25. April 2012

"Ich habe ein hungriges Herz"

Interview geführt von

Im April 2011 ging es für sie so richtig in die Vollen: Tour-Support für Pohlmann, Debütalbum, erste eigene Headliner-Tour, TV-Präsenz, Promo-Marathon, zweite Headliner-Tour: Aus Catharina Sieland wurde Cäthe.Die zweifache Echo-Preisträgerin Ina Müller bezeichnet die Stimme der Wahl-Hamburgerin als "die beste Deutschlands". Da ist sie also endlich: die nächste Nina Hagen, die neue Ina Deter oder für den einen oder anderen sogar die deutsche Antwort auf Janis Joplin. Schwere Pakete auf den zarten Schultern einer jungen Frau, die so gar nichts von derartigen Vergleichen hält.

Der Titel ihres Debüts spricht Bände: "Ich Muss Gar Nichts" heißt ihr Erstlingswerk. Deutlicher geht es kaum. Wir verabreden uns mit der neuen Deutschpop-Queen kurz vor ihrem ausverkauften Berlin-Gig im Herzen der Hauptstadt und treffen auf eine Frau, die weiß, was sie will, keine Berührungsängste kennt und sich nach zwölfmonatiger Dauerrotation nach etwas Ruhe sehnt.

Hi Cäthe, die letzten zwölf Monate waren ziemlich aufreibend für dich. Wenn du dich heute mit der Person, die du vor zwei Jahren warst, vergleichst: Was hat sich alles verändert?

Cäthe: Ehrlich gesagt, nicht allzu viel. Es klingt vielleicht komisch, aber ich glaube, ich bin bodenständiger geworden.

Das klingt fürwahr etwas seltsam. Normalerweise laufen Musiker, die in kurzer Zeit auf ähnlich hohen Erfolgswellen wie du schwimmen eher Gefahr, abzuheben. Warum war bei dir das Gegenteil der Fall?

Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube, ich habe in den letzten Monaten einfach verinnerlicht, was mir in meinem Leben wirklich etwas bedeutet.

Du meinst die Musik?

Die Musik spielt natürlich eine große Rolle dabei. Dieser Austausch mit einem selbst ist unheimlich wichtig. Für mich ist und war Musik immer auch eine Art Sprachrohr. Aber ich habe auch gemerkt, was für tolle Freunde ich habe, und dass ich gar kein so ungeduldiger Mensch bin, wie ich immer dachte. Ich werde jetzt dreißig und fange an, mich so zu akzeptieren wie ich bin. Das ist ein schönes Gefühl.

Erfolg als Mittel zur Selbstfindung?

Dieser ganze Erfolg, diese Nebenschauplätze sind eher sekundär für mich. Natürlich ist es schön, wenn man merkt, dass man mit seinem Schaffen andere Menschen erreicht und berührt, aber in erster Linie freu' ich mich über meine eigene Entwicklung als Mensch und Künstler. Ich habe mich auch in den letzten Monaten nicht einengen lassen, sondern einfach nur genossen.

Das hättest du alles aber vielleicht auch schon viel früher haben können. Offerten seitens der Industrie gab es ja schon vor einigen Jahren, richtig?

Ja, das stimmt. Ich hätte schon mit Anfang zwanzig Verträge unterschreiben können, aber ich war einfach noch nicht so weit. Das Vorgelegte entsprach aber auch noch nicht meinen Vorstellungen. So waren, glaube ich, beide Seiten noch nicht da, wo sie heute sind. Mittlerweile weiß ich einfach genau, was ich will. Das gesamte Paket ist so facettenreich, da muss halt alles passen, sonst landet man schnell in den falschen Händen und man bleibt auf ewig die typisch deutsche Rockröhre, die aber eigentlich nicht wirklich was zu sagen hat. Das wollte ich nicht.

Mit meiner jetzigen Plattenfirma gab es anfangs auch Kommunikationsprobleme, weil die Leute nicht genau wussten, wie sie mit meiner Art umgehen sollten. Das hat sich dann aber schnell gelegt. Irgendwann waren wir auf einer Linie, und seitdem ist es einfach nur schön. Ich habe auch das Glück, im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, eine sehr enge Beziehung zu den Menschen hinter dem Label zu haben. Das macht natürlich vieles wesentlich einfacher. Ebenso habe ich bei allen anfallenden Dingen komplettes Mitspracherecht. Letztlich hilft all das ungemein beim morgendlichen Blick in den Spiegel, denn das, was da draußen, abseits meiner eigenen Performance, angeboten wird, bin zu 100 Prozent ich.

"Es geht doch fast überall nur noch ums Funktionieren"

Du wirkst sehr klar und selbstbestimmt, wenn es um dich als Person geht. Deine Musik hingegen ist alles andere als konzeptionell und klar strukturiert. Von der verrauchten Bar bis zum verschwitzten Punk-Club ist alles dabei. Befindest du dich noch in einer musikalischen Selbstfindungsphase oder ist gerade dieser Crossover genau dein Genre?

Ich habe einfach ein hungriges Herz. Ich würde mich künstlerisch nicht als rastlos bezeichnen. Oder als jemand, der sich in irgendeinem Bereich nicht für längere Zeit wohlfühlen kann. Das Leben ist einfach so vielseitig, und ich merke, dass ich es eben auch bin; vor allem als Künstlerin. Das ist aber auch ein Lernprozess. Das war für mich auch nicht immer einfach, denn ich würde mich schon als sensiblen Menschen bezeichnen.

Wenn du im Laufe der Zeit merkst, wie viele Facetten und wie viele verschiedene Ichs plötzlich zum Vorschein treten, dann haut dich das erst mal um und du musst lernen, damit umzugehen. Letztlich ist es aber genau das, was in so vielen Menschen steckt und aus welchen Gründen auch immer einfach nur nicht richtig zum Vorschein kommt. Man sollte sich nicht so sehr einschränken lassen. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Es geht doch fast überall nur noch ums reine Funktionieren.

Sobald man irgendwo drin ist, entstehen Pläne, wie man es am besten schafft, so lange wie möglich in dieser Schublade zu verharren. Das bedeutet im Gegenzug das Ende jeglicher Kreativität. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich mich in einer Situation befinde, wo ich mich an alles rantasten kann, wozu mir gerade der Kopf steht. Das ist natürlich ein Luxus, den ich genieße und aber auch zu schätzen weiß.

Viele Sängerinnen würden es, sehr zu schätzen wissen, wenn man sie mit Größen wie Janis Joplin, Ina Deter oder Nina Hagen vergleicht. Bei dir fallen diese und noch andere Namen fast in jedem Artikel über dich. Wie fühlst du dich dabei?

Das ist natürlich schön zu hören, denn diese Menschen haben alle einen großartigen Weg hinter sich. Ich selbst gucke aber weniger nach hinten. Ich lebe jetzt und beziehe meine Inspirationen eher aus der Gegenwart.

Du hast eine Fachschule für Musik- und Gesangsausbildung besucht und dort sogar das Dirigieren erlernt. Inwieweit steht dir dieses musiktheoretische Wissen beim freien Songwriting im Weg? Musst du dieses Wissen manchmal verdrängen, um befreit arbeiten zu können?

Nein, denn wenn ich mich mit der Entstehung eines Songs beschäftige, spielt Theorie keine Rolle. Es bedarf einer gewissen naiven Herangehensweise, die man sich erhalten muss, um sich entspannt mit Erlebtem oder Gedanken zu beschäftigen. Wenn man ein Thema hat, dass man in einen Song einbauen möchte, muss dieses immer die Quelle bleiben, verstehst du? Unabhängig von erlerntem Wissen, muss die Wurzel eines Songs immer die Macht besitzen, alle Konventionen zu sprengen. Wenn dieses Gefühl eingebrannt ist, kann man darauf aufbauen.

Bei mir läuft das in etwa so ab, dass ich mir einen Garten vorstelle, wo in irgendeiner Ecke ein Stuhl steht. Dieser sieht auch total schick aus, aber irgendwie steht er im Schatten. Also, fange ich an, ihn woanders zu platzieren. Und so ergeben sich nach und nach immer mehr Möglichkeiten, die letztlich zu verschiedenen Bildern führen. Aber diese Wurzel, dieses rohe Gefühl am Anfang, das muss ich festhalten, sonst verliere ich irgendwann den Faden. Auf der Bühne ist es ähnlich. Du hast zwar eine grundlegende Struktur, aber du musst dir trotzdem Freiräume schaffen, um dich komplett ausleben zu können.

"Als erstes werde ich drei Tage nur aufs Meer schauen"

Keine Berührungsängste?

Nein, absolut nicht. Es sollte natürlich im Rahmen bleiben, aber jeder Song sollte das Recht haben und die Möglichkeit besitzen, sich Abend für Abend neu zu präsentieren. Und seien es nur veränderte Nuancen. Du musst zwar die Kontrolle behalten, aber die Kontrolle darf nie einengend wirken. Das ist nicht immer ganz einfach, aber je öfter man ausprobiert und je mehr man zulässt, um so näher kommt man sich selbst. Dieses Gefühl, in diesem Moment dann mit sich und seinem kreativen Seelenleben in Einklang zu sein, ist unbezahlbar.

Deine zweite Tour neigt sich so langsam dem Ende. Was nimmst du mit?

Unbeschreiblich viel (lacht). Diese Tour war und ist unglaublich anstrengend. Aber sie hat auch so unheimlich viel gegeben. Die Band, eigentlich die ganze Crew ist in den letzten Wochen so dermaßen zusammengerückt. Wir haben uns alle unseren Humor ertastet und sind mit jedem Tag gewachsen. Wir lassen viel Nähe zu. Es ist wie in einer großen Familie. Aber ich bin auch froh, wenn ich Zeit bekomme, all das Erlebte zu verarbeiten.

Demnach steht nach der Tour erst einmal eine Pause an?

Als erstes werde ich drei Tage nur aufs Meer schauen und dabei alles zu Papier bringen, was die letzten Wochen so abgelaufen ist. Ich meine, das muss ja alles irgendwo hin (lacht). Ich spiele heute Abend hier vor 800 Leuten, und das geht ja die ganzen letzten Wochen schon so. So etwas kann man nicht einfach in die Archive legen und zum nächsten Tagespunkt übergehen. Zumindest ich kann das nicht.

Mal schauen, im Sommer stehen dann einige Festivals an, auf die ich mich schon total freue und danach werde ich mich wahrscheinlich mit neuem Material beschäftigen. Ich bin im Moment einfach nur glücklich, das Leben führen zu können, das mir die Möglichkeit gibt, mich vollends zu verwirklichen. Das kostet aber auch eine Menge Kraft, insofern: Drei Tage nur aufs Meer schauen, wird mir schon gut tun. Darauf freue ich mich.

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