laut.de-Biographie
TLC
"TLC waren in den 90ern so wichtig und einflussreich wie Michael Jackson in den 80ern", schreibt der Spiegel 2017, als die verbliebenen zwei Mitglieder der lange Zeit (neben den Spice Girls) prägendsten rein weiblich besetzten Formation im Musikzirkus ihre Rückkehr ins Rampenlicht vorbereiten.
"Rückkehr", dieser Bezeichnung geben Chilli und T-Boz den Vorzug. Klar, don't call it a comeback, auch wenn TLC über Jahre weitgehend von der Bildfläche verschwunden waren. Für ihre Fähigkeit, R'n'B, Hip Hop, Rap, Pop und Soul zu ihrem eigenen Sound zu verschmelzen, genießt das Trio weithin Respekt. Kaum eine Künstlerin, die auf nur halbwegs artverwandtem musikalischen Terrain operiert, führt die Kolleginnen Rozonda 'Chilli' Thomas, Tionne 'T-Boz' Watkins und Lisa "Left Eye" Lopes nicht an, sobald jemand nach Idolen und Vorreiterinnen fragt.
Gut möglich, dass das zu einem Großteil auf dem irrwitzigen Erfolg ihres zweiten Albums beruht. Ihr Debüt "Ooooooohhh… On the TLC Tip" veröffentlichen TLC, die die drei Buchstaben abwechselnd als Kürzel für ihre Namen oder für "tender loving care" lesen, zwar bereits zwei Jahre vorher, 1992. Schon hier fahren alle drei Singles Platin ein. Doch "CrazySexyCool" toppt noch einmal alles.
"Creep", die erste Auskopplung, erlangt ebenfalls Platinstatus, das von Babyface produzierte "Red Light Special" stürmt die Billboard-Charts. Gleiches gilt für den TLC-Überhit "Waterfalls", wenngleich hier der Erfolg mit Verzögerung eintritt: Die Radiosender halten die Nummer nicht für sendewürdig. Erst als das zugehörige Video bei MTV hoch und runter rotiert, geht das Stück durch die Decke.
In sechs Kategorien stehen TLC wegen "CrazySexyCool" auf den Nominiertenlisten, und das garantiert nicht nur der Gastauftritte ihrer männlichen Kollegen, Busta Rhymes und Phife Dawg von A Tribe Called Quest, wegen. "CrazySexyCool" verzeichnet allein in den USA über elf Millionen verkaufte Einheiten und spült 75 Millionen Dollar in die Kassen - bloß, Knebelverträge machen es möglich, größtenteils nicht in die von TLC.
Die haben ohnehin mit Negativschlagzeilen zu kämpfen: Kurz vor der Veröffentlichung von "CrazySexyCool" fackelt Left Eye im Suff das Haus ihres Ex-Freundes ab. Versehentlich oder mit Absicht tut am Ende wenig zur Sache: Das zuständige Gericht verurteilt die Rapperin wegen Brandstiftung zu fünfeinhalb Jahren Haft auf Bewährung und einer Entziehungskur.
TLC bleiben auf Rechnungen für die Versicherung sitzen. Versuche, ihr Label mit allen Mitteln zur Auszahlung höherer Anteile zu bewegen, scheitern. 1995 touren die Damen zwar noch zusammen mit Boyz II Men. Nachdem die Crew ihren finanziellen Bankrott erklären musste, wird es auch musikalisch zunächst ruhig um TLC.
Chilli wird Mutter und versucht sich als Schauspielerin. Auch T-Boz ist auf der Leinwand zu sehen. Sie modelt außerdem und gründet ihr eigenes Unternehmen. Lisa heuert als VJ bei "The Cut" an, einer täglich ausgestrahlten Sendung von MTV, und entwickelt mit ihrer Produktionsfirma Left Eye unter anderem Projekte für Sony Music.
1998 starten die drei Ladys einen neuen Versuch, ihre Erfahrungen der vergangenen Jahre in Hits umzuwandeln. "Fanmail" erscheint im Jahr darauf, mitgewirkt haben neben etlichen anderen Babyface und Jermaine Dupri. Reichlich Reibereien gibt es mit Produzent Dallas Austin, der nebenbei auch der Vater von Chillis Sohn ist. Das jedoch hält ihn nicht davon ab, überzogene Honorare zu fordern. Unstimmigkleiten zwischen ihm und den Künstlerinnen bremsen die Aufnahmen gehörig aus.
Trennungsgerüchte machen die Runde. Angeblich möchte Lisa Lopes lieber heute als morgen aussteigen. Der Kartenverkauf für die bevorstehende US-Tour gestaltet sich schleppend, was die Stimmung auch nicht unbedingt hebt. Ende des Jahres veröffentlicht das Magazin Vibe einen Brief Left Eyes, in dem zu lesen steht:
"Ich fordere Tionne 'Player' Watkins (T-Boz) und Rozonda 'Hater' Thomas (Chilli) heraus, zu einem Album mit dem Titel 'The Challenge'. Ein 3-CD-Set, bestehend aus drei Soloalben (...) Ich fordere außerdem Produzent Dallas 'The Manipulator' Dallas dazu heraus, das komplette Material zu produzieren, allerdings zu einem Bruchteil seines normalen Satzes." Damit das Ganze auch als "Challenge" durchgeht, lobt sie zudem ein Preisgeld für den erfolgreichsten der drei Alleingänge aus: "Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich ziemlich sicher, das [das Label] LaFace kein Problem damit hätte, für den Gewinner eineinhalb Millionen Dollar locker zu machen."
Es kommt nicht zum Charts-Duell. TLC raufen sich noch einmal zusammen und bestreiten die Tour zu "Fanmail" gemeinsam. Danach nehmen sie sich Zeit für eigene Projekte. Left Eye legt als erste ihr Solo-Debüt vor: "Supernova" erscheint im Herbst 2001, allerdings nur in Europa. Für den US-amerikanischen Markt, befindet das Label, war die erste (und entsprechend einzige) Single "The Block Party" ein zu enttäuschender Flop.
Im April 2002 ist das alles nicht mehr von Belang: Lisa 'Left Eye' Lopez erliegt den Verletzungen, die sie sich In Honduras bei einem Autounfall zugezogen hat. Eigentlich hatten Dreharbeiten für eine Dokumentation angestanden, die fünf Jahre später unter dem Titel "The Last Days of Left Eye" erscheint.
Das allerdings liegt in weiter Zukunft, zunächst herrschen Bestürzung und Trauer: "Wir sind zusammen aufgewachsen und waren wie eine Familie", verleihen T-Boz und Chilli ihrer Betroffenheit Ausdruck. "Heute haben wir unsere Schwester verloren." Noch einmal zu hören ist sie auf "3D": Etliche Aufnahmen dafür hatte Lisa Lopes vor ihrem Tod bereits im Kasten gehabt.
Fünfzehn Jahre später steht für die beiden Hinterbliebenen noch immer felsenfest: "Niemals wird es irgendein anderes Mädchen in TLC geben. Niemals!" Daran ändert zwischendurch auch das Reality-Format "R U The Girl" nichts, in dessen Rahmen TLC nach einem neuen Gesangstalent suchten. Mit der Gewinnerin Tiffany "O'so Krispie" Baker nehmen sie lediglich einen gemeinsamen Song auf.
Ein Best-Of-Album, viel mehr hören die Fans in den Folgejahren nicht von TLC. Erst 2013 mehren sich die Anzeichen, aus ihrer Richtung könne doch noch etwas kommen. Einem Featurepart auf J. Coles "Crooked Smile" folgt ein Kurzauftritt bei Drakes OVO Fetival. Die Zeit für eine Wiederkehr erscheint überreif, zumal der Film "CrazySexyCool: The TLC Story" eine ganz neue Generation von Anhängern angefixt hat.
Von Verträgen, Plattenfirmen, Managementdeals und Ähnlichem haben Chilli und T-Boz die Nasen allerdings gründlich voll. Wenn schon zurückkommen, dann aber zur Abwechslung mit den Zügeln in den eigenen Händen: Sie heben selbst ein Label aus der Taufe und stellen ihr neues Albumprojekt 2015 bei Kickstarter denen vor, die es hinterher ohnehin kaufen sollen: den Fans.
Mit durchschlagendem Erfolg: Um die veranschlagten 150.000 Dollar einzuwerben, brauchen TLC noch nicht einmal 48 Stunden. Am Ende kommen bei der Kampagne 430.000 Dollar zusammen, zu den Financiers gehört auch Kollegin Katy Perry, bei weitem nicht TLCs einzige prominente Fürsprecherin:
"TLC verkörpern Individualität, Feminismus und Meinungsstärke", lobt etwa Alicia Keys. "Sie haben für Mädchen und Frauen den Maßstab dafür gesetzt, was es bedeutet, mutig zu sein, zu umarmen, wer man ist, und die Vielfalt zu feiern."
Die Platte "TLC" erscheint schließlich im Juni 2017.
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