5. Januar 2016
"Die Band klingt jetzt viel größer"
Interview geführt von Simon LangemannVerblüffend, aber wahr: Zur jüngsten Death Cab-Platte "Kintsugi" kursieren kaum deutschsprachige Interviews im Netz. Da kann man ruhig mal mit den drei offensichtlichsten Aufhängern einleiten. So geht etwa der Producer-Credit erstmals in der Bandgeschichte nicht mehr an den Gründungsgitarristen Chris Walla. Nach dessen Ausstieg im Herbst 2014 posieren die US-Amerikaner außerdem nur noch zu dritt für Promofotos.
Und dann wäre da auch noch der medienwirksame Knick im Leben von Sänger Benjamin Gibbard, dessen Befindlichkeiten seit jeher als Inspirationsquelle dienen - die Trennung von Schauspielerin Zooey Deschanel. Wie unmittelbar sich all das in der Musik spiegelt? Wir entlockten Drummer Jason McGerr im Berliner Huxley's einige Erklärungsversuche, ehe die Band am Abend zu 120 Minuten Indie-Rock in Perfektion ansetzte.
Ihr seid seit einigen Tagen in Europa unterwegs. Welches sind die größten Unterschiede zu einer US-Tour?
Jason: In allererster Linie ist das die Größe der Venues. In den USA spielen wir meistens ziemlich große Shows. Hier in Europa entspricht das vielleicht einem Viertel davon. Aber das macht großen Spaß. Wenn du vor einem riesigen Publikum spielst, etwa in einer Arena oder einem Stadion, verlierst du gerne mal den Kontakt zu den Leuten. Das tun wir jetzt auch nicht immer, aber in den großen Städten eigentlich schon.
Hier findet dagegen viel öfter dieser Austausch statt: Ich kann jemanden anschauen und lächeln und bekomme eine Antwort. In diesen riesigen Venues weißt du hingegen oft nicht, wie viele Menschen da eigentlich stehen. Die Clubs in Europa [das Huxley's fasst knapp 2000 Menschen, d.Red.] sind düster und laut, das macht immer großen Spaß.
Das hoffe ich. Ich hab euch im Juni auf dem Open Source Festival in Düsseldorf gesehen. Das war schön, aber erstaunlich leise.
Ja, viele Festivals haben leider dieses dB-Limit. Das ist verständlich, aber schade. Wir sind ja keine laute Band, aber es ist schon schön, wenn die Nacht und die Location dir gehören. Du arbeitest den ganzen Tag am Setup, um die bestmögliche Show auf die Beine zu stellen. Außerdem kannst du doppelt so lange spielen. In Düsseldorf hatten wir eine Stunde – heute sind es zwei. Das ist großartig.
In einem Interview mit dem Spin Magazine anlässlich der neuen Platte habt ihr sinngemäß eingestanden, dass "Codes & Keys" von 2011 rückblickend weniger besondere, bleibende Momente beinhaltet, als ihr euch ursprünglich erhofft hattet.
Ist das ein Zitat? Hab ich das gesagt? (grinst)
Nein, das war Ben – in gefühlt zehn Sätzen.
Ach so, klar. Ich glaube, Ben war auf andere Alben aus unserem Katalog durchaus stolzer als auf "Codes & Keys". Diese Platte fühlte sich im Nachhinein vielleicht ein bisschen gehetzt an. Sie wurde außerdem überwiegend an Klavier und Keyboard geschrieben. "Kintsugi" ist hingegen wieder viel Gitarren-getriebener, wie auch "Narrow Stairs" - oder besser gesagt, alles außer "Codes & Keys". Das ist nun mal Bens Hauptinstrument, daher fühlt er sich diesen Songs vielleicht verbundener als den Keyboard-Songs.
Ich persönlich finde "Codes & Keys" nach wie vor großartig. Ich hab unsere Alben eigentlich alle gleich gern. Das einzige, das ich herausheben könnte, wenn ich eins auswählen müsste, wäre wohl "Transatlanticism" - weil das einfach so ein Wendepunkt in der Karriere war und ich mit dieser Platte eingestiegen bin. Das war eine besondere Energie. Da haben wir eine Chemie zwischen uns entdeckt, von der wir vorher nicht wussten, dass sie besteht.
"Ich habe nie daran gezweifelt, dass es mit Death Cab weitergeht"
Eine Freundin von mir sagte letztens, in ihrer Erinnerung bleibe "Codes & Keys" nun mal das Album, bei dem Ben glücklich verheiratet war und Marathons lief.
Oh, er läuft immer noch Marathons. Eigentlich läuft er mittlerweile sogar viel länger. Heutzutage nimmt er an 50-Meilen-Rennen teil (lacht). Aber ja, es waren definitiv mehr Liebeslieder - und weniger Kummer. Ich habe ihn auch schon scherzen gehört: Die Leute mögen den glücklichen Ben nicht so gerne wie den nachdenklichen, unglücklichen Ben. "Stay Young, Go Dancing" war ja der wahrscheinlich erbaulichste Song, den er in all den Jahren geschrieben hat. Aber die Leute hängen bis heute an den tristeren Liedern wie "I Will Follow You Into The Dark" oder "What Sarah Said". Für "Kintsugi" hatte er offensichtlich wieder einiges, um darüber zu schreiben. In den letzten drei, vier Jahren ist viel passiert. Nicht nur in Bens Leben, sondern bei uns allen. Ich denke, dass sich das definitiv auf die Musik ausgewirkt hat.
Man hatte das Gefühl, dass "Kintsugi" in den deutschen Medien überwiegend als das große 'Trennungs-Album' wahrgenommen wird. Hat der Ausstieg von Chris Walla das Endergebnis überhaupt beeinflusst?
Das glaube ich nicht. Wenn überhaupt, dann wird die nächste Platte diese Veränderung reflektieren. Es war ja auch kein Bruch - im Gegensatz zum offensichtlichen Bruch in Bens Leben. Chris war in "Kintsugi" immer noch sehr involviert. Er hat uns nur irgendwann klar gemacht, dass es sein letztes Album sein wird, dass er etwas ändern will und dass er nicht mehr auf Tour gehen will. Wir haben das verstanden und akzeptiert.
Und Chris hatte zwei Wünsche: Erstens wollte er nicht mehr derjenige sein, der die Platte produziert. Nicht mehr der Typ hinter der Scheibe, sondern eher Teil der Band. Zweitens wollte er so viel Durchblick wie möglich, und wir haben ihn so stark wie möglich eingebunden. Ich glaube, es wäre eine komplett andere Platte geworden, wenn Chris plötzlich gesagt hätte, er mache es nicht mehr. Das wäre schwierig geworden. Aber so lief es - mit der Ausnahme, dass diesmal Rich Costey produziert hat - nicht großartig anders als bei den vorherigen sieben Death Cab-Alben.
Gab es nie Momente von Endzeitstimmung, in denen ihr nicht wusstet, ob es mit Death Cab weiterhin geben kann?
Chris und ich sind sehr gute Freunde. Wir haben auch abseits der Band schon gemeinsam Projekte gemacht, zum Beispiel mit Tegan and Sara. Ich weiß, wie gut er darin ist, mit anderen Bands zu arbeiten, etwa als Produzent. Und ich weiß, dass es hart für ihn war, so etwas abzulehnen, weil er mit Death Cab auf Tour war. Wie auch immer, aus meiner Sicht gab es Death Cab mit Chris Walla - und jetzt gibt es eben die neuen Death Cab. Es ist immer noch Ben, der als Sänger und Songwriter ganz eindeutig den Kern bildet.
Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir weitermachen können. Aber ich wusste, dass es anders wird. Die zwei Musiker, die wir jetzt mit auf Tour genommen haben, sind einfach großartig. Sie sind gute Freunde geworden, denn wir hatten auch schon vorher eine gemeinsame Geschichte. Mit Zach Rae hatte ich schon Sessions für andere Bands. Ben und Dave Depper kannten sich ebenfalls. Wir wussten also, dass man mit diesen Leuten gut Zeit verbringen kann.
Das Tollste an dieser neuen Konstellation ist aber, dass wir vieles aus unserem Katalog endlich so spielen können wie es auf dem jeweiligen Album klang. Als wir noch zu viert waren, musste Chris sich oft zwischen E-Gitarre, Akustikgitarre und Keyboard entscheiden. Wir haben immer das Beste draus gemacht, aber was wir jetzt machen, klingt viel größer. Du hast ja die Düsseldorf-Show gesehen.
Ja. Stichwort: "The New Year".
Genau. Bei "The New Year" haben wir jetzt drei E-Gitarren. Das ist großartig. Die Band klingt auf einmal viel größer. Ich freue mich sehr darauf, eine neue Platte in dieser Besetzung aufzunehmen. Um deine Frage nochmal zu beantworten: Ich habe nie daran gezweifelt, dass wir zu dritt weiterexistieren können. Es spornt uns eher an, härter zu arbeiten. Ich denke, es wäre für Chris und für uns das Schlimmste, jetzt zu scheitern oder nicht weiterzumachen.
"Unser Mischer meint immer noch jeden Abend, die Gitarren seien zu laut"
Ich hatte den Eindruck, dass "Kintsugi" viel mehr mit Atmosphäre arbeitet als mit diesen mehrfach gelayerten Indie-Gitarren der Vergangenheit. Wo kommt dieser Einfluss her?
Chris hat eine ganze Menge Synthies, Keyboards und Drummachines aufgebaut. In Rich Costeys Studio in Los Angeles gibt es einerseits das Hauptstudio, und daneben Studio B. Da hatte Chris seinen Workspace, um sein Ding machen zu können. Es gab Tage, das haben wir einfach zu viert performt. Und es gab Tage, an denen Ben, Nick und ich Overdubs eingespielt haben - und Chris saß parallel dazu in Studio B. Das haben wir dann alle paar Tage zusammen geschmissen. Die Folge war, dass wir total viele verschiedene Spuren für die einzelnen Songs hatten. Manchmal war das Ergebnis das totale Chaos. Und manchmal hat es auf großartige Weise funktioniert.
Schließlich kam es darauf an, die richtigen Schichten auszuwählen. So entstanden verschiedenste Versionen einzelner Songs. Wir hätten vier Platten mit dem Material derselben Songs rausbringen können. Rich hat dann hart daran gearbeitet, es wie eine einzigartige Platte, aber immer noch nach einem Death Cab-Album klingen zu lassen - wenn das Sinn macht. Er wollte vollkommen sichergehen, dass es nach uns klingt.
Aber hast du irgendeine Idee, warum verzerrte Rock-Gitarren für euch - wie auch für zahllose andere Bands - an Bedeutung verloren haben?
Wenn es tatsächlich mal so wäre, dass wir keine Lust mehr darauf hätten, fände ich das furchtbar. Aber wir reden immer noch die ganze Zeit über blutige, dreckige Gitarrensounds. Und es war ja schon immer so, dass wir auf Platte freundlicher klangen als auf der Bühne. Unser Mischer sagt auf Tour nach wie vor jeden Abend, dass die Gitarren zu laut sind und außer Kontrolle geraten. Aber gerade das wollen wir erreichen. Vielleicht ist es auch das, was uns bezüglich unserer Entwicklung ein wenig gefangen hält: dass wir immer und immer wieder an den Rock'n'Roll-Gitarren hängen bleiben.
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