laut.de-Biographie
Jon Hassell
Echte Geheimnisse gibt es im Musikbiz kaum. Der Visionär und Trompeter Jon Hassell zählt zu den wenigen Ausnahmen. Einerseits fungiert er als Wegbereiter für mehrere Genres, als Ideengeber und künstlerischer Einfluss für popkulturelle Ikonen. Andererseits verweigert sich der 1937 in Memphis, Tennessee geborene Amerikaner der Öffentlichkeit und ist selbiger nahezu unbekannt.
Seit frühester Jugend zeigt sich der musikalisch hochgradig gebildete Hassell begeistert von avantgartdistischen Erneuerern wie Stockhausen, in dessen kölner Schule er eine Ausbildung absolviert. Nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten lernt er Terry Riley kennen. So kommt es dazu, dass Hassell auf Rileys ersten Veröffentlichungen spielt.
In den frühen Siebzigern beschäftigt er sich nahezu manisch mit fernöstlicher, besonders indischer Musik. Diese Analyse erweitert sein Spektrum erheblich. Mithilfe des Erlernten erfindet Hassel ein vollkommen neuartiges Spiel auf der Trompete. Er kreiert sprachähnlich modulierte Luftströme, die durch das Instrument fließen, um scheinbar außerplanetarische, mikrotonale Klänge erzeugen.
Diese Errungenschaft kombiniert er mit ethnischen Polyrhythmen, elektronischen Verfremdungen, Klangflächen und Jazz zur eigenen Richtung, die er "Fourth World" nennt. Als Nebeneffekt beeinflusst er damit zahlreiche in der Entstehung befindliche Stile. Egal ob Weltmusik, Nu-Jazz oder Ambient - alle Entwicklung hätte ohne die Ideen Jon Hassels einen anderen Verlauf genommen.
Kein Wunder dass Hassells Philosophie zu etlichen gegenseitigen Inspirationen führt, von denen besonders seine Partner und musikalischen Nachkommen profitieren. Auf der Kollabo-Ebene stechen drei Namen besonders heraus. Brian Eno entwickelte nach der Zusammenarbeit sowohl sein Ambient-Konzept als auch den multi-rhythmischen Ansatz weiter. Letzteren reichte Eno den Talking Heads/David Byrne weiter.
David Sylvians melancholische Solo-Werke entstehen ebenso erst durch gemeinsamen Projekte mit Hassell ("Brillant Trees"). Sogar Peter Gabriel gibt offen zu, durch gemeinsame Werke wie den Soundtrack zu Martin Scorseses "Die Letzte Versuchung Christi" erst so richtig das eigene Worldmusic-Konzept entwickelt zu haben.
Nicht anders sieht es im Nu-Jazz aus, als dessen Urvater Hassel durchgeht. So bezeichnen etwa heutige Trompeten-Größen wie Nils Petter Molvaer oder Erik Truffaz den stillen Südstaatler als essentiellen Einfluss. Ohne Hassels Pioniertaten hätte es prägende Alben wie "Khmer" womöglich nie gegeben.
Die Liste der Meriten wäre weit länger, so man alle aufzählte. Doch Hassell selbst zeigt sich von der eigenen mannigfaltigen Patenschaft gänzlich unbeeindruckt. "Es sind die unsichtbaren Dinge, die uns umschwirren. Man muss sie einfach ans Licht holen und sichtbar machen."
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