20. November 2018
"Ich poste jeden Tag Blödsinn"
Interview geführt von Yannik GölzDie New Yorker Schule war in den 2000er stets ein heißes Eisen für Rapper, die jenseits von ausgetretenen Pfaden unterwegs waren. Das reicht von den Pro Era oder den Flatbush Zombies heute bis hin zum Anfang des Milleniums, als Definitive Jux unter El-P einer ganzen Riege an ausgefallenen Charakteren zu einer Karriere verhalft.
Homeboy Sandman ist einer von ihnen und veröffentlichte im vergangenen Jahrzehnt zahlreiche Projekte, unter anderem mit Aesop Rock, die ihn in den Fokus von Fans lyrischer Rapmusik rückten. Zum Release seines neuen Projekts mit dem Produzenten und Vocalist Edan haben wir den Rapper angerufen, um über instrumentale Vision, über den Begriff von Kultur und über den Status des Untergrunds zu sprechen.
Die neue EP "Humble Pi" klingt ja sogar für die Standards eines Homeboy Sandman- oder Edan-Projekts ziemlich extravagant. Die exzentrischen, psychedelischen Samples, das Songwriting – wie war da der Prozess? Gab es von Anfang an eine kohärente Vision?
Oh, dazu hätte Edan natürlich eine Menge zu sagen. Für mich war es vor allem eine verdammt spaßige Erfahrung, mich mit ihm im Studio einzuschließen – und er hat einfach diese Millarden Platten herumliegen. Und natürlich hat er Zeug aus allen möglichen Genres, aber eines seiner großen Expertengebiete liegt im Psychedelic Rock. Die meiste Zeit haben wir uns einfach entspannt und haben Alben angehört. Da häufen sich natürlich Loops, Snippets, kleine Momente und wir wollten herausfinden, auf welche ich besonders reagiere, welche eine Reaktion in mir auslösen. Hatten wir dann etwas in den Händen, hatte er meistens auch schon Drums von irgendeiner anderen Platte parat. Das ist einfach beeindruckend gewesen, da seine Bandbreite zu erleben. Kommt der an und erzählt mir, wie er dieses Album von 1970 aus Portugal aufgetrieben hat, das wir verwenden könnten. Verschwindet er ein paar Minuten – und schon ist da ein Beat. Und es gibt absoluten Sinn, was er macht. Ich denke deswegen auch, das ich ihm den größten Anteil am Sound und der Klangkulisse zusprechen sollte. Wir haben uns auf ein Ausgangsmaterial geeinigt, ich bin schreiben und er produzieren gegangen. Erst, wenn es dann konkreter wurde und eine Songidee von meiner Seite entstanden ist, würde er auch konkreter werden. Klar habe ich dann auch meinen Input hier und da gegeben. Aber das meiste kam von Edan.
Die WhoSampled-Community wird vermutlich auf deinen Portugal-Hinweis durchdrehen. Aber wie würdest du es denn dann beschreiben: Hat "Humble Pi" im Resultat eine geschlossene Ästhetik oder ist doch eher Musik aus dem Bauchgefühl?
Hmm, (überlegt), ich finde schon, dass da ein sehr geschlossener Vibe drinsteckt, einfach auch nur deswegen, weil die Energie ziemlich einzigartig war, wirklich zum ersten Mal ein ganzes Projekt mit Edan zu machen. Die Kombination unserer kreativen Energie war auf jeden Fall etwas Besonderes. Aber klar, am Ende des Tages sind wir ja beide auch Bauchmenschen. Gerade, wenn du ein Projekt gemeinsam stemmen willst, musst du Kompromisse eingehen. Und das wäre nicht möglich, wenn wir beide von vornherein auf eine Vision festgefahren gewesen wären. Es ist eben Teamwork, die kreativen Energien von zwei Menschen zu kreuzen. Aber genau darin liegt das Potential, aus dem diese Textur entstanden ist, die "Humble Pi" jetzt ausmacht. Eine genaue Absprache gab es nie, die Ästhetik ist einfach da, wo unsere Kombination hingefallen ist. Der Bauch sagt uns, wann ein Song fertig ist, wann das Album tatsächlich fertig war. Ob wir zu viel oder zu wenige Samples verwenden, die Effekte auf die Stimmen richtig anwenden. Nichts davon kann man mathematisch kalkulieren.
In einem aktuellen Interview mit Stereogum habt ihr darüber gesprochen, dass das Ziel von "Humble Pi" war, zur Hip Hop-Kultur beizutragen. Sandman, du gehst gerade durch eine der produktiveren Phasen deiner Karriere, aber Edan hat seit über zehn Jahren kein eigenes Projekt mehr veröffentlicht. Was schwebte euch da vor, welchen Beitrag braucht die Kultur jetzt gerade?
Ja, ich erinnere mich an dieses Interview. Sieh' es so: In erster Linie mache ich einfach gerne Kunst. Das macht mir Spaß. Es gibt mir Kraft, es gibt mir Freiheit und das Gefühl, meine wache Zeit für etwas Sinnvolles einzusetzen. Aber worüber sprechen wir, wenn wir über die Kultur sprechen? Ich mag Originalität. Ich mag Authentizität und Kreativität. Das sind vielleicht Dinge, die man mit dem Kultur-Begriff assoziieren könnte. Aber ich glaube, das war eher so eine Edan-Aussage. Er denkt wesentlich mehr über die Kultur als Kontinuum nach, das habe ich mir ein wenig abgewöhnt. Ich bin nicht die Kultur. Die Kultur bin nicht ich, die kann machen, was auch immer sie will. Ich sehe es eben so, dass ich eine Begabung und ein Talent dafür habe, Musik zu machen und ich finde es schön, wenn Leute das als einen Beitrag zur Kultur wahrnehmen. Aber für mich ist das nicht so eng. Klar werde ich als Hip Hop-Künstler eingeordnet. Das ist cool. Aber ich habe meine eigene Kultur. Zum Beispiel: Meine Freundin und ich, wir haben unsere eigene Kultur. Meine Freunde und ich, das ist auch eine Kultur für uns. Und das ist der Kultur-Begriff, der mich wirklich interessiert, für den ich mich verantwortlich fühle. Jeden, der irgendwie einen heißen Raptrack macht, kann man mit der großen Kultur in Verbindung bringen. Aber mich interessiert am meisten, was der Track mit mir anstellen kann, wie er auf mich und meine Umgebung wirkt.
Aber ist das nicht ein wenig widersprüchlich, Kultur als etwas Individuelles zu konstituieren? Gerade, wenn du in der Vergangenheit in Gastartikeln für größere Zeitschriften harsche Kritik am kulturellen Fußabdruck von selbst-erniedrigender Sprache in der modernen Rapszene geäußert hast. Wie geht das zusammen?
Oh ja, ich bin froh, dass du das anbringst. Die Antwort ist einfach: Inzwischen denke ich anders über diese Artikel und diese Themen. Besonders früher in meiner Karriere, da habe ich mich noch sehr stark mit einem Kultur-Begriff identifiziert, wie ich und du ihn gerade in Bezug auf diesen Artikel über Sprache im Hip Hop verwenden. Ich habe mich sehr als Person Of Color verstanden und ganz besonders mit meiner New Yorker Herkunft identifiziert. Das hat natürlich einen sehr klaren Frame vorgegeben, in dem ich mich in meiner Denke und dann auch in meinen frühen Reimen und meiner frühen Schreiberei klar bewegt habe. Aber schau dir zum Beispiel mal dieses neue Album an: Ich finde, da schimmert dieses Schubladendenken eigentlich gar nicht mehr durch. Ich verstehe mich inzwischen allen voran als ein Individuum. Ich treffe selten Menschen, die mir ähnlich sind. Da reicht es nicht mehr nur zu sagen, guck mal, diese Person kommt vielleicht aus der gleichen Gegend, vielleicht aus einem ähnlichen finanziellen Hintergrund oder hat die selbe Hautfarbe wie ich. Das sind keine ausschlaggebenden Faktoren für eine Person. Zur Zeit dieses Artikels dachte ich noch mehr in solchen Kategorien. Und ich war versessen darauf, etwas zu schreiben, das einen Einfluss auf die Kultur haben und die Leute bewegen würde und blablabla. Aber die Reaktionen auf solche Artikel haben mir klargemacht, dass die Leute eben nicht so uniform nach oberflächlichen Merkmalen urteilen. Sie sehen die Dinge nicht wie ich, fühlen nicht die selben Verantwortungen wie ich. Deswegen könnte ich es auch nicht wie Edan machen und einfach zehn Jahre nichts veröffentlichen, ich muss jeden Tag irgendetwas veröffentlichen. Ich suche diesen Austausch, diese Diskussion, will einschätzen können, wer meine Gedanken teilt und wer nicht. Aber ich verstehe das nicht mehr als eine absolute Kultur. Ich bin eine unabhängige Einheit – und ich stehe alleine für meinen Kram ein.
"Nicht jeder denkt oder fühlt wie ich. Das muss ich respektieren wie jeder andere auch."
Du hast ja euch an anderer Stelle einmal erzählt, dass du manchmal enttäuscht von der Konversation nach Songs oder Artikeln von dir warst. Zum Beispiel dieses super-kontroverse Stück namens "Black People Are Cowards", das du damals total revolutionär empfunden hast. Hast du die Konversation in deinem neuen Verständnis von Kultur erfolgreicher gefunden als in deiner Idee von einer allumspannenden Kultur?
Ja, ich war enttäuscht, aber vielleicht nicht per se von der Konversation. Es ist ja einiges an Gespräch losgebrochen, nachdem dieser Text online gegangen ist, aber Gespräche brechen die ganze Zeit vom Zaun. Ein Gespräch an sich bedeutet erst einmal nichts Handfestes. Sie sind cool, um die Kugel ins Rollen zu bringen und früher habe ich mich auch sehr daran aufgehangen, auch ja jede Konversation zweifach in den Boden zu rammen. Aber irgendwann habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich mir vorgenommen habe: Wenn ich diese Texte schon schreibe und veröffentliche, dann sollen sie am besten ein Aufruf zur Aktion sein. Aber von diesem Gedanken habe ich mich in der letzten Zeit abgewöhnt. Wer bin ich denn, um den Leuten vorzuschreiben, wie sie zu handeln oder zu denken haben? Nicht jeder denkt oder fühlt wie ich. Das muss ich respektieren wie jeder andere auch. Und ich glaube ja immer noch, dass ich in diesen Artikeln damals definitiv mein Herz am rechten Fleck getragen habe, aber ich habe mir einfach das Recht angemaßt, Leuten ihr Leben vorschreiben zu wollen. Das ist nicht mein Recht und ich glaube auch nicht, dass ich genug Weisheit besitze, um mir das zuzumuten. Wenn Leute ihr Leben leben, auch wenn ich es nicht prinzipiell erbaulich finde, aber trotzdem niemandem wehtun damit, dann ist das doch absolut okay. Shoutout an die Leute. Egal, ob man das jetzt künstlerisch oder wirtschaftlich versteht.
Spiegelt sich diese Entwicklung auch in der Musik wider?
Ja, auf jeden Fall! Schau dir doch mal meine letzten paar Projekte an: "Veins" würde ich als ein Transitions-Album einordnen. Da ist etwas vom Neuen und etwas vom Alten drin. Aber wenn man sich "Humble Pi" anhört, wird man feststellen, dass da eine Entwicklung meiner Persönlichkeit abgeschlossen ist. Ich bin nicht mehr hier, um Leute zu korrigieren. Das war nicht "Humble Pi" von mir.
Das ergibt Sinn. Wie genau hat sich diese Denke denn darin niedergeschlagen, wie du einen Text oder einen Song angehst?
Klar hat es meinen Inhalt maßgeblich verändert, aber ich denke, die Herangehensweise an einen Text ist bis auf weiteres die gleiche geblieben. Sieh mal, was ich schreibe, das sind eben meine Gedanken. Momentaufnahmen. Deswegen muss ich auch ständig Musik produzieren, einfach nur, um für mich konservieren zu können, wo mein Kopf sich gerade befindet. Und das konnte ich auch daraus lernen. Ich will eine glückliche Person sein, kein Miesepeter. Ich will das Leben genießen. Und ich will auch meine Kunst genießen. Deswegen hat sich definitiv etwas in den Reimen verändert, die ich ich den letzten fünf Jahren bis jetzt produziert habe. Der Prozess ist der gleiche, aber der Inhalt und die Perspektive haben sich spürbar verschoben. Aber das war vor fünf Jahren genau so und war auch vor zehn Jahren schon komplett anders. Ich bin ein Mensch, der sich gerne und viel verändern kann, wenn er den richtigen Ideen begegnet.
"Ich habe mich ehrlicherweise auch sehr lange gegen diesen Begriff des Untergrunds gewehrt"
Dann wirst du in fünf Jahren wohl auch wieder ganz anders denken?
Wahrscheinlich! Und ich weiß ja noch nicht einmal, wo das hinführt – so kreativ gesehen. Ich hatte einen ersten Song mit Edan auf "Kindness For Weakness", das war "Talking (Bleep)". Da habe ich gerappt: "I don't make the same type of record twice/ I am way too nice". Ich will nicht wieder und wieder die selben Dinge machen, egal wie viel Musik ich produziere. Vielleicht wandert mein Verstand deswegen so viel und gerne, damit ich immer wieder einen neuen Ansatz für meine Musik finde, von der ich Ideen und Perspektiven entwickeln kann.
Wie würdest du als Szene-Veteran beschreiben, was Untergrund-Rap 2018 ausmacht?
Shit, man. Hmm, (überlegt ) was ist Untergrund? Die einfachste Erklärung wäre es wohl zu sagen, dass es eben der Kram ist, der nicht Mainstream ist. Und wenn ich Mainstream sage, dann meine ich Fernsehen, Radio, große Blogs. Der Kram, der Celebrity ist. Untergrund ist nicht prominent. Den Untergrund-Begriff würde ich aber auch mit bestimmten künstlerischen Kriterien besetzen. Was ein Eminem zum Beispiel im Laufe seiner Karriere gemacht hat, hat sich ja durchaus immer wieder ästhetischer Komponenten aus dem Untergrund bedient, aber es wäre Schwachsinn, ihn als einen Untergrund-Rapper zu bezeichnen. Er ist ein Popstar. Gegenbeispiel ist da mein Junge Aesop Rock, der vermutlich einer der begabtesten Menschen aller Zeiten ist, aber aus irgendwelchen Gründen lange nicht den Namen und den Ruf eines Eminems besitzt. Und klar ist Eminem auch sehr talentiert und die Stilrichtungen der beiden haben ihre klaren Unterschiede, aber Aesop ist eben keine Prominenz. Kein Star. Aber ich habe mich ehrlicherweise auch sehr lange gegen diesen Begriff des Untergrunds gewehrt, weil ich immer dachte – hey, meine Stadt ist doch total verrückt und quillt über mit talentierten Leuten und Hörern, die Bock haben. Darüber hinaus ist mein Kram ja inzwischen echt weltweit, egal wie Untergrund er jetzt ist.
Ich meine, jetzt gerade sprichst du mit so einem wahllosen Typen aus Deutschland über dein Handwerk. Klingt ziemlich weltweit für mich.
Ja, aber das macht es ja nicht weniger Untergrund, oder? Ich weiß eben, dass wenn ich heute ein Album mache, dass ich dann sogar international auf dem ein oder anderen Radar von Leuten bin, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, kreativen und originellen Kram aufzuspüren. Aber diese Leute, die nach Lyrics und abgefahrener Hip Hop-Musik suchen, das ist eben nicht unbedingt Celebrity.
Es gibt eben trotzdem kein Modemagazin, dass ein Stück über das Outfit auf deinem letzten Pressefoto herausgibt.
(Lacht)
Aber der Punkt, den ich eigentlich machen wollte, ist: Könnte man deswegen nicht auch meinen, das Internet ist eine tolle Sache für Nischenmusik wie Untergrund-Rap? Oder bleibst du da rigoros bei deinem Song "Never Use The Internet Again"?
Hmm, ja. Ich denke schon, dass viele Leute das so sehen. Das war auch ein großes Feedback, als ich und Edan diesen Song gedroppt haben. Da haben sie eben gesagt: "Hey, ohne das Internet hätte ich das doch nicht einmal mitbekommen, oder?". Aber wenn ich ehrlich bin, denke ich da halt pragmatisch. Ich finde meinen Kram cool und denke, der würde irgendwie funktionieren, ob das Internet nun gerade abgeschaltet oder angeschaltet ist. Das hat vor dieser Erfindung funktioniert und wird es auch jetzt noch tun. Außerdem ist es doch eh nicht so arg ernst gemeint. Da ist ein Hashtag im Titel. Klar finde ich ein paar Sachen im Internet affig, aber am Ende bin ich doch trotzdem jeden Tag da und poste meinen Blödsinn. Oder spreche mit Leuten aus Deutschland über den Untergrund. Da sind wir wohl alle nicht ohne Makel.
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