1. März 2019

"Klima geht vor - dagegen ist mir Feminismus scheißegal"

Interview geführt von

Zwei Alben hat Charlotte Brandi mit Me And My Drummer veröffentlicht, das dritte war bereits in Arbeit. Mittlerweile hat sie leider keinen Kontakt mehr zu ihrem Drummer. Aber ein bestimmtes Lied ist immer noch da und tröstet sie ein bisschen ...

Nun legt Brandi ihr erstes Soloalbum vor: "The Magician". Statt in die gleiche Richtung weiterzumarschieren wie mit Me And My Drummer, verfolgt Charlotte Brandi bei ihrem ersten Soloalbum "The Magician" einen anderen musikalischen Ansatz. Weniger Synthesizer sollten es sein und die Songs insgesamt zeitloser klingen.

Andererseits hat sie das nächste Kapitel bereits fest im Visier: Auch politischer soll es nämlich künftig werden – viel politischer. Der Klimawandel treibt die Wahlberlinerin um und das macht sie nicht nur auf ihrem Blog deutlich, sondern auch in unserem Gespräch. Statt nur für eine bessere Welt zu singen, will Brandi künftig auch aktiv zur Tat schreiten.

Deinen Instagram-Stories zufolge kommst du gerade aus Brüssel vom Videodreh zu "Veins" oder? Warum seid ihr zum Filmen ausgerechnet dorthin gefahren?

Charlotte Brandi: Nee, der Videodreh war einen Tag vorher im Berliner Umfeld. Nach Brüssel gefahren sind wir am nächsten Tag für einen Showcase. Der Dreh fand im Schloss Marquardt statt – bei Potsdam. Das lief super, hat Spaß gemacht, das Team war sehr professionell, aber es gab keine Heizvorrichtungen für mich und die Darstellerinnen. Wir mussten eine Dreiviertelstunde lang bei -7 Grad in Frühlingskleidung draußen posieren. Deswegen sind wir jetzt alle krank.

Hoffen wir, dass sich das fürs Ergebnis auszahlt. Den Clip zur zweiten Single "My Days In The Cell" hast du in deiner Dortmunder Heimat gedreht. Beschäftigst du dich auf dem Album also viel mit Autobiografischem?

Das Album habe ich in der Zeit geschrieben, als ich mit gebrochenem Fuß in Dortmund bei meiner Mutter auf der Couch lag. Aus dieser Unbeweglichkeit heraus sind viele Texte zum Album entstanden. Ich wurde immer krass an meine Pubertät erinnert – wie es war, mit 14, 15 mit Kopfhörern auf den Ohren durch Dortmund zu stromern, Musik zu hören und zu träumen. Mehr oder weniger aus einem Traumzustand, der meiner Pubertät entlehnt ist, hat sich jetzt diese Musik und teilweise auch die Texte herausgebildet. Wobei die Texte schon immer aktuellen Bezug haben, zu mir als Mitte-20/Anfang-30-jährige Frau. Aber die Musik sollte etwas Entrücktes, Halbschlafwandlerisches haben, was gut zu einer Halfpipe beim Sonnenuntergang passt, wo irgendwelche Teenies rumlungern. Mir würde gefallen, wenn das passt.

Zu der Zeit, von der du sprichst, gab es Me And My Drummer noch – das war sogar vor Veröffentlichung eures zweiten Albums "Love Is A Fridge". Ihr hattet vor der Auflösung des Projekts auch bereits am dritten Album gearbeitet, wenn ich recht informiert bin. Hören wir diese, eigentlich für Me And My Drummer gedachte Musik nun auf "The Magician"?

Nein. Me And My Drummer war eins meiner Gesichter – ein eher lautes, klangmächtiges Gesicht, mit Thermalbad-Hall, Synthieflächen und Soundwänden. Ich habe aber noch ein anderes musikalisches Gesicht, was ich unbedingt ausleben wollte. Dieses Gesicht zeige ich jetzt. Zwar nicht ganz so konsequent kleiner, wie gedacht, aber der Plan war, es zeitlos und intim zu versuchen. Es sollte filigraner werden, sodass man den einzelnen Instrumenten gut folgen kann. Es gibt kaum Synthesizer, sondern eher Gitarren, Streicher, Flöten, Klavier und Orgel. Man soll sich hier vom naturalistischen Klang bezaubern, statt von Synthie-Pads überrollen zu lassen. Deswegen wollte ich beide Welten separieren. Ich dachte, ich habe Me And My Drummer für die laute Synthie-Pose und mein Soloprojekt für die folkige Dreampop-Spielart mit dem etwas zeitloseren Sound. Doch vor einem Jahr hat Matze (Pröllochs, Drummer; Anm. d. Red.) mir da einen Strich durch die Rechnung gemacht und Me And My Drummer aufgelöst.

Die Trennung ging also von ihm aus?

Ja. Ihm ist auch ein Lied gewidmet auf dem Album: "Aliferous". Das beschreibt ihn, wie ich ihn kannte, geliebt habe und in Erinnerung behalten möchte. Das entstand auch in einer Zeit, in der wir uns noch sehr gut verstanden haben. Mittlerweile haben wir leider gar keinen Kontakt mehr. Aber das Lied ist immer noch da und tröstet mich ein bisschen. Das ist das Geile: Wenn man ein Lied über irgendwas schreibt, entwickelt es ein Eigenleben und wird irgendwann fast selbst zu einer Art Person, die einem Dinge sagt, die man selbst im Kopf vielleicht noch gar nicht verstanden hat. Bei "Aliferous" war das der Trost. Bei "My Days In The Cell" war das das Missverstandensein.

Planst du, das Material, das auf dem dritten Me And My Drummer-Album landen sollte, noch zu veröffentlichen oder kommt das in die Schublade?

Doch, doch, da sind geile Ideen dabei! Ich hab' voll Bock drauf! Ich hätte ja auch ein drittes Me And My Drummer-Album gemacht. Ich finde, jede gute Band muss mindestens drei Alben rausbringen, nicht nur zwei. Das Material darf ich auch verwenden, ich habe Matze schon gefragt. Aber halt nicht mehr mit ihm zusammen...

Weißt du, was er momentan macht?

Er ist im Theater umtriebig, macht Theatermusik.

Er wollte also darauf seinen Fokus legen?

Mhm, verstehe ich auch. Es ist total stressig und unsicher, mit einem eigenen Projekt musikalisch Geld zu verdienen. Gegen eine Institution wie das Theater komme ich nicht an. Das ist attraktiver, wenn man die Gelegenheit bekommt. Ich hoffe, er ist glücklich. Mehr weiß ich auch nicht.

"Ich will, dass meine nächste Platte politisch ist"

Du hast ja selbst auch Theatererfahrung. Hast du selbst auch überlegt, eine andere Richtung einzuschlagen oder war klar, dass du es solo versuchen würdest?

Dass ich mir einmal dieses Soloding geben muss, war schon immer irgendwie klar. Ach, aber die Dinge ändern sich auch immer so schnell. Ich will zum Beispiel, dass meine nächste Platte politisch ist, nicht mehr so persönlich. Damit ist jetzt mal genug. Ob das dann eine politische Pop-Platte wird – so im Sinne von Synthie-Pop – oder eine "klassischere" politische Platte, weiß ich jetzt noch nicht. Aber ich kann jetzt glaube ich nicht mehr über mein Herz singen. Das reicht jetzt.

Darauf wollte ich noch zu sprechen kommen, da du kürzlich bei einem Showcase schon gesagt hast, dass du das Politische beim ersten Album rausgelassen hast, beim zweiten aber definitiv diese Richtung einschlagen möchtest. Warum wolltest du es zunächst rauslassen? Auf deinem Blog zum Beispiel äußerst du dich auch sehr eindeutig politisch.

Ja, aber das ist nicht immer so gewesen. Ich war nicht immer politisch. Das ist ein Grund. Aber besser spät als nie! Ich glaube, wenn man irgendwann wirklich versteht, was so los ist, dann kann man gar nicht mehr anders als politisch zu sein. Nur die allermeisten verstehen es ja nicht von alleine. Weil mans nicht so erzählt bekommt wie man andere Dinge ganz selbstverständlich erzählt bekommt. Uns fehlen glaube ich einfach ganz viele Informationen, sonst wären wir alle viel politischer. Deswegen dauert es lange, bis einer nach dem anderen politisch "aufwacht". Auf mich traf das auch zu. Ich habe mich ökologisch scheiße verhalten, bin mal eben in den Urlaub geflogen, habe viele Milchprodukte konsumiert und hab’ mich gerne mal mit dem Auto irgendwo hinfahren lassen. Ich war nach unseren Maßstäben ein ganz normaler Mensch, fand wichtig, wie es mir geht, was mit den Männern ist, was mit meinen Träumen ist, was das Unbewusste macht, wie der Mensch so funktioniert und bla bla bla. Inzwischen sehe ich "The Magician" so: Ich stelle mich damit ein bisschen vor. So ticke ich, so sieht die Farbe meiner Seele aus. Hört es euch an – ich hoffe, es gefällt. Aber im nächsten Schritt muss ich anders deutlich werden.

Was gab bei dir den Anstoß, umzudenken?

So genau weiß ich es gar nicht mehr. Aber ich habe in Köln einen Freund, der schon seit ich kenne ein Radikaler ist. Man kann sich nicht mit ihm treffen, ohne dass er eine halbe Stunde darüber referiert, dass die Welt untergeht, wenn wir jetzt nicht alle Veganer werden und aufhören zu fliegen. Das ist natürlich total anstrengend. Mit so einem Mensch will man sich erstmal nicht so viel beschäftigen – es sei denn, man glaubt ihm! Ich war immer ein bisschen im Zwiespalt, weil ich wusste: er hat recht. Aber ich war einfach noch nicht so weit. Ich war in einer Bequemlichkeit und so mit mir selbst beschäftigt, dass ich nicht kapiert habe, was das alles bedeutet. Und ich dachte, er übertreibt. Irgendwann habe ich verstanden, dass er recht hat und immer recht hatte. Und dass auch die Indianer, mit denen sich meine Mutter mal getroffen hat, als sie in den 70er- und 80ern eine Politfolk-Band hatte, das auch schon immer gesagt haben – genau wie auch die Umweltschützer schon in den 80ern und die Grünen als Partei... Die hatten immer recht. Inzwischen ist es fast zu spät. Wenn es die Leute jetzt nicht kapieren, dann haben wir ein Riesenproblem. Deswegen: Besser spät als nie. Noch ist es nicht zu spät, aber die Zeit rennt.

Auf deinem Blog schreibst du, dass "mit der reinsten und schönsten Emotionalität bloß in der Kunst Siege gefeiert werden". Muss Kunst also realistischer werden oder sollte ihre Rolle genau die sein, ein Idealbild als Anreiz zum Handeln zu schaffen?

Das Zitat ist so gemeint: Wenn man bei einem politischen Thema zu emotional ist, sind die Deutschen – okay, die Menschen, mit denen ich geredet habe; das waren zufällig alles Deutsche – erstmal verschreckt. Sie wollen keine Wut hören. Sie wollen Zahlen hören. Sie brauchen Infos. Wenn sie dir glauben sollen, brauchen sie Fakten. Und das ist gut, dass das so ist. Das meinte ich an der Textstelle: Man muss den Leuten erstmal Fakten liefern. Das vielleicht auf emotional eindringliche Art, okay. Aber in der Kunst ist Emotionalität die Währung, in der gezahlt wird. Wenn jemand in der Kunst nicht mit ganzem Herzen bei dem ist, was er gemacht hat, spürt man das. Man liegt dabei vielleicht auch nicht immer richtig, aber wenn ich mir Musik anhöre und das Gefühl habe, dass mir Gefühle vorgelogen werden, finde ich das Scheiße und will ausmachen. Manchmal will ich auch ausmachen, wenn das Gefühl total echt ist und viel zu groß. Am besten ist eigentlich immer, wenn jemand was aufrichtig fühlt und auf eine coole Art in Kunst verpackt.

Apropos Gefühle: Der Pressetext zu "The Magician" beginnt mit einer kurzen Erzählung von dir zum Song "Two Rows", die auf mich wie eine Art Moodsetter wirkt. War das dein Ziel – das durch die Geschichte vermittelte Gefühl in Musik zu übersetzen?

Zur Einordnung hier besagte Erzählung:

Ein verlassener Bahnhof, irgendwo im Süden Europas, irgendwann im Hochsommer. Es ist heiß und staubig, eine Szene wie aus einem alten Italo-Western, nur, dass hier keine Musik von Ennio Morricone zu hören ist, sondern das Ächzen eines alten Zuges, der sich mühsam in den Bahnhof schleppt. Kaum jemand steigt aus, kaum jemand steigt ein. Auch nicht der Mann vor dem Bahnhof, der dort mit seinem Koffer herumsteht und es nicht fassen kann, dass die Bahnhofsbar seit Monaten geschlossen ist. Er weiß nicht, wann der Zug kommt, auf den er wartet. Der ihn zurückbringen soll, weg von der Hetze der Flucht, ab nach Hause, wo immer das sein soll. Vor gar nicht langer Zeit besaß er noch alles: Macht, Ansehen, ein Auskommen. Doch er hat alles verloren, steht mit nichts als seinem Herzen in Händen da, es ist die ultimative Lektion in Sachen Demut. Und wie in einem Traum erscheint vor seinem inneren Auge die Person, die einem Zuhause am nächsten kommt. Dieses Bild gibt ihm Kraft. Kraft, die er dringend braucht, hier in der absoluten und gottverlassenen Fremde.

Hm, nee, die Texte sind manchmal viel mehr eins zu eins als man denkt. Es gab einen Menschen, der an einem Bahnhof stand und gewartet hat. Aber mehr sage ich dazu jetzt lieber nicht. (lacht)

Gut, dann gehen wir vom Klimawandel zum nächsten wichtigen politischen bzw. gesellschaftlichen Thema: Feminismus. Frauen sind in der Musik nach wie vor extrem unterrepräsentiert, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich habe dich zwar bislang nur einmal live gesehen, aber bei diesem Showcase standest du zusammen mit zwei Frauen auf der Bühne. Hast du bewusst zwei Musikerinnen ausgewählt, um ein Statement zu setzen?

Ich bin müde, was dieses Thema angeht. Mir ist das so egal. Und ich muss es leider doch wieder auf den Klimaschutz bringen: Die Klimakatastrophe geht vor – dagegen ist mir der Feminismus scheißegal. Was nützt Feminismus ohne Menschheit? Überhaupt nichts. Deshalb sind mir diese ganzen zwischenmenschlichen Konflikte gerade so wurscht! Ohne intakten Planeten können wir nicht weiter streiten. Deswegen stecke ich meine Energie jetzt nicht in Feminismus. Dass meine beiden Mitmusikerinnen Musiker-innen sind, ist mehr oder weniger Zufall. Letztens meinte eine Interviewerin zu mir: "Man merkt dem Album an, dass dahinter ein entschlossener Geist steht – ich mache, was ich denke, wie sich das gehört!" Sie wollte glaube ich auf eine Art Pippi-Langstrumpf-Geist hinaus à la "Ich lasse mir nicht reinreden, ich mache wie ich will." So ein Bullshit! Das macht jeder Mann die ganze Zeit. Und niemand muss es kommentieren. So viel dazu. Ich werde wütend genug, wenn jemand sagt: "Oh, starke Frau." (stöhnt) Ich bin in erster Linie ein Mensch wie wir alle und ich lebe auf diesem Planeten. Der Planet hat das Sagen, nicht ich, nicht irgendein Mann – niemand anders als die Naturgesetze. Wenn das geklärt ist, können wir uns weiterstreiten über Feminismus. Aber richtig Lust auf diesen Streit habe ich auch nicht mehr. Ich bin einfach ein Mensch und mache, was ich mache. Und wer das klein machen muss, der muss das halt klein machen.

"Songs müssen auf Englisch sein, Gedichte müssen auf Deutsch sein"

Fair enough. Dann reden wir doch noch ein wenig über Klimaschutz. Auf deinem Blog schreibst du auch, dass dringend ein Vorbild benötigt wird. Ganz frisch hast du auch die Rede von Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel dort verlinkt. Denkst du, sie kann dieses Vorbild sein?

Ja, ist sie! Als ich jetzt für diesen PIAS-Showcase in Brüssel war, sind wir beim Laufen durch die Innenstadt zufällig mitten in den Demozug tausender Kinder geraten. Ich fragte, wer das organisiert hat und bekam die Antwort: "A girl our age inspired us." Das musste Greta sein, auf jeden Fall. Jetzt kommen halt wieder irgendwelche Leute und sagen: "Hm ja, schon richtig, was sie erzählt, aber sie hat so komische Augen." Oder: "Die spinnt." Der Mensch soll mal schön weitermachen und versuchen, auch das letzte Bisschen Wahrheit wegzudiskutieren – es bleibt trotzdem wahr. Ist doch scheißegal, was für Augen die hat! Sie sagt die Wahrheit. Die Schülerinnen und Schüler beginnen, das zu verstehen. Sie beginnen zu verstehen, dass die Zukunft, die sie sich erträumen, vielleicht nie stattfinden wird, wenn jetzt nicht gehandelt wird. Das wird ihnen vielleicht hart versaut – jetzt gerade! Das ist der einzige, beste und wichtigste Grund, jetzt politisch aktiv zu werden. Die Sanduhr läuft gerade durch. Eigentlich haben wir gar keine Wahl, es wäre total rational. Aber das haben noch nicht alle verstanden. Es ist wie ein Krimi. Mal gucken, wie er ausgeht. Eine Greta ist auf jeden Fall ein Vorbild, mit dem keiner gerechnet hätte. Ist ein bisschen lustig, dass sie das ist. Aber sie ist es.

Du schreibst bereits am zweiten Album, nicht wahr? Wie stellst du dir aktuell vor, die politische Dimension einzuweben? Nur zu predigen ist ja nicht immer wirkungsvoll.

Ich muss auf jeden Fall eine Schnittstelle finden. Momentan bin ich in der Wut-Phase. Erstmal muss ich gucken: Was muss ich sagen. Wenn das alles aufgeschrieben ist, muss ich mit klaren Kopf urüberlesen und überlegen: Was darf ich sagen?

Gehts nicht vielleicht sogar darum, das zu sagen, was man nicht sagen "darf"?

Das muss ich sehen, wenn die Emotion ein bisschen verebbt ist. Eben wegen "wirkungsvoll", wie du sagst. Wenn ich jetzt schon daran denken würde, was wirkungsvoll ist, könnte ich glaube ich nicht erstmal alles unschuldig rauskotzen. Das muss ich im ersten Schritt aber tun. Man kotzt Rohdiamanten aus, irgendwelche Texte...

... und dann muss man sie schleifen?

Genau. Ich sammele jetzt erstmal Rohdiamanten für das Album.

Willst du den Zweitling möglichst bald auf das Debüt folgen lassen oder glaubst du, das dauert noch eine ganze Weile?

Ich könnte eine Pause vom Musikbusiness gebrauchen. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich könnte mir auch vorstellen, erst einmal mit der Musik aufzuhören und mich nur noch politisch zu engagieren. Das wäre eigentlich das Beste. In der Musik habe ich alles erreicht, was ich erreichen wollte. Ich wollte genau so groß werden wie wir mit Me And My Drummer zu Hochzeiten waren. Größer wollte ich nie werden, das wäre mir viel zu krass gewesen. Ich hatte die Chance, hunderte Konzerte zu spielen – immerhin überall in Europa. Ich wüsste nicht, was es jetzt noch zu erkämpfen gäbe. Und der Kampf innerhalb des Musikbusiness ist so ein Bullshit-Kampf. Da geht so viel Kraft für so viel Quatsch drauf. Die Energie würde ich jetzt eigentlich lieber in etwas Sinnvolles stecken. Mal gucken. Ich kann eh nicht anders als Musik machen, aber mal sehen, ob und wie bald ich noch etwas veröffentlichen möchte. Das weiß ich noch nicht.

In welcher Funktion könntest du dir vorstellen, dich politisch zu engagieren bzw. tust es schon?

Ich bin jetzt Parteimitglied bei den Grünen geworden und muss mir jetzt erstmal anhören, was die so machen. Jetzt kommt erstmal ganz viel Input auf mich zu – Output kommt viel später. Ich muss mich mehr informieren und gucken, wie diese deutsche wichtige Partei das eigentlich gerade alles anpackt und was die wissen, was ich nicht weiß. Denn die sind ja direkt am Puls des politischen Apparats. Die sitzen im Bundestag. Sie sind am Start und machen ja aktiv deutsche Politik. Wenn diese Albumkampagne vorbei ist, wünsche ich mir, dass ich erstmal ganz viel Zeit darauf verwende, herauszufinden, wie die das machen und was genau dort die ganze Zeit passiert.

Trotzdem noch eine – sehr allgemeine – Frage zu "The Magician": Wie lief der Prozess von Songwriting zu Recording ab? Sprich, wie fandest du das vorhin erwähnte Instrumentarium, wie hast du deine Musiker ausgewählt et cetera.

Das sollte ganz familiär und "gutgeistig" sein. Meine Mutter spielt zum Beispiel Querflöte auf dem Album. Die Geigerin ihrer alten Band Cochise geigt in einem Outro. Der Ex-Bassist meines Vaters spielt den größten Teil der Basspuren. Viele alte Freunde sind also auf dem Album versammelt. Aufgenommen habe ich zusammen mit Joe Joaquin, der unter anderem das letzte Maeckes-Album und Tristan Bruschs Album gemischt hat – auch zwei Freunde von mir. Das war eine sehr intensive, detailverliebte Zusammenarbeit im Bakermoon-Studio. Das Studio war im Kottbusser Damm, wurde jetzt aber weg-gentrifiziert. Die mussten einfach raus, der Mietvertrag wurde nicht verlängert. Tolles Studio! Ein großer Flügel stand drin, es gab einen großen Holz-Aufnahmeraum, Hammond-Orgeln, Tageslicht und es war super charming geschnitten, in einem Hinterhof. Doch das Studio ist jetzt weg. Scheiße. Aber das Album ist da. Für mich hats gerade noch gereicht.

Du schreibst auch Gedichte – allerdings auf Deutsch, nicht auf Englisch wie deine Songtexte. Warum der Sprachenunterschied?

Songs müssen einfach auf Englisch sein und Gedichte müssen einfach auf Deutsch sein. Das ist einfach so.

Wieso ist das so?

Weil man bei Songs je nach Sprache das Genre wechselt. Ich liebe das Genre, das ich mache, wie es ist. Würde ich auf Deutsch singen, wärs ein anderes! Dann wäre es ... Deutschpop oder Chansons auf Deutsch oder Singer/Songwriter oder sowas. Das ist nicht das Genre, das ich liebe. Das macht einen riesigen Unterschied. Und Gedichte müssen auf Deutsch sein, weil die Dichter, die ich liebe halt zum größten Teil auch deutsche Dichter waren. Ich bin zum Beispiel großer Rilke- und Hannah Arendt-Fan. Die meisten wissen gar nicht, dass Hannah Arendt auch Gedichte geschrieben hat – ganz schöne, schöne Gedichte! Ringelnatz und Robert Gernhardt mag ich auch. Deutsch ist die Sprache des Gedichts für mich. Irgendwie ist das so.

Wenn du Gedichte schreibst, denkst du dann ähnlich wie beim Songlyrics-Schreiben oder sind das zwei komplett verschiedene Prozesse für dich?

Anders. Gedichte schreiben ist eigentlich viel geiler. Viiieeel geiler! Weil es freier ist. Ich bin dabei viel anarchischer und mutiger. Da haben die Worte genau die richtige Größe. Bei den Songs ist die Größe der Worte manchmal ein bisschen verzerrt. Manchmal sind Worte riesengroß, weil sie im Refrain vorkommen oder weil sie durch die Musik betont werden.

Mir kam es beim Hören so vor, als würdest du die Gesangsmelodie manchmal nach den Texten beugen...

Ja, das stimmt! Ich habe eigentlich immer die Texte zuerst, lege sie mir dann aufs Klavier und singe sie dazu. Ich weiß nicht, ob das andere auch so machen, aber ich mach' das so.

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