27. September 2005
"Plattenfirmen besitzen deine Seele"
Interview geführt von Michael SchuhAnruf in England, unter der Telefonnummer, die mich laut Plattenfirma zu Echo & The Bunnymen-Gitarrist Will Sergeant in die ländliche Idylle 20 Meilen vor Liverpool durchstellen soll. Nach jeweils zwei kurz aufeinander folgenden Freizeichen eine Frauenstimme: "Please hold the line while we try to connect you. The number you are calling knows you are waiting." Schön, die Nummer weiß also schon mal, dass ich warte. Dann: "Please call later. The person you are calling is engaged on another call."
So geht das drei-, viermal, bis eine tiefe Männerstimme mit noch tieferem Akzent meine abschweifenden Gedanken zurückholt: "Sorry about that. I knew you were calling but I'm still doing another interview." Wow, die Nummer wusste also tatsächlich, dass ich warte. Kein Problem, Will. Tach. Der Musiker scheint redselig zu sein, in seinem Verständnis, gut drauf ist er auch, denn er muss heute nur zwei Interviews geben.
Will, ich habe euer neues Album gehört und ich muss sagen, ich fühlte mich spontan an mein Urteil über die letzte Go Betweens-Platte erinnert: Der Sound ist zwar alles andere als neu, aber es fühlt sich gut an, einer Indie Rockband zuzuhören, die offensichtlich bei jedem Song genau weiß, was sie tut.
Zunächst mal habe ich keine Ahnung wie die Go-Betweens klingen. Klar, ich finde wir haben eine gute Platte gemacht. Ich bin im Augenblick aber noch zu nah dran, um mir ein Urteil zu erlauben. Wir haben diesmal ziemlich lange im Vorfeld geprobt und einiges vorproduziert, so dass wir im Studio schon genau wussten, was wir wollten.
Wie wichtig sind die anderen Mitglieder der Band? Auf dem Cover sind ja nur Ian und du abgebildet.
Ach, wir machen das jetzt schon eine ganze Weile und Leute kommen und gehen. Die sind einfach in der Band, um mit uns zu spielen und sie können gehen, wann immer sie wollen. Es ist die Band von Ian und mir. Die anderen haben natürlich alle Freiheiten, Ideen einzubringen, aber am Ende des Tages liegt es eben an Ian und mir. Weißt du, wenn du das schon so lange machst wie wir, dann kannst du nur schwer zu einem neuen Kollegen sagen, hey, du bist jetzt ein gleichwertiges Bandmitglied. Geht einfach nicht.
Wie man hört, hast du Ian diesmal dazu gedrängt, wieder instinktiver als bei den letzten Alben zu arbeiten. Paradoxerweise klingen die neuen Songs sehr strukturiert.
Klingen sie nicht! (lacht) Sie sind nicht strukturiert. Das ist echt verrückt, der Kerl vorhin am Telefon meinte auch, es klinge alles sehr strukturiert. Wie dem auch sei, ich habe Ian zu überhaupt nichts genötigt. Er macht das, was er will. Schon immer. Wer sagt sowas denn?
Der Promozettel von "Siberia".
Tja.
Was hat es eigentlich mit dem Albumtitel auf sich?
Nichts besonderes, es ist nur ein Wort, das wir mögen. Und ein Song heißt so. Es erfüllt aber offensichtlich seinen Zweck, denn jeder fragt uns danach.
Ihr wart also auch noch nie dort?
Doch, ich war mal dort und habe mir Lenins Haus angeschaut. Er lebte dort ja einige Jahre mit seiner Familie im Exil, in einer kleinen Hütte. Muss so um 1983 herum gewesen sein, als Breschnew an der Macht war. Naja.
Stille. So eisig könnte es damals in Sibirien gewesen sein. Will macht nicht den Eindruck, keine Lust aufs Gespräch zu haben, er redet einfach nicht so gerne. Zumindest nicht in langen Sätzen. Seine Stimme vermittelt eine gewisse Trägheit, die das ruhige Leben abseits der Konzertbühnen mit sich gebracht haben könnte.
Demnächst kommt im Rahmen der DVD-"Director's Cut"-Serie eine Videosammlung von Anton Corbijn auf den Markt, die eure Videos zu "The Game" und "Seven Seas" beinhaltet. Was dachtest du über die Zeit, als du die Clips kürzlich für den DVD-Kommentar noch einmal angesehen hast?
Ich habe sie nicht gesehen, ich weiß nicht mal von dieser DVD.
Habt ihr nicht einen Kommentar dazu abgeben müssen? Ich dachte, ich hätte eure Namen in der teilnehmenden Künstlerliste gelesen ...
Hmm, Ian vielleicht. Keine Ahnung.
Findest du, Corbijn hat mit seiner Arbeit Wichtiges zum Image von Echo & The Bunnymen beigetragen?
Ich denke, Anton war gut, aber für unser Image war Brian Griffin schon wichtiger. Er machte ja die ersten LP-Cover.
Ihr habt aber für "Siberia" nicht vorgehabt, mal wieder mit Corbijn oder Griffin zu arbeiten?
Nein, wir haben diesmal mit Joe Dilworth gearbeitet, den wir über seine Website entdeckten, wo seine Bilder ausgestellt waren. Also sind wir zu ihm nach Berlin gefahren, wo er lebt, um das Coverfoto zu schießen. Nichts gegen Anton, aber das wäre halt nichts Neues gewesen. Neue Dinge auszuprobieren kann sehr interessant sein. Wer will schon immer nur mit einer Person arbeiten?
Klingt sehr weise. Depeche Mode, eine von Corbijns Haus- und Hofbands, haben ihn gerade wieder für deren neues Albumcover angeheuert. Für mich sieht das Ergebnis aus wie eine Collage aus alten Arbeiten von ihm, schlecht obendrein.
So? Na egal, ich war noch nie Depeche Mode-Fan, geschweige denn an ihnen interessiert.
Eine Warner-Compilation, die bald rauskommt, trägt den Namen "Future Retro" und enthält einen Remix von "Lips Like Sugar". Aber das weißt du jetzt sicher auch nicht, was?
Nein. (lacht) Ach, so ist das eben, du unterschreibst irgendwann mal einen Vertrag und danach machen die Firmen mit deinen Songs, was sie wollen. Ihnen gehört deine Seele. Über sowas werden wir nicht mal informiert. Ich versuche, das alles auszublenden. Es langweilt mich.
Remixes von alten Songs langweilen dich auch?
Um welchen DJ geht es?
Das weiß ich leider nicht. Euer Mix heißt schlicht "Way Out West Remix".
Ahhh der, kenne ich. Er klingt langweilig. Ist halt so Dance-Quatsch zum Tanzen.
Mit The Cure, New Order und Morrissey befinden sich auch einige eurer alten Kollegen auf der Compilation, die heute immer noch aktiv sind. Wie die genannten Bands gelten Echo & The Bunnymen heute als Kultband, die allerdings weit weniger Geld verdient. Nervt dich das manchmal?
(lacht) Na wenigstens verkaufen wir überhaupt noch Platten. Nein, es geht ja darum, das zu tun, was man gerne macht und wenn dabei mehr Kohle rum kommt, umso besser. Natürlich willst du viele Platten verkaufen, um Leuten deine Message oder deinen Sound nahe zu bringen. Wir sind jetzt 20 Jahre dabei und es kann auch nicht ewig weiter gehen. Du kannst ja auch nicht für immer die bekannteste Band sein. Da bin ich sehr realistisch. Es gab einige Bands, die ich früher mochte, und die mich heute kein Stück mehr interessieren. Sie mögen weiter Platten veröffentlichen, aber ich verfolge das gar nicht.
Verfolgst du die aktuelle Musikszene?
Einiges schon. Ich mag eine Band namens Cut Copy (US-Tour-Support von Franz Ferdinand, Anm. d. Red.) und ich mag Ladytron, die sind auch aus Liverpool. Das meiste stammt aber aus den 60ern und 70ern, ich höre gerne psychedelisches Zeugs, Progrock, Neu!, Can und sowas. Amon Düül. Ashra Temple.
Der zum Kultfilm avancierte "Donnie Darko" hatte euren Song "The Killing Moon" im Soundtrack. Hast du gemerkt, dass dadurch das allgemeine Interesse an euch gestiegen ist?
Auf jeden Fall. Wenn wir "Killing Moon" live spielen, gibt es immer sehr gute Reaktionen, wobei das bei unseren Hardcore-Fans davor auch schon ein Highlight war. Aber da gibt es jetzt eine Art Extralevel zu diesem Song, würde ich sagen. Er wurde dadurch ein bisschen mehr zum Klassiker.
Mochtest du den Film?
Ähh .... nicht wirklich. (lacht) Ehrlich gesagt: er war scheiße.
Glaubst du, dass der Erfolg von Bands wie Coldplay oder der junger Rockbands mithilft, Leute für euer neues Album zu interessieren?
Kann sein, ich weiß es nicht. Das mit den Einflüssen ist immer so eine Sache. Ich finde, Coldplay klingen nicht wie wir.
In einem Interview sagte Ian einmal, dass er Ende der 80er nicht mehr in der Band sein wollte, da es einfach von allem zuviel gab: Alkohol, Routine usw. Wie vermeidet ihr diese typischen Rockstar-Probleme heute?
Das ist eigentlich kein Problem mehr. Man wird erwachsen. Ich bin ja genau das Gegenteil von Ian. Er ist eine Art Negativ zu mir. Oder Positiv. Die Sachen, die ich mag, findet er scheiße und umgekehrt. Ich denke, dass wir deswegen zusammen so interessante Musik erschaffen können. Ian ist ein Nachtmensch, ich lebe gerne am Tag, Ian wird von Städten angezogen, ich von Wäldern. Du könntest keine zwei unterschiedlichere Menschen treffen. Die Musik ist unsere gemeinsame Liebe, die Musik der Doors, von Bowie und The Velvet Underground. Und wir sind natürlich Punkrocker von Stunde Null an.
Es gibt da einen Kerl aus Detroit namens Kelley Stoltz, der euer Debüt "Crocodiles" in voller Länge nachgespielt hat. Hast du davon gehört?
Ja, nur die Songs noch nicht. Ich habe die CD zwar, aber ich kam noch nicht dazu, sie anzuhören. Kelley hat sie mir persönlich gegeben. Ich habe ihn schon einige Male getroffen, er ist wirklich ein netter Kerl. Ich habe mal einen seiner Auftritte gesehen, in Amerika ... oder war es Australien? Weiß ich jetzt gar nicht mehr. Aber der Gig war unterhaltsam. Hätte ich dort etwas mehr Zeit gehabt, wäre ich zu ihm hoch und hätte ein paar Sachen mitgespielt.
Welches Album würdest du ...
Aber ich höre mir die CD auf jeden Fall noch an, ich habe sie nur verlegt. Weißt du, hier liegen so viele Platten rum, schlimm. Irgendwo muss sie sein.
Welches Album würdest du denn auswählen, um es in voller Länge zu covern?
Ganz klar das erste Album von Velvet Underground. Die Bananenplatte.
Schön, wann geht's los?
Well, ich bin jederzeit bereit. Mal sehen, was noch passiert.
Das Interview führte Michael Schuh.
Noch keine Kommentare