laut.de-Kritik
Gänsehaut, Sprachlosigkeit und ganz viel Emotionen.
Review von Robin KirkerWie schafft ein so junger Mensch solche Musik? Das ist reine Kunst, was Berq da auf seinem selbstbetitelten Album vorstellt. Schon die ersten Töne lassen einen Schauer über den Körper wandern und sind mit nichts anderem zu vergleichen.
Der Einstieg "Heimweg" ragt taktisch, melodisch und stimmlich heraus. Alles gehört - ab hier kann ich Schluss machen. Die erste Minute besteht nur aus einem Instrumental aus Streichern und Klavier sowie Berqs schmerzverzerrter Stimme. Kein Text, nur eine Aneinanderreihung von Tönen, die mitten ins Herz treffen. Bei "Heimweg" fragt man sich: Wer hat diesem armen Kerl so wehgetan? Am Ende wiederholt Felix den Refrain, doch etwas ist anders. Die Aufnahme wirkt wie in einem nicht isolierten Raum aufgenommen. Mit diesem Trick überzeugte er bereits in "Rote Flaggen".
Der nächste Track bringt wieder etwas Schwung rein. "Still" schlägt ein anderes Tempo an, das Thema bleibt das gleiche: Trennungsschmerz. Berq spielt mit Tempo und Betonung. Am Ende ist ein kleiner Twist eingebaut. "Wir haben beide jetzt ein großes Bett, und nur eins bleibt heute leer. Und zu zweit ist auch die Riesendecke gar nicht mehr so schwer. Auch kein zweites Kissen stört, weil heute Nacht gehört es dir. Seit ich dein'n Atem wieder hör', ist's auch so still ganz schön bei". Ein Happy End, ungewöhnlich für den 20-Jährigen. Deswegen folgt darauf sofort wieder eine mitreißende und niederschmetternde Geschichte.
"Träumen" thematisiert eine Vater-Sohn-Beziehung. Es scheint, als erzähle Berq erst kurz die Vorgeschichte seines Vaters und daraufhin die Auswirkungen auf seine eigene Erziehung. Der junge Sänger beweist Empathie seinem Elternteil gegenüber: "Er umarmt sehr schlecht und sagt nicht, dass er stolz ist. Das hat auch er noch nie gehört."
Man könnte meinen, die ständig melancholische Stimmung langweile auf Dauer, dennoch bekommt man nicht genug von dem Gefühl, das Berq einem gibt. Wie ein Adrenalinjunkie wartend auf die nächste Dosis herzzerreißender Töne.
Jeder Track erzählt eine eigene Geschichte, so auch "Mein Hass Tritt Dir Die Haustür Ein". Violinen eröffnen die Story, dann steigt Berq mit seiner unverwechselbaren tiefen Stimme ein. "Er richtet dich hin oder zu. Von deinem Kinn tropft dein Blut. Und werd' ich dich wiederseh'n, Ist mir egal, ob du kriechst oder gehst" In seinen Texten spielt der Sänger offen mit der dunklen Anziehungskraft des Verbotenen. Auch wenn Gewalt keine wirkliche Lösung ist, gibt es diese heimlichen Momente, in denen man vielleicht genau das denkt. Berq bringt solche Gedanken unverblümt auf den Punkt.
"Vergissmeinnicht" behandelt ein Thema, das wohl viele Heranwachsende kennen. Der Anfang erinnert stark an Kinderfilme wie "Die Wilden Hühner" oder "Freche Mädchen". Die Melodie trägt eine freudige Leichtigkeit in sich, doch unter der strahlenden Oberfläche schimmert die stille Traurigkeit des Textes hindurch, die sich erst beim genauen Hinhören offenbart. Berq erzählt von dem Start einer neuen Liebe und wie diese alles verändern kann. Man hat weniger Zeit für Freunde und Familie, und auch wenn man das genau merkt, bleibt einem nichts anderes übrig, als den Gefühlen nachzugehen. "Hab Angst, dass ich ihn verlier Mama. Dafür ist sie wirklich toll." Berg spricht an, was zum Erwachsensein eines jeden Menschen gehört.
Der weitere Verlauf ist nichts für sensible Gemüter. Der Interlude-Song "Im Wind" bildet eine Brücke zwischen "Vergissmeinnicht" und dem nächsten Track. "Blauer Ballon" startet mit dem letzten Ton von "Im Wind" und handelt von dem Verlust der Mutter. Die Grundlage dieses Stückes ist ein Brief, den Felix' Mutter beim Spazierengehen auf einem Feld im Hamburger Umland gefunden hat - geschrieben von einem kleinen Jungen, adressiert an dessen verstorbene Mutter. "Hallo Mama, bist du endlich angekommen. Ich hoff mit uns verließ dich auch dein Schmerz. Du fehlst mir unendlich. Nicht nur dein lachen auch der streit und könnt ichs machen käm ich im blauen Ballon vorbei." Diese drei Songs bitte unbedingt hintereinander abspielen.
"Schleierkraut" ist eine leise, melancholische Reflexion über den schnellen Erfolg. Berq blickt auf die vergangenen Monate zurück, in denen alles anders wurde – in denen er plötzlich im Rampenlicht stand, ob er wollte oder nicht. Mit den Worten "Ein Kind, das unterschreibt keine Verträge" erinnert er daran, dass dieser Ruhm nicht seine bewusste Entscheidung war. "Du hast sicher nicht gewollt, dass man uns bis nach Haus’ verfolgt" – diese Zeile trifft einen Nerv, denn sie zeigt, wie sehr das öffentliche Interesse nicht nur ihn, sondern auch seine Liebsten unerwartet getroffen hat. Felix vermisst die Freiheit, die er als unbekannter Junge hatte, und bedauert vor allem, dass seine Familie und Freunde die Last des Ruhms mittragen müssen, obwohl sie nie darum gebeten haben.
Happy End gefällig? Nicht mit Felix. Das Outro "Berq" schließt die Geschichten ab, durchzogen von Streichern, Synthflächen und Schlaginstrumenten. Der einzige Lichtblick ist das Ende, denn nach seinen ellenlangen Sessions im nasskalten, düsteren Kellerstudio - "Ich komme her, um hier zu leiden - verbringt Berq nun seine Stunden in der Sonne der Toscana. "Ich bin da und die Aussicht ist gut."
Micdrop
8 Kommentare mit 4 Antworten
Oha, ein zweiter Homo Faber?
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Mein Gott, bei der Musik kriege ich Depressionen.
nicht meins, aber es hat was.
Das berührt ja mal echt. Ich freue mich sehr, dass meine Mutter sich bester Gesundheit erfreut, sonst würde Blauer Ballon mich definitiv zusammenbrechen lassen. Wow.
Zu weinerlich für meinem Geschmack...der Typ klingt mitunter wie Willie aus Biene Maya.
"mit nichts anderem zu vergleichen."
naja, klingt sehr nach (teilweise 1 zu 1) Woodkid - aber natürlich trotzdem sehr toll!