27. September 2011

Flotter Dreier mit George Clinton, Gary Numan und Little Richard

Interview geführt von

Jesse Hughes ist nicht nur der Ober-Adler of Death Metal, unbestrittener Schnauzbart-König diesseits und jenseits des Äquators und Patenonkel der Sprösslinge von Josh Homme - sondern auch George Clinton, Little Richard und Gary Numan in einer Person. Zumindest fühlt er sich so."Honkey Kong", so der Titel des Boots-Debüts paart die ungleichen Welten von Disko-Funk und Rock und lässt dabei die Herzen eines jeden Rockers mit verstecktem Village People-Tattoo auf dem Allerwertesten höher schlagen. Einen Abend vor dem exklusiven Boots Electric-Gig im Berliner Lido bat der redselige Jesse die Herrschaften der schreibenden Zunft ins multikulturelle Herz der Hauptstadt: Kreuzberg.

Zwischen Döner-Buden, Aldi, alternativen Punk-Kneipen und Bürgersteigen gepflastert mit Tretminen sämtlicher Hunderassen dieser Welt treffen wir in einem Hinterhof auf einen Mann, der bereits von Weitem seinem Ruf als Teaser-Maschine alle Ehre macht. Fast schon liebevoll verabschiedet er sich im Stile eines Gentlemans bei meiner über beide Ohren grinsenden Vorgängerin, nimmt mich in die mir unbekannten Arme und zündet sich erst mal eine Zigarette an.

Nach kurzem Small-Talk garniert mit lautstarken Lachattacken begeben wir uns ins COOP-Büro. In der Folge plaudert der gutgelaunte Dirty-Disco-Barde u.a. über sein neuestes Schaffen, die Angst vor Josh Homme, Schuldgefühle und Erziehungsfragen.

Hi Jesse, du wirkst ziemlich aufgeregt wegen deines Solodebüts. Müssen die letzten Jahre nicht eine Qual für dich gewesen sein? Man las schließlich, dass der Großteil des Albums bereits 2009 im Kasten war. Stimmt das?

Jesse: Stimmt. Ich war einfach noch nicht bereit, verstehst du? Ich wollte noch dazulernen und wirklich sichergehen, genau das abzulieferen, was ich mir vorgestellt hatte. Ich habe eine große musikalische Familie, die sehr gespannt war, und ich wollte niemanden enttäuschen. Schon gar nicht Josh. Für mich stellte die Arbeit an dem Album nicht nur die Arbeit an einem Soloalbum dar, sondern für mich war das eher eine Art R'n'R-Abschlussprüfung.

Diese Abschlussprüfung trägt nun den Namen "Honkey Kong", obwohl sie eigentlich "The Fabulous Weapon" heißen sollte ...

Jesse: "The Fabulous Weapon" wäre ein guter Name gewesen, aber "Honkey Kong" ist perfekt. Wenn der Funk auf eine weißen Mann trifft, dann entsteht entweder so was wie Eminem oder eben der "Honkey Kong".

Viel Bandmusiker machen irgendwann eine Soloplatte, sei es, um sich entweder für einen Moment vom Demokratie-Gedanken eines Kollektivs zu befreien oder eine andere Seite von sich zu zeigen. Was war dein Grund?

Jesse: Ehrlich gesagt, nichts von alledem. (lacht) Ich verrate dir mal was: Banddemokratie kannst du vergessen. Sobald sich etwas Derartiges innerhalb einer Band ausbreitet, dauert es nicht mehr lange, bis alles den Bach runter geht. Eigentlich gibt es so etwas auch gar nicht. Normalerweise hast du jemanden, der für das Künstlerische zuständig ist, und einen anderen, der das Geschäftliche regelt, that's it. Ich habe mich für ein Soloalbum entschieden, weil ich etwas vorweisen wollte, was mir das Recht gibt, Teil der Eagles zu sein. Wir sind eine Supergroup, also sollte auch jeder der Verantwortlichen dem gerecht werden. (lacht)

Dafür bedienst du dich auch der Basis deiner Homeband sowie allerlei elektronischen Einflüssen. Fühlst du dich wohl mit dem Resultat?

Jesse: Absolut. Bisher habe ich Songs geschrieben, die am Ende durch die Josh Homme-Maschine geschleust wurden. Diesmal habe ich Songs geschrieben, die durch die Electric Boots-Maschine liefen. Das ist natürlich ein Unterschied, wenn auch nur ein kleiner. (lacht) Eigentlich liegt aber alles sehr nah beieinander, nur das wir zehn Mal geiler sind als die Eagles. Ich wollte das Rad nicht neu erfinden, mir gings lediglich um das härteste und größte aller Räder.

Dieses treibt ohne Zweifel eine gehörige Portion Funk und Siebziger-Attitüde an. War dir schon immer klar, dass du einmal genau dieses Ergebnis abliefern würdest?

Jesse: Definitiv. Ich bin mit Gospel, R'n'R, Country und Funk aufgewachsen. Ich wusste, dass ich dieses Paket irgendwann mal aus mir herauspressen werde. Ich brauchte dafür nur den richtigen Zeitpunkt und den passenden Psychiater, der mir bei diesem Unterfangen beiseite steht.

"Josh rief mich häufiger an und drohte mit Prügel"

Hört dieser Psychiater auf den Namen Money Mark?

Jesse: You got it! Money Mark ist fantastisch. "Check Your Head" ist für mich eines der unglaublichsten Alben, das je veröffentlicht wurde. Die Scheibe mixt sechs verschiedene Musikstile und ergibt am Ende auch noch Sinn. Das ist der Wahnsinn. Als es für Boots an der Zeit war, gab es nur drei Leute, mit denen ich mir vorstellen konnte, zu arbeiten: Andre 3000, Dr. Dre und Money Mark.

Du hast dich für Letzteren entschieden ...

Jesse: Ob dus glaubst oder nicht, das war eine ganz verrückte Nummer. Joey Castillo, unser Drummer, hat Wind davon bekommen und mich eines Abends in eine Kneipe geschleppt. Irgendwann kam er auf mich zu und meinte, er hätte hier Money Mark neben sich stehen, und der würde gerne mit mir arbeiten. Peng! Also schnappte ich mir Money, und wir düsten ins Studio. Ich erzähl dir wirklich keinen Scheiß, aber bereits am nächsten Tag hatten wir die ersten drei Songs im Kasten.

Das nenne ich Effizienz.

Jesse: Der Typ ist einfach der Hammer, wirklich.

"Honkey Konk" zeigt nicht nur musikalisch sondern auch inhaltlich eine andere Seite von dir. Auf Stücken wie "Dreams Tonight" oder "No Ffun" wird es regelrecht intim. Fühltest du dich gelangweilt vom stetigen "Fun-Faktor" deiner Eagles?

Jesse: Nun, gelangweilt fühlte ich mich nicht, aber du hast natürlich recht. Bei den Eagles gehts ausnahmslos um den Spaß an der Sache. Das war schon immer so, und wird auch so bleiben. Während der Aufnahmen zu "Honkey Kong" habe ich mich in unsere Bassistin, Tuesday Cross, verliebt. So etwas beeinflusst einen natürlich. Ich kann mich erinnern, dass die Musik zu "No Ffun" fertig war und ich im Studio an den Lyrics arbeitete, aber nicht richtig voran kam.

Ich hatte vorher ziemlichen Mist gebaut, und Tuesday war überhaupt nicht gut auf mich zu sprechen. Plötzlich kam sie ins Studio, setzte sich und guckte mich an, wie nur eine verletzte und stinksaure Frau gucken kann. Zum ersten Mal in fünfzehn Jahren fühlte ich mich richtig schuldig. Ich sagte dem Engineer, er solle sofort das Tape laufen lassen und dann sprudelte alles aus mir heraus, einfach so. Ich habe einfach improvisiert, verstehst du? Manchmal braucht es halt Spannungen, um Großes zu erzeugen. (lacht)

War sie dir danach wieder wohlgesonnen?

Jesse: Ohne diese Situation hätte die Wiedervereinigung von uns beiden jedenfalls wesentlich länger gedauert, denke ich.

Meinem Kollegen Michael Schuh hast du beim letzten Interview verraten, dass du dich beim Eagles-Album "Heart On" einiger Cheap Trick-Elemente bedient hast. Gibts ähnliche 'Diebstähle' auf "Honkey Konk"?

Jesse: Oh ja, da gibts sogar einige. Ich habe da überhaupt kein Problem. Die Stanley Brothers inspirierten mich beispielsweise für den Song "Swallowed By The Night". "Boots Electric Theme" hat viel vom Parliament-Song "Funkentelechy" in sich. Ich habe wieder ziemlich gewildert, oder?

Das kann man wohl sagen. Ich hatte gar das Gefühl, einen leichten Monks-Flair im Opener "Complexity" auszumachen. Was meinst du?

Jesse: Du Gauner hast mich ertappt. (lacht) Ich bin halt immer noch ein Rocker. Stell es dir so vor: Jemand zog mich aus der dreckigen Garage und verpasste mir schicke Klamotten. Letztlich lässt sich das Album am besten so beschreiben als würde George Clintonmit Gary Numan vögeln, und Little Richard stellt dafür seinen Schwanz zur Verfügung.

Das lass ich mal so stehen!

Jesse: Kannst du ruhig so schreiben. Das ist die Wahrheit, Buddy.

Lass uns über deinen besten Freund reden, Josh Homme. Der Gute präsentiert sich eine knappe halbe Minute auf dem Album. Hatte er nicht mehr Zeit?

Jesse: Am liebsten hätte ich ihn natürlich jeden Tag im Studio gehabt, aber ich wusste, dass, wenn den Leuten mein Album gefallen wird, würden sie sagen, es sei gut, weil Josh dabei war. Ich hab's mir echt nicht leicht gemacht, und Josh rief mich auch öfters an und drohte mit derben Prügeln, wenn er sich nicht beteiligen dürfe. Also überlegte ich mir, welche Kirsche ich ihm vom Honkey-Kuchen überlassen sollte.

"Dreams Tonight" ist für mich persönlich der wichtigste Song auf dem Album. Das Solo darauf musste brillant werden, also bot ich Josh den Part an. Es ist ein tolles Gefühl zu wissen, dass der schönste Moment auf dem Album von meinem besten Freund kreiert wurde. Er kam ins Studio und hörte sich zwanzig Sekunden von dem Song an. Dann schnappte er sich die Gitarre, ging nach nebenan und spielte das Solo ein. Drei Minuten später war er wieder weg.

Beeindruckend.

Jesse: Das ist Josh, und deswegen liebe ich ihn. Das ganze Album ist all denen gewidmet, die mir über die vergangenen Jahr so sehr geholfen haben. Die meisten dieser Leute behaupten immer, ich hätte meine Seele an den Teufel verkauft, weil mir der ganze R'n'R-Scheiss einfach so zugeflogen ist. Aber die sind doch selber schuld. Typen wie Josh Homme, Dave Grohl, Ian Astbury oder Liam Lynch haben mich zudem gemacht, was ich heute bin.

Ein cooler Dude?

Jesse: Yeah, absolut. All diese großartigen Menschen sollen sich nicht schämen, mit mir in Verbindung gebracht zu werden. Das war ein großer Antrieb für mich. Ich stehe in der Schuld dieser Typen, und ich bin dankbar für jeden einzelnen Moment mit ihnen.

Die Kinder von David Bowie und Mick Jagger sind verwöhnt

Neben Josh treten auf "Honkey Kong" noch andere illustre Kollegen in Erscheinung, beispielsweise Brody Dalle oder Juliette Lewis. Wer hat dich am meisten beeindruckt?

Jesse: Auf jeden Fall Juliette Lewis. Sie ist die coolste und abgefahrenste Lady unter Sonne. Ich wollte schon lange ein Duett mit Brody aufnehmen. Sie ist wie eine Schwester für mich, und ich überlegte mir, wer mir auf kreative Weise am besten dabei helfen könnte, mich dafür in die richtige Verfassung zu bringen. Ich rief also Juliette an.

Sie schwang ihren Hintern ins Studio und ließ mich erblinden. Ich rede jetzt nicht von sexuellen Gelüsten, sondern von der Art und Weise wie sie gearbeitet hat. Diese Verbindung aus R'n'R und Schauspiel ist einzigartig. Sie hörte sich die Basics an, ging in die Studiokabine und fing an verrückte Dinge zu tun. Es war atemberaubend und faszinierend zugleich.

Juliette Lewis ist nicht gerade jemand, der zuhause auf Arbeit wartet. Wie schwer war es, sie und all die anderen punktgenau ins Studio zu kriegen?

Jesse: Das ist auch so eine Sache, die mir viel bedeutete. All die Leute waren involviert in andere Produktionen und haben sich dennoch die Zeit genommen, mir bei meiner Arbeit zu helfen. Das ist wahre Freundschaft. Es ging nicht um Credits. Das ganze Album ist eine Art Familienprodukt. Ich bat jeden einzelnen, sein Ego vor der Tür zu lassen, um die Platte musikalisch auf das höchst mögliche Level zu hieven.

Es war wunderbar, all diese tollen Typen um mich zu haben. Wenn du ein Soloalbum angehst, bist du oft allein. Du fängst dann an, dich zu langweilen, machst dich nackig und rennst irgendwann mit Socken und indianischem Kopfschmuck im Studio rum. (lacht) Wenn coole Leute dazukommen, lockert sich alles ein bisschen auf.

Bist du ein lockerer Daddy?

Jesse: Nein, ich denke nicht. Mein Sohn wird im November zwölf Jahre alt. Er ist wie mein Klon, und ich habe das Bedürfnis, ihn zu beschützen, denn das R'n'R-Biz ist kein Spielplatz für Kinder. Viele Kids von Musikern halten sich für was Besseres, weil ihr Daddy tätowiert ist, Krach macht und in der Zeitung steht. Bei mir läuft das ein bisschen anders. Ich bin da sehr altmodisch. Mein Sohn kriegt nichts geschenkt, nur weil sein Vater ein 'Rockstar' ist.

Das ist manchmal hart für ihn, aber wenn er 20 ist, wird er mir dankbar sein. Wir haben dennoch eine wunderbare Beziehung zueinander. Der Schlüssel ist: Ich bin zuallererst sein Vater, und dann sein Freund. Bei vielen anderen läuft das umgekehrt. Als mein Vater früher ins Zimmer kam, hielten alle für einen Moment inne. Es geht um Respekt, verstehst du? Es wird ihm helfen, einen selbstbewussten Charakter zu entwickeln. Er hat keinen Titel, nur weil sein Vater Jesse Hughes heißt. Er muss sich alles erarbeiten. Schau dir die Kids von David Bowie oder Mick Jagger an: Das sind verwöhnte und unsichere Kinder mit keinerlei Selbstwertgefühl. So sollte es nicht laufen.

Wird er trotzdem mal irgendwie in deine Fußsstapfen als Musiker treten?

Jesse: Oh ja. Er ist ein Bad-Ass-Drummer kann ich dir sagen. Er trommelt wie ein Wilder. Aber ich werde ihm nichts zufliegen lassen. Wenn er wirklich den Weg der Musik gehen will, werde ich ihn unterstützen, aber keine Türen öffnen. Nur so entwickelt er Professionalität und das richtige Verlangen. Wir werden sehen, wie es um sein Verlangen bestellt ist, wenn es hart auf hart kommt. (lacht)

Aber der Weg über den R'n'R ins Leben ist kein schlechter. Ich versichere dir, ich habe in meiner Zeit als Musiker mehr über Loyalität, Freundschaft und Opferbereitschaft gelernt als irgendwo sonst vorher. Selbst meine Mutter sagt mir, dass ich heute ein besserer Mensch bin als noch vor fünf Jahren. Das ist doch crazy, oder?

Absolut.

Jesse: Aber so sieht es aus. Das ist die Wahrheit.

Jesse, hab vielen Dank für die Zeit.

Jesse: Es war mir ein Vergnügen.

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