ist ein Zauberer an der Gitarre. Wir sind übrigens in Bezug auf die Außendarstellung sehr ähnlich gestrickt.

Du meinst seine Fähigkeiten als Sänger?

Genau. Seine Gesangsleistung auf seinem Soloalbum ist phänomenal. Wenn ich ihm das allerdings sage, kriege ich immer zu hören: Ach komm, ist okay, aber bla bla. Wir sind beide keine Typen, die mit ihren Fähigkeiten angeben. Wir sind einfach nur Musiker. Wir versuchen das Bestmögliche zu erreichen. Wir spielen und üben so oft es geht, um uns weiter zu entwickeln, so wie es jeder Mensch in seinem Job auch tut.

Wenn dann Leute kommen und sagen, dass sie irgendwas von dem, was wir tun, in irgendeiner Art und Weise berührt, dann ist das großartig. Wenn nicht, dann ist das aber auch okay. In erster Linie macht ein Musiker Musik für sich selbst. Wer etwas anderes erzählt, der lügt. Oder er ist kein richtiger Musiker, sondern nur jemand, der versucht, sich und seine "Kunst" zu verkaufen.

"Musik ist nicht planbar"

Auf dem neuen Album "Fortress" singt Mark den Song "Waters Rising" – für mich eines der Highlights. Wie geht es dir dabei? Ist es dir schwer gefallen, einen Song abzugeben?

Nein. Auch für mich stellt "Waters Rising" einen der Höhepunkte des Albums dar. Der Song hat diese typischen Mark-Trademarks. Mir war nur wichtig, dass ich wenigstens mit der Gitarre dabei sein darf. So einsam und verlassen im Hintergrund mit dem Tamburin in der Hand wäre mir dann doch ein bisschen zu langweilig (lacht).

Stammt der Song komplett aus Marks Feder?

Eigentlich schreiben wir alle Songs gemeinsam. Auch dieser Song entstand wie ein Puzzle. Wir kommen nur selten mit kompletten Ideen zusammen, sondern sammeln immer Parts. Wenn wir unabhängig voneinander unterwegs sind, archivieren wir massenhaft Teilstücke und Ideen und danach fügen wir die Teile zusammen. Das ist immer ein sehr aufregender Prozess. Man weiß nie, was am Ende dabei rauskommt. So haben wir es auch diesmal wieder gemacht.

Wird Mark in Zukunft öfter zum Mikro greifen?

Das hoffe ich sehr, denn er macht einen tollen Job. Wir haben in der Vergangenheit schon oft darüber geredet. Wir müssen natürlich auch gucken, wie die Fans darauf reagieren. Aber ich bin davon überzeugt, dass sie den Song genauso lieben werden wie ich.

Neben Marks Lead-Gesang dürfen sich eure Fans auch auf ungewohnt harte Klänge gefasst machen. Vor allem die ersten drei Songs "Cry Of Achilles", "Addicted To Pain" und "Bleed It Try" scheppern ziemlich derbe aus den Boxen. Hattet ihr im Vorfeld schon das Bedürfnis härtere Töne anzuschlagen? Oder hat sich das einfach so entwickelt?

Musik ist nicht planbar. Wenn man Momentaufnahmen festhält und sie in Töne und Melodien verpackt, dann ist das ein Prozess, den man normalerweise nicht steuern kann. Es kommt einfach aus einem heraus – es sei denn, man will ein Konzeptalbum produzieren, das einer gewissen Linie folgen soll. Diesmal hat die Energie teilweise einfach ein Level erreicht, auf dem wir vorher noch nicht agiert haben. Warum? Keine Ahnung. Das ist ja auch das Schöne an ehrlicher Musik: Man weiß eigentlich nie, wohin die Reise hingeht.

Kaum Akustik-Parts, dafür reichlich Stromgitarren – auf dem Titeltrack freundet ihr euch sogar mit Stoner-Rock-Elementen an ...

Schon verrückt, oder?

Ja, ein bisschen. Aber es passt, wie ich finde.

Genau, und das ist der Schlüssel. Es muss passen. Ich denke, dass wir uns auf diesem Album mehr denn je auf unser Bauchgefühl verlassen haben. Natürlich ist noch ganz viel von dem vorhanden, was Alter Bridge über die Jahre ausgemacht hat. Es gibt aber auch unheimlich viel Neues zu entdecken. Diese Stoner-Sache ist nur ein Element von vielen. Es gibt auch einige Solo-Duelle im Judas Priest- und Iron Maiden-Stil. Mit diesen Sachen sind wir alle aufgewachsen. Ich weiß nicht genau warum, aber auf diesem Album werden viele Erinnerungen geweckt. Das macht es zu etwas ganz Besonderem.

"Vieles am Wembley-Abend war Neuland für uns"

Mit besonderen Dingen kennt ihr euch ja mittlerweile ziemlich gut aus. Ende 2011 habt ihr in der ausverkauften Wembley-Arena gespielt. Welche Erinnerungen kommen bei dir hoch, wenn du an diesen Abend denkst?

Oh, es war fantastisch. Ich wollte einmal in meinem Leben auf dieser Bühne stehen. Für mich war das ein ganz spezieller Abend.

Warst du nervös?

Und wie (lacht). Ich meine, es war die größte Produktion, die wir bis dato aufgefahren hatten. 12.000 Leute in der Halle, überall Kameras, Pyros: Vieles an diesem Abend war Neuland für uns. Ich weiß noch, wie ich kurz vor der Show am ganzen Körper gezittert habe. Es war eine Mischung aus Angst und Vorfreude.

Angst?

Natürlich hatte ich auch Angst. Für mich stehen die Fans während einer Show immer im Vordergrund. Diese Leute bezahlen viel Geld, um ihre Lieblingsband spielen zu sehen. Das lässt bei mir einen gewissen Druck entstehen, denn ich will niemanden enttäuschen. Es gibt für einen Fan doch nichts Schlimmeres, als eine Band zu sehen, die nicht auf den Punkt abliefert. Ich bin selber Fan. Wenn ich auf ein Konzert gehe, dann will ich auch mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht nach Hause gehen. Ich weiß also genau, was die Leute vor mir erwarten.

Wenn man sich das Bildmaterial dieses Abends anschaut, ist von diesem Druck allerdings nichts zu spüren.

Das täuscht. Ich hatte ganz schön die Hosen voll. Erst als ich gemerkt habe, das alles passt, konnte ich mich von diesem Druck lösen. Das hat einige Songs gedauert.

Und dann auch noch diese permanenten Feuersäulen ...

Yeah, das war auch ziemlich heftig. Wir haben vorher genaue Instruktionen erhalten, wann und wo die Säulen hochgehen werden. In dem Moment, wo wir die Bühne betraten, hatte ich alles wieder vergessen. Man sieht es zum Glück nicht, aber ich bin diverse Male wie ein erschrockenes Reh von der einen Seite der Bühne zur anderen gelaufen, weil ich nicht mehr wusste, wo und wann die Dinger zünden werden. Das war schon ziemlich abgefahren. Ich wollte schließlich um keinen Preis dieselben Erfahrungen machen wie James Hetfield vor 20 Jahren.

Abschließend würde ich gerne noch über deine persönliche Zukunft reden. Neben Alter Bridge bist du auch weiterhin mit Slash zugange. Des Weiteren kam mir zu Ohren, dass du demnächst planst, ein Jazz-Album aufzunehmen. Stimmt das?

Ja. Wer mich kennt, der weiß, dass ich ein großer Jazz-Fan bin. Wann ich allerdings Zeit für ein derartiges Projekt finden werde, kann ich noch nicht sagen. Wenn es irgendwann einmal klappen sollte, wäre es auf jeden Fall eine tolle Sache und würde sich definitiv von allem unterscheiden, was ich bisher gemacht habe. Es war schon immer ein Traum von mir, ein Jazz-orientiertes Album aufzunehmen. Wir werden sehen.

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