laut.de-Kritik

Gelungenes Spätwerk des fast unbekannten Meisters.

Review von

Wer hätte gedacht, dass diese Legende noch einmal zurück kehrt? Immerhin befindet Hassell sich mittlerweile im neunten Lebensjahrzehnt. Doch das eigene Alter ficht ihn genau so wenig an wie sein geringer Bekanntheitsgrad in der breiten Öffentlichkeit. So macht er 2018 ein erzcooles Pressepic klar, geht ins Studio und schießt den vorliegenden Klangrausch aus der Hüfte.

Der scheue Amerikaner ist sich seiner musikhistorischen Bedeutung durchaus bewusst. Er beeinflusste u.a. Brian Eno, Peter Gabriel oder David Sylvian. Gleichzeitig ist er der Godfather des Nu-Jazz, Erneuerer des Trompetenspiels und Inspiration für Nils Petter Molvaer und Erik Truffaz.

Die Stücke von "Listening To Pictures" schließen ihr Publikum an Hassells individuellen Stromkreis an. Schichtenweise aufgetragener Klang trifft auf teils spröde, teils sanft einlullende Rhythmen, kettenartig geloopte Fragmente und gelegentlich vorbeihuschende Melodien. Das Menü: Verfremdete Trompete am flirrenden Elektrosalatbett!

Zu Anfang mag sich das eine oder andere Ohr irritiert zeigen ob der Fremdartigkeit vieler Passagen. Auf den ersten Blick sieht einiges wie eine willkürlich skizzierte Geräuschkulisse aus. Dieser Eindruck löst sich mit jedem Durchlauf immer mehr auf und weicht einem architektonischen Gefühl. Gleichwohl bleibt in jeder Sekunde fühlbar, dass Hassell weit näher an Stockhausen wurzelt als an der Elektro-Lounge von nebenan.

Hassell selbst erklärt die Philosophie des Albums folgendermaßen: "Ich begann, die Musik in Form eines Gemäldes mit Schichten und Retuschen zu sehen, zu hören. Schichten die an Stellen ausgelöscht werden, an denen das darunter liegende Muster durchschimmert und gesehen oder gehört wird. Denn das ist es, was Metaphern tun."

Trackliste

  1. 1. Dreaming
  2. 2. Picnic
  3. 3. Slipstream
  4. 4. Al Kongo Udu
  5. 5. Pastorale Vassant
  6. 6. Manga Scene
  7. 7. Her First Rain
  8. 8. Ndeya

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2 Kommentare

  • Vor 6 Jahren

    Schönes Ambientspätwerk mit jazzigen Einsprengseln, das auch Experimente nicht scheut und erstaunlich modern klingt. Bin nach drei Hördurchgängen bisher sehr angetan. Zumindest hat mich die Platte dazu gebracht, mich mit seinem Backkatalog genauer auseinandersetzen zu wollen. Empfehle weiterhin auch Roger Enos aktuelles Album, "Dust Of Stars", das ähnlich jazzig, aber noch um Einiges ruhiger und entspannter klingt.

  • Vor 6 Jahren

    apropos "eno".
    weit mehr als 30 jahre ließ eno sich für die gemeinsame großtat "Fourth World, Vol. 1: Possible Musics" feiern und als innovator ehren. vor nicht all zu langer zeit gab er zerknirscht zu, dass fast nichts auf dieser platte seine idee war. alles hassells federn, mit denen er sich schmückte. er entschuldigte sich öffentlich bei jon.