12. November 2012

"Es gibt Dinge im Leben, für die braucht man keinen Login"

Interview geführt von

And You Will Know Us By The Trail Of Dead machen selten das, was man von ihnen erwartet. Während man im staubigen El Paso vor zwei Jahren zwirbelnden Krautrock aus dem Hut zauberte, haut man den Jüngern mit dem in Hannover (!) entstandenen aktuellen Werk uramerikanischen Schepper-Punk um die Ohren.Ein schöner Nachmittag in Berlin: Conrad Keely lümmelt in einem gemütlichen Kreuzberger Straßencafé vor sich hin. Breit grinsend reicht mir der Sänger, Gitarrist und passionierte Zeichner die Hand und bittet an den Tisch. Kaum Platz genommen, beugt sich der Trail Of Dead-Frontmann auch schon herrüber und verkündet, was ihm zum perfekten Glück noch fehlt …

Conrad: Hi, ich bin Conrad. Wie heißt du?

Oh, ich heiße Kai.

Conrad: Cooler Name. Skandinavisch, oder?

Naja, ich glaube, eher friesischer Herkunft. Aber ganz sicher bin ich mir auch nicht. Ich weiß nur, dass es auf Hawaii eine Menge Kais gibt.

Conrad: Ah, ok. Anyway, sag mal hast du was zu rauchen dabei?

Ja, klar. (Ich reiche ihm ein gängiges Produkt der Tabakwaren-Industrie)

Conrad: Ich dachte eher an etwas anderes.

Oh, nein. Tut mir leid. Damit kann ich nicht dienen.

Conrad: Kein Problem. Die Sonne scheint, der Wein ist vorzüglich … you know? Außerdem lädt die Gegend hier zu solchen Gedanken förmlich ein. Ein wirklich schöner Fleck.

Schöner als Hannover?

Conrad: (lacht) Anders.

Warum gerade Hannover? Warum habt ihr euch für die Aufnahmen eures neuen Albums nicht für die gängigen Metropolen hierzulande wie München, Hamburg oder Berlin entschieden?

Conrad: Erst einmal finde ich es bemerkenswert, dass du mich nicht fragst, warum wir uns generell für Deutschland entschieden haben – das machen momentan nämlich die meisten Journalisten.

Die Leute sollten eigentlich wissen, dass die Produktion von David Bowie "Low" schon fast 40 Jahre zurückliegt. Seitdem ist hier viel passiert.

Conrad: Absolut. Deswegen war es für uns auch keine sonderlich spektakuläre Entscheidung. Dass es letztlich Hannover wurde, hatte keinen tieferen Hintergrund. Wir wollten einfach mal wieder raus aus unseren eigenen vier Wänden und irgendwann bot man uns halt das "Horus-Studio" als Option an.

"Am Ende zählen nur die Alben"

Viele Leute hatten erwartet, dass ihr die Veröffentlichung eures letzten Albums "Tao Of The Dead", das inklusive der 33-seitigen Kurzgeschichte "Lucy's Story: The Paramystic Pendant" und den beigefügten 16 Seiten deiner Graphic Novel "Strange News From Another Planet - The Adventures of the Festival Thyme" ein ziemlich kompaktes Gesamtkunstwerk abgab, etwas länger auskosten würdet. Stattdessen steht mit "Lost Songs" schon das nächste Album im Regal. Wie kommts?

Conrad: Ja, die letzte Scheibe hat schon viel Zeit in Anspruch genommen. Nichtsdestotrotz sind wir kreative Menschen, die relativ selten einem Zeitplan folgen. Wenn die Ideen kommen, dann muss man sich auch damit auseinandersetzen, auch wenn das letzte dicke Package vielleicht erst einige Monate auf dem Markt ist.

Wir sind nicht die Typen, die ein Album rausbringen, danach ein bisschen auf Tour gehen und dann die nächsten zwei Jahre damit verbringen die Kontoauszüge zu vergleichen. So sind wir nicht. Wir sind Musiker, Künstler, die sich jeden Tag mit neuen Visionen und Ideen beschäftigen. Diese dann umzusetzen und zu präsentieren dauert manchmal länger – manchmal gehts aber auch schneller. Diesmal hatten wir ziemlich rasch wieder Zugang zu neuem Material.

Wir sind auch keine Band, die ein Album ewig lang auf Tour ausschlachtet. Das würde irgendwann nicht nur unseren Fans auf den Sack gehen sondern auch uns. Außerdem zählen am Ende eh nur die Alben, verstehst du? Welche Band hat auch Generationen später noch Relevanz, nur weil sie ausufernd auf Tour war? Ich kenne keine, ehrlich gesagt.

Nun, ich glaube, ohne euch nahe treten zu wollen, dass es gerade in eurem Fall so einige Leute gibt, die sich in zehn oder zwanzig Jahren eher an eure Konzerte, als an eure Musik erinnern werden.

Conrad: Wegen der herumfliegenden Bühnenteile zum Ende einiger Shows? Das wäre wirklich schade, denn diese Leute hätten dann nichts verstanden.

Aber dafür haben sie eine Menge Rock'n'Roll-Utensilien in ihren Garagen zu stehen. Es soll Leute geben, denen ein zerbeultes Schlagzeug-Becken weitaus mehr bedeutet, als ein weiteres Album im CD-Schrank.

Conrad: Ja, das mag sein, aber im Grunde sammeln diese Menschen doch nur Schrott, denn wahrscheinlich haben diese Leute später, wenn ihre Enkel sie fragen, woher dieses oder jene Becken stammt, keine Antwort parat. Solche Menschen könnten sich demnach auch irgendein beliebiges Becken im Laden kaufen, es mit dem Hammer bearbeiten und sich dann darüber freuen (lacht).

Diese Aktionen von uns folgen keinem Schema. Wir setzen uns nicht vorher schon hin und überlegen, bei welcher Show wir was am Ende kaputt machen. Das sind einfach Momente, die nicht geplant sind. Es passiert einfach – oder eben nicht. Sie haben aber keinerlei tiefgründige Bedeutung. Im Gegensatz zur Musik.

"Keiner hat mehr Zeit, auszuwählen"

Dann lass uns doch über die Musik sprechen. Im Vergleich zum Vorgänger kann man das neue Schaffen schon fast als eingängig bezeichnen. Siehst du das ähnlich?

Conrad: Wir haben uns im Vorfeld einfach mit komplett anderer Musik beschäftigt, als zu Zeiten von "Tao Of The Dead". In unseren Playern lief unheimlich viel dreckiges und schnelles Rockzeugs aus den Neunzigern – Musik, die unserer Meinung nach momentan einfach viel zu kurz kommt. Den ganzen progressiven Kram, mit dem wir uns vor den Aufnahmen von "Tao" beschäftigt haben, haben wir völlig außen vor gelassen. Ich finde aber dennoch, dass beide Alben durchaus kompatibel zueinander sind, auch wenn sich die Sounds ziemlich unterscheiden. Das war uns auch wichtig. Wir wollten die Leute nicht komplett vor den Kopf stoßen.

Apropos Leute: ihr habt euch, meiner Meinung nach, in der Vergangenheit noch nie so dermaßen transparent mit dem Verhalten einiger 'Gruppierungen' auseinandergesetzt, wie auf eurem neuen Album. Egal ob Hobbyfotografen, Kriegstreiber, korrupte Politiker oder komplette Generationen: Eure Worte richten sich an klare Adressen.

Conrad: Ich denke, dass wir auch schon in der Vergangenheit klar Stellung zu bestimmten Themen bezogen haben. Die Dinge laufen halt immer mehr aus dem Ruder. Und je mehr dich etwas mit der Zeit anpisst, desto schärfer schießt man halt zurück. Viele Dinge sind auch miteinander verwoben. Dass die Politik heutzutage so abgrundtief heuchlerisch und schmierig ist, hängt zum Beispiel auch mit dem Internet zusammen.

Die Kids werden permanent abgelenkt. Egal ob Facebook, Youtube oder sonst irgendein Scheiß: Kaum jemand liest mehr Zeitung oder nimmt sich abends zehn Minuten Zeit für die Nachrichten. Das spielt so Leuten wie Rick Perry, einem ehemaligen texanischen Senator, über den wir uns in dem "Catatonic"-Video etwas lustig machen, natürlich schön in die Karten. Solche Leute freuen sich natürlich, wenn sie wissen, dass die Massen weggucken, weil sie den ganzen Tag mit anderen Dingen beschäftigt sind.

Ist der Titelsong "Lost Songs" auch ein versteckter rechter Haken in Richtung World Wide Web?

Conrad: Ja, schon, aber versteh mich nicht falsch: Das Internet bringt natürlich auch immens viele Vorteile mit sich. Ich will nicht alles verteufeln. Aber meiner Meinung nach leidet die Kultur – und hier insbesondere die Musik - mehr unter dem Banner der Digitalisierung, als dass sie durchs Internet etwas hinzugewinnt. Jeder, aber wirklich jeder hat heutzutage die Möglichkeit schneller im Internet einen Song zu veröffentlichen, als eine gestandene Band, die ihr ganzes Leben schon mit dem Kreieren von Musik beschäftigt ist.

Durch diese Masse an Songs herrscht ein absolutes Überangebot. Der Hörer wird seit einigen Jahren mit Musik regelrecht bombardiert. Aber keiner hat die Zeit und die Muße, sich irgendwo einen Filter einzubauen. Und so bekommen unheimlich viele qualitativ hochwertige Songs gar nicht erst die Möglichkeit gehört zu werden, weil sie in der Masse einfach untergehen.

Welchen Weg schlägst du vor?

Conrad: Oh, ich habe mittlerweile meine eigenen Quellen, um an vernünftige neue Musik zu gelangen (lacht).

Führe uns auf den richtigen Weg, bitte!

Conrad: (lacht) Es ist eigentlich ganz einfach. Der Schlüssel heißt: Kommunikation. Ich rede lieber mit Leuten über Musik, anstatt zu versuchen im digitalen WWW-Dschungel die Nadel im Heuhaufen zu finden. Ich quetsche mein näheres Umfeld aus und besorge mir auf diesem Weg die nötigen Informationen, um an gehaltvolle neue Bands oder Künstler zu gelangen. Ziemlich simpel, oder?

Ja, irgendwie schon. Und so unspektakulär.

Conrad: (lacht) Es gibt Dinge im Leben, für die braucht man kein Login.

Weiterlesen

Noch keine Kommentare