13. März 2002

"Unsere Musik ist furchtbar kitschig"

Interview geführt von

Illuminate-Mastermind Johannes Berthold hat sich mit uns über Kitsch, Berufsverständnis und die schwarze Szene unterhalten.

Warum habt ihr auf dem Cover von "Kaltes Licht" eigentlich eine Foto-Collage und keine Zeichnung von Enrico Wolfram genommen, wie im Booklet?

Ich bin ein Freund von Foto-Collagen. Recht machen kann man es mit der Cover-Gestaltung sowieso niemandem. Das Bild auf dem Cover passt - wegen dem Wiedererkennungswert - gut zur Maxi. Ich finde das Bild ist passend zur Intention, die hinter dem Album steckt. Die beiden Frauen zerren an mir, das soll die Zerissenheit darstellen, aber auch den Gegensatz von den alten Wurzeln auf zu neuen Ufern. Dieses Eingefrorensein, wie in einem winterlichen Tümpel, entspricht dem Album: das Eis als Sinnbild für die Gefühlskälte.

Sind die vielen Instrumental-Stücke auf "Kaltes Licht" von Anfang an als solche geplant gewesen?

Ja. Ich versuche, jedes Intro wie das Outo des letzten Albums zu gestalten. Das Instrumental-Stück im Mittelteil dient als Bindeglied zwischen den beiden Themenbereichen Kälte und unerfüllte Sehnsüchte.

Wie kamst du dazu mit "Coulez Mes Larmes" ein französisches Stück auf die neue Platte zu nehmen?

Auf dieses Orchester-Adagio wollte ich nicht selbst singen, also hab ich meiner Sängerin gesagt: "Überleg dir mal was klassisches". Da sie sehr frankophil ist, ich bin ja eher frankophob, hat sie den Text des englischen Stückes "Flow My Tears" frei Schnauze ins Französische übersetzt.

Inwieweit hat Das Ich-Sänger Bruno Kramm als Produzent die Finger bei "Kaltes Licht" im Spiel gehabt?

Bruno ist mehr so der ausführende Produzent. Er gibt mir Tipps und leitet die Aufnahmen. Bruno ist einfach ein genialer Sound-Tüftler, jemand der die Gabe hat, neue Klänge zu finden. Er half mir weg von eingefahrenen Klimper-Sounds hin zu mehr Band-Atmosphäre.

Du hast ja auch ein eigenes Label

Ja, Gallery-Records ist meine eigene Plattenfirma. Ich hatte früher auch mal andere Bands unter Vertrag, aber die sind alle gefloppt. Das schöne Geld, das ich mit Illuminate verdiene, gebe ich jetzt auch nur noch für Illuminate aus. Es ist heutzutage nicht einfach, etwas Neues zu etablieren. Wenn man bedenkt, dass die neue Illuminate mich allein 50 000 Euro gekostet hat, ist das Risiko, sich an Flops die Finger zu verbrennen, einfach zu groß geworden.

Wolltest du eigentlich mal klassischer Komponist werden?

Ich habe in Karlsruhe Musik studiert. Insofern war die Klassik immer schon mein Themenbereich. Es war schon immer mein Traum, mal was mit einem echten Orchester zu machen. Erfüllen konnte ich den Traum erst jetzt, wegen des nötigen finanziellen Backgrounds. Das Gefühl, so ein Orchester zu dirigieren, war schon ein absolutes Gänsehaut-Gefühl.

Wie lange hast du gebraucht, um die Partituren für das Orchester zu schreiben?

Dadurch, dass ich selbst kein Saiten-Instrument spiele, habe ich die Stücke am Synthie beziehungsweise am Klavier geschrieben, und dann ausarrangiert. Die Stücke waren eigentlich in recht kurzer Zeit komponiert.

Wie kamst du gerade auf das Bayreuther Orchester?

Bruno lebt mit seinem Band-Kollegen Stefan Ackermann nahe Bayreuth in einem Schloss. Da hab ich zur Zeit der Produktion auch mitgewohnt. Da lag es nahe, das Bayreuther Orchester zu fragen, außerdem kannte Bruno die auch.

Seid ihr auch privat befreundet?

Absolut, wir schwingen auf der gleichen Wellenlänge und verstehen uns saugut. Für nächstes Jahr ist auch eine gemeinsame Tour geplant.

Auf der Bühne kommt Bruno Kramm ja sehr diabolisch rüber.

Als ich rausgefunden habe, dass der Bruno und der Stefan total knuffig sind, musste ich auch erstmal lachen. Aber das ist ja so ein Image-Ding.

Wie steht es mit eurem Image?

Unsere früheren Werke waren zum Teil etwas angekitscht, deswegen bin ich auch oft in die Schlager-Ecke gedrängt worden. Aber das sind Kritiken mit denen man leben kann. Wenn Dir ein bestimmtes Image anhaftet, ist es ja an dir, das zu negieren.

Ist es falsch, euch Kitsch vorzuwerfen?

Die Musik ist sogar furchtbar kitschig, auf alle Fälle. Die ersten Alben enstanden aus einer unglücklichen Lebenssituation heraus. Ich war unglücklich verliebt. Heute würde ich das anders ausdrücken, aber ich schäme mich nicht dafür. Dass Illuminate immer noch kitschig sind, ist ja auch okay. Ich bin ein lebensbejahender Mensch und das soll auch in meiner Musik auftauchen. Das stört mich persönlich an der schwarzen Szene, dass alles zu ernst genommen wird, diese ewige Weltschmerz-/Pathos-Geschichte.

Findest du das belustigend?

Wer bin ich, dass ich über solche Leute urteilen dürfte? Wenn ich solche aus dem Alltag Geflüchteten bestätigen und ihnen vielleicht Tipps für einen Ausweg geben kann, dann ist das legitim. Es wäre arrogant, mir ein Urteil über diese Menschen zu bilden. Ich selbst kann es nicht mehr so gut nachvollziehen, weil ich mich in einer positiven Lebensphase befinde.

Würdest du jetzt fröhlichere Musik machen, wenn sich das verkaufen würde?

Ich würde nicht ausschließen, was fröhlicheres zu machen, aber unter anderem Namen. Illuminate hat einen gewissen Ruf. Die ganz treuen Fans kennen mich ja nicht als Mensch, sondern lernen mich nur durch CDs kennen. Der Fan versteht nicht, dass er 'ne Illuminate kauft und da ist dann Techno drauf. Ich denke, ich habe da auch Verpflichtungen gegenüber meinen Fans.

Verstehst du dich als Handwerker?

Illuminate ist das Kind, das mir am Ende die Wurst aufs Brot legt. Ich habe mir das hart erarbeitet. Illuminate verdient es deshalb auch, dass ich voll dahinter stehe. Ich nutze die Musik nicht für meinen abgehobenen privaten Seelen-Striptease. Hinter jedem Plattenkäufer steht ja auch ein Mensch, der sich dadurch das Recht erkauft hat, von mir bedient zu werden.

Schreibst du eigentlich erst die Texte oder erst die Musik?

Ich schreibe immer erst die Musik. Ich bin nicht besonders gut darin, Texte zu schreiben. Die Lieder existieren immer zuerst, ich bin eigentlich Musiker. Da war ich dann schon oft in der Zwickmühle, aber dann ging es doch immer gut. Aber ich bin absolut eher der Musiker als der Texter.

Hast du schon mal daran gedacht, andere deine Texte schreiben zu lassen?

"Eisgang" stammt von meinem Vater, der erlebt gerade seinen achten Frühling und ist frisch verliebt. Der Text passte zufällig genau zu einem Musikstück. Aber wenn ich einen Text von jemand anders übernehme, dann muss es schon so sein, dass ich mich mit dem Text 101-prozentig identifizieren kann.

Hattest du, gerade in Hinblick auf den jüngsten Satanisten-Prozess, Probleme damit in diese Ecke gedrängt zu werden?

Klar gibt es Probleme. Die Szene an sich ist ja schon ein bisschen auf Provokation aus. Ich schminke mich ja nicht so und kann dann erwarten, dass die Leute mich einfach tolerieren. Allerdings bewege ich mich jetzt schon seit 15 Jahren in der Szene und hatte noch nie Kontakt zu Satanisten. Ich selbst bin eher ein unreligiöser Mensch, ich finde alle Religionen zweifelhaft. Ich bin bestimmt kein Antichrist, ich kann nur aus all den Religionen insgesamt nicht viel ziehen. Ich bin aber auch kein Atheist. Tja, Gott und die Unendlichkeit, das ist immer so eines unserer Lieblingsthemen ...

Ist schwarze Musik für euch auch irgendwie Sinnsuche?

Ich denke, dass gerade die schwarze Szene aufgrund ihres gefühlsbetonten Umfelds etwas Elitäres hat. Das ist schon Suche nach Sinn oder nach eigener Identität. Die dunkle Seite der Seele wird angesprochen, ein bisschen Kitsch kann dabei wahrscheinlich gar nicht vermieden werden.

Ihr tourt jetzt hauptsächlich im Osten. Habt ihr dort mehr Fans?

Wir haben fast alle Fans im Osten. Wir sind einmal in Lahr aufgetreten, da waren so 50 oder 60 zahlende Gäste da. Am nächsten Tag haben wir vor 600 Leuten in einer ausverkauften Halle in Dresden gespielt. Ich weiß auch nicht, wieso das so ist. Vielleicht ist einfach durch die jahrzehntelange Unterdrückung das Bedürfnis nach dem Freischwimmen gegeben. Die Menschen in den neuen Ländern sind vielleicht empfänglicher für die Thematiken unserer Songs.

Was sind deine Träume für die Zukunft?

Ich bin an einem Punkt angelangt, von dem ich vorher nie gedacht hätte, dass ich ihn je erreiche. Es wäre schon ein wunderbares Ziel, wenn ich den momentanen Status halten könnte.

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