laut.de-Biographie
Knackeboul
"Was isch los mit euch?!" Ob ganz alleine mit seinem DJ im Rücken, flankiert von seinen beiden MC-Kollegen oder mit den Mundartisten in voller Formationsstärke hinter sich: Der eidgenössischen Rap-Szene dürfte recht schwer fallen, die Frage, die Knackeboul von den Bühnen herab ins Publikum schmettert, zu überhören.
Dabei nimmt die Geschichte - besser gesagt: nehmen die vielen Geschichten - des David Kohler gar nicht in der schönen Schweiz ihren Anfang. Seine Kindheit verbringt er mit den Eltern und im Kreise seiner vier Geschwister in Portugal. Als Andenken an diese Zeit bleibt ihm sein Bühnenname erhalten: "Wir haben dort immer Sesamstraße geschaut - auf Englisch", erinnert er sich im Interview mit aightgenossen.ch.
Der missverstandene Namen einer Figur mutiert zu Knackeboul und bleibt David erhalten, als ihn das Schicksal nach der Trennung der Eltern zurück in die Schweiz katapultiert. Szenenwechsel: Wir befinden uns nun auf dem Flachdach einen Hauses in Wangen an der Aare. Gemeinsam mit Kumpel MC E² unternimmt der 14-Jährige hier die ersten Rap-Versuche.
"Wir haben eigentlich unsere ganze Pubertät dort verbracht", so der Rückblick. Nun, vielleicht doch nicht die ganze: Schließlich ergab sich irgendwann Gelegenheit, Hänsu a.k.a. Chocolococolo über den Weg zu laufen. Zu dritt gründen die Jungs die Mundartisten. Der Name lässt bereits ahnen: "Wir haben schon immer viel mit dem Mund gemacht." Gepflegtes Beatboxing bildet von Anfang an ein tragfähiges Standbein der Crew.
Knackeboul treibt sich mittlerweile auf diversen Freestyle-Battles herum, um die erworbenen Fähigkeiten live und direkt auf ihre Anwendbarkeit hin zu testen. Ergebnis: Es funktioniert. Nebenbei wächst und gedeiht das Baby Mundartisten. Schlagzeuger Jönu taucht auf, organisiert einen Übungsraum. Nach und nach finden sich weitere Musiker, DJs, Rapper und Beatboxer ein.
Der Jahrtausendwechsel kommt und geht. Knackeboul und die Mundartisten spielen Live-Show um Live-Show. Improvisationen, Freestyles und Beatbox-Intermezzi machen jeden Auftritt zur dynamischen Premiere und die inzwischen siebenköpfige Truppe weit über ihren Heimatort Langenthal im Kanton Bern hinaus bekannt.
Engagement in den Reihen einer Band: Was andere durchaus auslasten würde, reicht David Kohler bei weitem nicht. Er stürzt sich in diverse Solo-Aktivitäten. Als Kris vo Bärn avanciert er zu einer Größe in der Slam Poetry-Szene. Seine berndeutschen Wortspielereien und Comedyeinlagen erheitern manch eine Veranstaltung vom Dichterwettstreit bis hin zu Literaturtagen.
Zu Beats von Simon Kallweit lässt er seinem Faible für Dark Tech und Happy House freien Lauf. "Ich rappte manchmal aus Spaß über Elektrobeats meines damaligen Produzenten", erinnert sich Knackeboul im Gespräch mit aightgenossen.ch. "Bei einem Song gab es eine Textpassage, die man nicht richtig verstehen konnte. Alle fragten mich: 'Was rappst du da eigentlich?', und ich sagte dann, es heiße 'Orlando Menthol'." - womit das Elektro-Projekt seinen Namen gefunden hätte.
Als Orlando Menthol erntet Knackeboul die ersten Lorbeeren: Die Nummer "Boomberry" trägt ihm im Frühjahr 2005 den m4music Award in der Sparte Electro ein. Mit dem Preisgeld lassen sich die Aufnahmen des Rap-Debüt-Albums finanzieren. "Red Und Antwort" erscheint erstmals 2006 und wird sofort wieder mit einem m4music Award bedacht: Diesmal setzt es den Hip Hop-Newcomer-Preis.
Auf "Red Und Antwort" rechnet Knackeboul mit seiner Vergangenheit ab. 20 zum Teil recht kurze Tracks skizzieren seine Suche nach Identität. Tagebuchartig lotet er dabei emotionale Höhen und Tiefen sowie die Grenzen seiner Ausdrucksmöglichkeiten aus. Bei den Aightgenossen attestiert man ihm Wortwitz, pointierte Reime sowie einen abwechslungsreichen Flow. Die Beats stammen von Kollegen Kwest, DJ Matrat steuert solides Turntablisten-Handwerk bei.
Das alles zieht die Aufmerksamkeit von Stefan Schurter von Deep Dive Music auf sich. Er kümmert sich fortan um das Booking und bringt ihn im Line-Up der Swiss Groove Tour 2007 unter: "Die Idee ist es, Reggae, Funk und Hip Hop zu zelebrieren und den sogenannten 'Urban'-Stil zu pushen. Zur Strategie gehört auch, dass im Sog bekannter Acts ein Newcomer sich einem größeren Publikum präsentieren kann."
Im Verein mit anderen Reggae- und Funk-Künstlern wie Famara und GMF steht Knackeboul nun auf den begehrten Bühnen bekannter Schweizer Clubs. Zudem bringt er einen Vertriebs-Deal unter Dach und Fach, der seinem ursprünglich in Eigenregie aufgenommenen Erstling eine Wiederauflage beschert.
Wohlgemerkt: Nebenbei studiert Knackeboul an der Hochschule der Künste in Bern Musik und Medienkunst, bringt seine Talente im Rahmen von Workshops an den interessierten Nachwuchs und spielt unzählige Liveshows mit den Mundartisten - oder seit 2002 zusätzlich in den Reihen der 'motherfuckin hardcore Boygroup' Suiceside.
Knackeboul teilt sich die Bühnen mittlerweile mit seinen Vorbildern: Er tritt als Support vor Nas, De La Soul, Kool Savas, den Delinquent Habits oder den Landsmännern Greis und Stress auf. "Wenn man als Musiker, sagen wir Rapper, auf dem selben Flyer wie eines seiner größten Idole steht, fühlt man sich wie auf Wolke Sieben." Auf 78s.ch führt er über seine Erlebnisse unterwegs ein hochgradig lesenswertes, weil schwer amüsantes Tourtagebuch.
"Da haben wir sie übrigens das erste Mal getroffen", heißt es da über die Begegnung mit De La Soul. "Nachdem Hänsu und ich als abgespeckte Knackeboul-Crew in Chur von einer liebenswürdigen, De La Soul-geprüften Bandbetreuerin zum Essen chauffiert wurden. Die Amis ignorierten uns, und ich träumte davon, wie ich in zehn Jahren auf Amerika-Tour gehe, die Einheimischen dort auf Schweizerdeutsch herumkommandiere, meinen Mischer zehn Stunden vor Konzert ins Baseball-Stadion zum Monitor-Check schicke und mich beschwere, wenn es statt Fondue Raclette zu Essen gibt."
Im Dokumentarfilm "Chrigu" hält Knackebouls WG-Genosse und Hobby-Filmemacher, der krebskranke Christian 'Chrigu' Ziörjen seine letzte Lebensphase inklusive Chemotherapie, aufkeimender Hoffnung und dem folgenden Rückschlag auf Band fest. Chrigu erlebt die Fertigstellung des Films und seine Aufführung bei der Berlinale nicht mehr. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin sorgen die Freunde der Mundartisten für den Soundtrack.
Erstaunlich eigentlich, dass Knackeboul bei alledem dennoch Zeit für ein zweites Solo-Album findet. Dieses erscheint Ende Januar 2008 unter dem Titel "Hotel Hektik". Wie schon auf "Red Und Antwort" baut Knackeboul wieder auf reduzierte Beats. Etwa ein Drittel stammt aus eigener Produktion, ebenso die ausgefeilteren Arrangements sowie selbstredend sämtliche Texte.
Geriet das Debüt noch sehr persönlich, dreht es sich auf "Hotel Hektik" schon mehr um den Flow: "Bei manchen Passagen habe ich auch die Verständlichkeit etwas vernachlässigt, weil ich einfach versuchen wollte, wie schnell es geht. Und ich mache jetzt schon lang Rap und es geht einfach auch um Skills und Technik." (aightgenossen.ch)
In Knackebouls Hotel quartieren sich neben den Genossen von Mundartisten und Suiceside auch noch weitere Gäste ein. So ist für einen Track auch der Zürcher Reggae-Sänger Dodo mit von der Partie. Energiegeladene Nummern treffen auf Entspannt-Melodiöses. "Es geht hektisch zu", befindet Knackeboul gegenüber Bounce. "Aber es ist auch ein Hotel, in dem man relaxen kann. Hausverbot? Das Nazipack, würde ich sagen, lassen wir draußen. Sonst sind eigentlich alle herzlich willkommen."
Das Video zum Titeltrack kursiert im Netz, ist allerdings durchaus auch hie und da im Schweizer Musikfernsehen zu sehen. Nachwuchsförderung wird übrigens groß geschrieben: Wie auf "Red Und Antwort" bedient sich Knackeboul für das Coverartwork aus dem Zeichenblock der Nachbarstochter, die zum Zeitpunkt des Erscheinens von "Hotel Hektik" gerade die dritte Grundschulklasse besucht.
"Meine Stärke ist es, nicht ins Detail zu gehen und stundenlang zu feilen", resümiert Knackeboul. "Meine Stärke momentan ist wirklich der große Output, den ich habe. Vielleicht wird das auch mal anders, wenn ich viel Zeit habe. Also, ich habe schon eine Idee für das nächste Album ..." "Moderator" steht Anfang 2012 in den Regalen.
Der Zeitpunkt, an dem Knackeboul die Langeweile überkommt, ist allerdings noch lange nicht gekommen: Rapper, Beatboxer, Produzent, Moderationen, Workshops und immer noch drei bis sieben weitere Projekte in der Hinterhand: Der Mann hat zu tun.
Noch keine Kommentare