laut.de-Kritik

Handle with care!

Review von

Winter? was war das noch gleich? Man kann es sich kaum noch vorstellen, während man in der Hochsommerhitze so vor-sich-hinzerfließt. In diesen Glutofen wirft Shogoon nun eine EP, deren Titel er nicht passender hätte aussuchen können. "Winter War Hart". In drei kleinen Worten schwingt alles mit, das diese sechs Tracks erzählen. Hier spricht einer, der eine wirklich, wirklich dunkle Zeit durchlebt hat. Wie es aussieht, hat er sie überstanden, wenngleich er dem frischen Frieden noch nicht so recht zu trauen ist. Das Pflänzchen Optimismus, das da keimt, braucht noch Schutz und gute Pflege, um zu gedeihen.

Trotzdem bleibt der Grundtenor positiv. Zusammensein mit alten Freunden, das befriedigende Gefühl, an einem Track zu basteln, den Beginn einer neuen Bekanntschaft, die alten Songs, die dazu aus den Boxen plätschern, den Sonnenschein, sogar den verdammten Kaffee von der Tanke: Shogoon fängt diese alltäglichen Freuden ein wie Schmetterlinge und freut sich daran, wie jemand, dem das Leben gründlich die Prioritäten zurechtgerüttelt hat. Die weißen Nikes mögen ein bisschen angeschmuddelt sein vom durchschrittenen Schmodder. Nichtsdestotrotz steht am Anfang eine Ansage: "Nur, dass du weißt: Ich lieb' diesen Scheiß." Die logische Konsequenz daraus: "Ich Bleib".

Nach luftigem Einstieg mit Vogelgezwitscher und Geräuschfetzen, wie sie von einem Spielplatz durchs offene Fenster wehen könnten, setzen warme Synthies die Atmosphäre nahtlos fort. Shogoon lässt sich in diesem sonnigen Vibe treiben. Man merkt ihm an, dass er einiges hinter sich hat: "Viel passiert, viel zu viel von dem Scheiß". In diesem Moment jedoch ist die Welt in Ordnung: "alles sweet, alles nice, zur Zeit". Die catchy Hook darf er in dem Fall auch ruhig singen.

Selbst wer des Rappers Werk nicht akribisch verfolgt hat und entsprechend wenig von den in der Vergangenheit auch schon thematisierten Depressionen und Suizidgedanken weiß, ahnt angesichts dieser kleinen EP, dass die Vergangenheit Shogoon bereits viel abverlangt hat. Seine Zeile "letztes Jahr war nicht mein Tag" aus dem Titeltrack fasst es recht flapsig zusammen. Momentan steht Shogoon aber nicht der Sinn nach einem allzu genauen Blick in den Rückspiegel. "Ab jetzt wirds nicht mehr schlimmer", vermutet er, also: "Lass uns ein bisschen atmen." Die flirrenden Gitarren und der dicke Bass spiegeln den Kontrast zwischen der Schwere der Gesamtsituation und der Leichtigkeit des Moments auch musikalisch wider.

Mit guten Leuten um sich herum, idealerweise denselben, mit denen man sich schon seit vielen Jahren umgibt, und mit TLCs "No Scrubs" auf den Ohren lässt sich ohnehin viel aushalten, am Geländer eines französischen Balkons. Die in "Vintage Sweater" eingefangene, nicht weniger anschaulich skizzierte Szene durchzieht dieselbe melancholisch-zufriedene Stimmung: "Für 'nen traurigen Song geht es mir gerade bisschen zu gut", befindet Shogoon da, und tastet sich an das offenbar noch ungewohnte Okay-Gefühl heran, das ganz zart nach Aufbruch und Neuanfang duftet: "Glaube, dass ichs mag."

Gerade als sich der Eindruck breitmacht, dass diese Tracks zwar jeder für sich sehr nachvollziehbar, aber doch immer wieder dasselbe Szenario einfangen, schickt Shogoon "Räuber Und Gangster" los: Dieses Stück fällt schon alleine seines treibenden, weit dunkler gefärbten Instrumentals wegen aus dem Rahmen. Kaum zu fassen, dass sich so etwas aus dem Intro einer Kinderkrimiserie zimmern ließ. Darüber vermittelt Shogoon nun doch einen Eindruck davon, was den Winter (und die Jahre davor) so hart gemacht hat.

"Habs noch nie wirklich erzählt", hebt er an. Dann erzählt er, und schon die Stichpunkte genügen, um eine Vorstellung zu bekommen, von der Welt eines Kindes, das in Armut und umgeben von Gewalt, Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit aufwächst und irgendwann in den Rausch flieht. Ein Schritt, der seinem Bruder noch schlechter bekommen zu sein scheint. "Geschichten aus der Hood" eben, denen Politiker*innen, die gerade am laufenden Band öffentlich darüber sinnieren, Sozialleistungen zu kürzen und bei den Ärmsten zu sparen, dringend ein bisschen genauer zuhören sollten.

Den Abschluss macht ein Freestyle, der in gerade einmal gut zwei Minuten Shogoons Wechselbad der Gefühle illustriert: "Ein Tag Marathon, den nächsten Tag das Laufen verlernt", beschreibt er es. "Ich glaub', 'ne Pause wäre fair." Auch hier korrespondiert der Beat perfekt mit dem Inhalt: Gitarrenintro und 80er-Jahre-Pop-Saxofon unterbricht ein harter Cut, der straighten Passage folgt dann wieder ein schwelgerisch-souliger Part. Darüber hören wir von Angst, vorsichtigem Aufatmen, einem jähen neuerlichen Schicksalsschlag, Überforderung und Ratlosigkeit, ehe sich alles im leise hoffnungsvollen Gedanken auflöst: Ja, der Winter war hart. Er ist jedoch vorübergezogen, und Shogoon ist, wie er schon vorher festgestellt hat, immer noch da: "Kippe brennt und ich mach', was ich mache." Hoffentlich noch lange, deswegen, bitte: "Handle With Care".

Trackliste

  1. 1. Ich Bleib (Nikes)
  2. 2. Winter War Hart
  3. 3. Französischer Balkon
  4. 4. Vintage Sweater
  5. 5. Räuber Und Gangster
  6. 6. Handle With Care Freestyle

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Shogoon

"Wenn du ein Haus und Garten haben willst, dann ist Minden an den richtigen Ecken die richtige Stadt. Wenn du gar kein Geld hast, wirst du in den einen …

Noch keine Kommentare