16. Februar 2012
"Ich laufe immer so rum, so what?"
Interview geführt von Kai ButterweckWenn die zur Hysterie neigende britische Presse einen neuen Act auf eine der zahlreichen "To Watch-Listen" setzt, gehen Kollegen vom Festland nicht selten erst mal in Deckung - erwies sich doch der eine oder andere Emporkömmling eher als laues Lüftchen. Nun schicken sich Beth Jeans Houghton und ihre Schicksals getriebenen Begleithufe an, auch den Rest des Erdballs zu bezirzen.
Eigentlich wollte Beth Jeans Houghton Mode-Designerin werden. Irgendwie kam aber Musik dazwischen. Dass die junge Britin aller Wahrscheinlichkeit nach auch zwischen Haute Couture und Pop-Art-Fashion ihren Weg gegangen wäre, beweist ihr fast täglich wechselndes Erscheinungsbild.
Doch die Gute ist es leid, in der Öffentlichkeit ständig zwischen zwei Branchen aufgerieben zu werden. Beth definiert sich als Musikerin. Und das kann sie mit Fug und Recht tun, denn bereits vor drei Jahren zerrte die internationale Musik-Journaille wie wild am kunterbunten Rockzipfel der New-Folk-Pop-Bardin, brachte ihr die Veröffentlichung der EP "Hot Toast" gar einen Eintrag in die BBC Watchlist ein.
Wir wollten wissen, warum es letztlich noch weitere drei Jahre dauerte, um das Full Lenght-Debüt "Yours Truly, Cellophane Nose" fertigzustellen, und trafen die zierliche Sängerin samt Bassist Rory Gibson in Berlin. Dabei regte sich die Songwriterin auch über manchen Musikjournalisten auf, setzte zwei renommierte Festivals auf die "Hier-würden-wir-nie-spielen"-Liste und verrät uns zudem, warum es ihrer Meinung nach nicht zwingend erstrebenswert ist, nach Ruhm zu lechzen.
Eigentlich hatten viele nach dem Hype um die Band 2009 erwartet, dass ihr diesen nutzt und relativ zeitnah mit dem ersten Album um die Ecke kommt. Dem war ja nicht so ...
Beth: Uns ging es nicht anders. Wir wollten ja, aber irgendwie kam immer etwas dazwischen. Wir waren bereit und hatten schon eine Menge Ideen im Kasten. Aber es war schon etwas frustrierend: Dauernd wurde irgendeiner krank, hatte keine Zeit oder es gab Label-Probleme. Fast nur Dinge, die eigentlich nichts mit Musik zu tun hatten.
Was macht man in so einer Phase? Muss ja ganz schön nerven ...
Beth: Ja, absolut. Aber du kannst es nicht erzwingen, und die Ideen sind ja nicht weg. Die Songskizzen wanderten in meine Tasche und wurden zum richtigen Zeitpunkt eben wieder hervorgekramt.
Du hast dann erst mal Reißaus genommen, richtig?
Beth: Ja, ich war sehr lange in Los Angeles während der Zeit, als die Produktion auf Eis lag. Das war, glaube ich, nicht nur sehr wichtig für mich, sondern letztlich auch gut fürs Album. Ich habe in L.A. unheimlich viel gelernt, Leute getroffen und versucht, so viel es geht aufzusaugen. Los Angeles ist einfach ein magischer Ort. Ganz egal, wo du dich in der Stadt gerade befindest, überall kommst du dir wie in einem großen Hollywood-Film vor. Außerdem verfügt Los Angeles über eine sehr inspirierende Musikszene. Anfang 2011 konnten wir uns dann endlich aufs Album konzentrieren - aber das Ganze wurde danach wieder verschoben.
Ben Hillier (Depeche Mode, Blur) stand bei eurem Debüt hinter dem Mischpult. Trotzdem war zu lesen, dass du anfangs eher skeptisch warst. Warum hattest du Zweifel?
Beth: Das kann ich dir, ehrlich gesagt, gar nicht genau sagen. Es war einfach ein Gefühl. Ich hatte erst keine Lust, mich mit ihm zu treffen, weil ich mir unsicher war, ob er all das umsetzen könnte, was ich zu der Zeit bereits fertig in meinem Kopf hatte. Mein Manager hat dann ein Treffen arrangiert. Zum Glück bestätigte sich mein Gefühl aber nicht, ganz im Gegenteil. Wir haben unheimlich schnell zueinander gefunden, und letztlich bin ich heilfroh, dass er den Job gemacht hat, denn sonst würde das Album wahrscheinlich völlig anders klingen.
Eine Band mit Sängerin, keine Sängerin mit Band
Ähnlich wie das Treffen mit Ben Hillier, haben sich auch andere wichtige Begegnungen in deiner jüngeren Vergangenheit mehr oder weniger eher so 'ergeben'. Devendra Banhart bat dich einst auf die Bühne, um einen Song zu performen, als du noch im Publikum standest. Dann triffst du ein Jahr später ganz zufällig auf Adem, der deine Debütsingle aufnimmt und Mike Lindsay von Tunng sprichst du mal eben in einer Kneipe an. Glaubst du eigentlich an Schicksal?
Beth: (lacht) Gute Frage. Ich denke, dass alles aus einem bestimmten Grund passiert. Ich glaube nicht an Zufälle. Selbst die endlose Verschiebung unseres Albums sollte so sein, auch wenn wir die Tatsache verflucht haben. Letztlich ist aber genau das entstanden, was wir uns erhofft haben. Irgendwann findest du dich damit ab und erkennst den tieferen Sinn. Dennoch war die Warterei ein schwieriger Prozess für uns. Aber bald ist es ja endlich so weit (lacht).
"Yours Truly, Cellophane Nose" erscheint Ende Februar. Ein sehr bandlastiges Album, wie ich finde, dennoch kommt, wenn man Beth Jeans Houghton And The Hooves Of Destiny bei Google-Bilder eingibt, bei mindestens 80 Prozent aller Fotos lediglich dein Konterfei. Stört dich diese das?
Beth: Das nervt, keine Frage. Ich spiele mit den Jungs jetzt schon seit vier Jahren zusammen. Keiner weiß besser wie ich, wie hart sie arbeiten. Wir sind eine Band mit einer Sängerin, und keine Sängerin mit einer Band. Das hört man nicht nur dem Album an, sondern sieht man auch, wenn man uns live erlebt.
Viele behaupten allerdings, in erster Linie sähe man nur dich.
Beth: Natürlich ist die Art und Weise wie ich mich gebe und wie ich mich kleide für viele Leute erst mal ein Hingucker. Aber wer sich auch nur ansatzweise mit unserer Gesamtperformance beschäftigt, wird schnell feststellen, dass wir eine Einheit bilden, die ohne das Dazutun eines jeden Einzelnen nicht funktionieren würde.
Ich habe gehört, dass nahezu die Hälfte aller Interviewanfragen von Modemagazinen kommt. Stört dich das?
Beth: Ja, das ist schon etwas anstrengend. Ich bin schließlich Musikerin und keine Mode-Designerin. Was mich aber am meisten stört, ist die Tatsache, dass sich auch Musikjournalisten in Interviews in der Vergangenheit lieber mit mir über meine Klamotten unterhalten wollten, als über meine Musik zu reden. Das ging irgendwann so weit, dass ich mir vornahm, nur noch mit Jogginghose und T-Shirt aufzutreten, damit sich die Leute etwas mehr mit unserer Musik beschäftigen.
Hats funktioniert?
Beth: Bedingt (lacht).
Rory: Was viele einfach nicht begreifen, ist, dass Beth sich nicht so kleidet, um bewusst die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Beth: Natürlich ist das vielleicht auf den ersten Blick schwer zu verstehen, aber es ist so. Ich ziehe halt gerne ausgeflippte Klamotten an oder schminke mich jenseits gängiger Konventionen. Das bin ich, ob es die Leute nun glauben oder nicht. Ich verkleide mich nicht. Das sind genau die Sachen, die ich mir morgens aussuche, weil ich mich darin einfach am wohlsten fühle. Es geht nicht darum, irgendeinem Anlass gerecht zu werden. Ich laufe immer so rum, so what?
Demnach hast du dich also mit Jogginghose und T-Shirt eher als 'verkleidet' empfunden?
Beth: Genau, und deshalb hat es auch nicht funktioniert. Das bin nicht ich.
"Wir sind keine Spaßbremsen"
Da drängt sich die Frage auf, wer du dann eigentlich bist? Als Teenie wolltest du Mode-Designerin werden, dann sprachst du kürzlich darüber, ein Buch schreiben zu wollen. Du machst Musik und fungierst teilweise auch als Regisseurin deiner eigenen Videos. Wo kommt all diese kreative Energie her?
Beth: Ich war schon immer von kreativen Leuten umgeben. Auch in meiner Familie spielte Musik und Kunst eine übergeordnete Rolle im Alltag. Egal ob Musiker, Maler, Fotograf oder Designer: Irgendwie fühlte ich mich von kunstschaffenden Menschen angezogen.
Rory: Dieser Kreis ergibt sich meist auch von selbst, da man unheimlich leicht mit anderen ins Gespräch kommt, wenn man dieselben Vorlieben teilt. Ich kann mich noch erinnern, als Beth und ich uns das erste Mal trafen, und es überall nur so wimmelte von kreativen Köpfen, ob man sie nun kannte oder nicht.
Beth, du hast dir von deinen ersten selbstverdienten 500 Pfund im Alter von 16 Jahren eine Fender Strat gekauft, obwohl du während dieser Zeit eher den Traum einer Karriere als Mode-Designerin vor Augen hattest. Warum die Gitarre?
Beth: Ich bin ein sehr spontaner und bisweilen auch impulsiver Mensch. Ich begebe mich gerne auf unbekanntes Terrain und probiere Dinge aus. So war es auch mit der Gitarre. Sie sah einfach wunderschön aus, und ich wollte sie haben.
Du hast sie gekauft, obwohl du noch nicht einen einzigen Akkord spielen konntest, richtig?
Beth: Ja, das stimmt. Spielen war erst mal zweitrangig. Ich konnte mir zwar schon vorstellen, irgendwann damit anzufangen, aber in erster Linie war es der optische Reiz, der mich zum Kauf animierte.
Kannst du dich noch an den Moment erinnern, als dir bewusst wurde, dass sich mit diesem Kauf dein ganzes Leben würde ändern können?
Beth: Puh, das ist schwierig. Ich glaube, es war weniger die Zeit, als sich die ersten richtigen Songs ergaben, sondern vielmehr die Phase zu Beginn, als ich die ersten Akkord-Verbindungen bewerkstelligen konnte und merkte, wie viel Spaß man doch mit einer Gitarre haben kann (lacht).
Apropos Spaß: Wenn man sich die europäische Festival-Landschaft genauer ansieht, erwecken gerade die beiden britischen Klassiker "Leeds" und "Reading" den Eindruck, dass dort der Spaßfaktor zumindest für die Massen vor der Bühne an erster Stelle steht. Ihr habt eher ein gespaltenes Verhältnis zu den beiden Happenings ...
Rory: Oh, wir sind absolut keine Spaßbremsen. Es gibt nichts Schöneres, als Freude zu empfinden, zu teilen und zu empfangen. Aber Tausende Uni-Studenten, die nur kommen, um sich zu betrinken und Schlägereien anzufangen: Das hat für uns wenig mit Spaß zu tun.
Beth: Wir möchten einfach, dass die Leute kommen, um Spaß an der Musik zu haben. Das, was ich bisher gesehen und gehört habe, hat damit wenig zu tun. Du kannst dir ziemlich sicher sein, dass wir auf diesen Festivals wohl nie im Billing zu finden sein werden. Es sollte doch immer um die Musik gehen, oder? Ich meine, uns ist es wirklich egal, wo wir spielen, solange wir das Gefühl haben, dass sich beide Seiten an der Performance erfreuen. Da spielt es keine Rolle, ob du auf einem großen Festival vor Tausenden spielst oder dir in einem kleinen Club nur eine Handvoll Menschen zuhört.
Eine letzte Frage: Du hast letztens in einem Interview gesagt, ich zitiere: "I don't think fame does anyone any good". Hast du Angst vor der Zukunft?
Beth: Es gibt für mich einen großen Unterschied zwischen Berühmtsein und Erfolg haben. Natürlich wollen wir erfolgreich sein, aber wir wollen nicht berühmt werden, verstehst du? Berühmte Leute verändern sich, und das ist das Letzte, was ich oder was die Band will. Wir stehen nicht auf rote Teppiche und den ganzen Blink-Blink-Kram. Das interessiert uns nicht.
Es gibt so viele Künstler, die mehr damit beschäftigt sind, sich in der Öffentlichkeit werbewirksam zu positionieren, als sich mit dem eigenen künstlerischen Schaffen zu beschäftigen. Ich freue mich mehr darüber jemanden mit unserer Musik beglücken zu können, als mein Gesicht auf den Titelblättern irgendwelcher Klatschmagazine zu sehen.
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