Porträt

laut.de-Biographie

Mansha

Hip Hop ist Männersache. Ersonnen von Männern, auf die Beine gestellt von Männern, durchgezogen von Männern. So bekommen wir es erzählt, seit Anbeginn des Genres, wieder und wieder. Deswegen hält sich die Mär von der maskulinen Jungfrauengeburt so hartnäckig.

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Frauen verstehen doch gar nichts von Hip Hop und können nicht sprühen, nicht auflegen, nicht wirklich breaken, rappen schon gar nicht, bestenfalls in Ausnahmefällen. Die Geschichtsschreibung interviewt und porträtiert Deutschraps Väter. Ausschließlich die Väter.

Kein Wunder, dass auch 2019 noch kaum jemand weiß, dass es jemanden gibt, der sich des Titels "Deutschraps Mutter" vermutlich würdiger erwiesen hat als sonst irgendjemand. Sie heißt Mansha Friedrich und sie verdient, dass die Welt ihren Namen kennt.

Mansha kommt in Berlin zur Welt und dort schon sehr früh mit Graffiti in Kontakt. Fasziniert von einer Szene, die zu diesem Zeitpunkt gerade erst zu existieren beginnt, fängt sie selbst an, zu sprühen.

Sie ist elf, als sie nach mehreren Umzügen mit ihrer Mutter in Hannover landet. Die Eltern sind geschieden, der Vater lebt weiterhin in Berlin. Mansha und ihre Schwester verbringen regelmäßig die Ferien bei ihm: "Ich war also so um die drei Monate im Jahr bei ihm in Friedenau."

Von Hip Hop spricht in diesen Tagen noch niemand. Dass Writing, DJing, Rap und Breakdance Bestandteile einer gemeinsamen Kultur sind: In Deutschland ahnt das zunächst keiner, auch Mansha nicht. Die zweite und dritte Disziplin warten allerdings schon auf sie.

In einem Berliner Club suchen sie einen DJ für die Ladies' Night. Mansha hat zwar nie zuvor Platten aufgelegt, öffentlich schon gar nicht, hat aber trotzdem den Schneid, sich vorzustellen. Mit 13. Sie macht sich mal eben drei Jahre älter - und bekommt den Job.

Viele US-Soldaten seien im Publikum gewesen, erinnert sie sich im Interview mit Ficko. "Dabei ging das Mikrofon rum und kam am Ende dann auch immer zu mir. Ich musste dann ja auch was sagen, außer: Öh, danke!" Also lernt Mansha Strophen ihrer Lieblingssongs auswendig - ihre ersten Raps.

In Berlin hat sie Blut geleckt, in Hannover wird Mansha selbst aktiv: "Dort hab' ich mir Leute gesucht, die die gleichen Sachen interessant fanden wie ich." Sprich: Graffiti und DJing. Mit 17 castet der Sender Tele5 sie für eine Musiksendung. Mansha stellt aber schon bald fest, dass Fernsehen nicht ihr Medium ist.

An Rapshows ist zu dieser Zeit noch nicht zu denken. "Es gab DJ-Battles. Die DJs waren das Wichtigste, mit denen sind wir mitgegangen." Die 1980er Jahre haben gerade erst begonnen. Im Schlepptau der DJs kommen die Breaker, die Rapper fristen zunächst ein Nischendasein, stehen eher am Rand des Geschehens.

Erste Raps finden irgendwann aber doch ihren Weg über umgedrehte Kopfhörer zum Publikum. Lausiger Sound, aber: "Alle fanden es cool, weil es etwas Neues war. Um gut zu sein, genügte damals schon, im Takt zu bleiben." Gerappt wurde, etwas anderes erschien gar nicht vorstellbar, auf Englisch.

Eine Vernetzung der verschiedenen Disziplinen findet, erinnert sich Mansha, erst um 1985/86 statt. Filme wie "Wild Style" und "Beat Street" haben da sicher das Ihrige beigetragen. Breaker Mehmet organisiert in Hannover im Haus der Jugend die allererste Jam in der Stadt. Viele weitere sollen folgen, Mansha ist stets involviert. Trotzdem stehen auch hier zunächst die DJs und vor allem die Tänzer im Mittelpunkt.

Noch einmal ein, zwei Jahre später ist aus der amateurhaften lokalen eine zwar immer noch von Amateuren getragene, aber bundesweit agierende und vernetzte Community geworden. Mansha rappt zusammen mit Kollegin Pretty P, sie selbst dabei unter dem Namen Peace NT. "Es war eine Eins-zu-eins-Kopie dieser Aminummer", erinnert sie sich, und ihr Pseudonym ihre Art, "um sich über diese seltsamen Namen lustig zu machen".

Zu besagter Jam im Haus der Jugend kommt zusammen mit den Breakern Swift und Storm Cora E. aus Kiel angereist. Sie, die lange zu Deutschlands einziger rappender Frau verklärt wird, lernt bei dieser Gelegenheit Mansha kennen und tritt in den folgenden Jahren wieder und wieder als ihr Featuregast auf: "Bei allen wichtigen Auftritten war Cora unsere Gastrapperin."

Ebenfalls auf einer Jam lernt Mansha den Münchener Graffitikünstler Loomit kennen. Er, in einer von Einzelkämpfertum geprägten Szene eher die Ausnahme, sorgt unter Sprüherkollegen für Austausch und wird bald so etwas wie Manshas Mentor. Zusammen realisieren sie zahlreiche Projekte, viele davon auf dem (aufgelösten) Münchener Flughafen Riem.

Neben dem Sprühen und der Auflegerei in diversen Clubs bleibt Mansha aber immer auch Rapperin. Inzwischen von Pretty P getrennt, hat sie sich mit Leme aus der Schweiz zu Aquarius Answer zusammengeschlossen. Mittlerweile reicht das Selbstbewusstsein, um sich von den amerikanischen Vorbildern zu lösen: Aquarius Answer, aktiv zwischen 1992 und '95, rappen eigene Texte, in denen Ökologie und Umweltbewusstsein eine große Rolle spielen.

Bis hierhin, erinnert sich Mansha, dominieren gegenseitige Wertschätzung und Akzeptanz die gerade erst entstehende deutsche Hip Hop-Szene. Outfits, Codes und Regeln spielen noch keine Rolle, jedes Thema ist erlaubt. "Alle Kollegen begegneten mir auf Augenhöhe. Ich bin auch in Diskussionen nie abgewertet worden, weil ich eine Frau bin."

Der Wind dreht sich Mitte der 1990er Jahre. Deutsche Rapper entdecken ihre Muttersprache. "Das war der Riesenbreak am Ende von allem", befindet Mansha rückblickend. "Nur Deutsch ist real. Und das, obwohl ALLE auf Englisch begonnen haben." Urplötzlich gilt die Sprache der Acts der ersten Stunden als uncool.

Überhaupt, die Coolness: Auf einmal geht es nicht länger darum, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Statt dessen keimt der Wettbewerbsgedanke. Jeder versucht, stylischer, cooler, härter zu sein als der andere. Plötzlich geht es um Realness und Sell-Out. Die erste Generation deutscher Rapper*innen sieht sich mit einer New School mit immer unfreundlicherem Gebaren konfrontiert.

"Damals änderte sich auch der Umgang, mir als Frau gegenüber. Die Glorifizierung der Männer, die bis heute anhält, nahm damals ihren Anfang. Es ging nur noch darum, wer der lauteste Affe im Dschungel ist. Da hatte ich keinen Bock drauf, also bin ich gegangen."

Ein Abgang mit Ansage: Bei einer Jam in Berlin präsentiert Mansha ihren Abschlussrap, in dem sie die Entwicklungen, die ihr missfallen, und auch diejenigen, die sie dafür verantwortlich macht, beim Namen nennt. "Euer Spiel ist nicht mehr mein Spiel."

Klar, dass sich davon mancher kräftig auf den Schlips getreten fühlt: "Danach war ich Persona non grata", so Mansha, die fortan als Nestbeschmutzerin gilt und über die keiner mehr ein Wort verliert. Nirgends.

Rap in seinen Anfangstagen war eine Angelegenheit, die sich live abspielte. Aufnahmen von Mansha gibt es entsprechend nur wenige. "Ich hatte Angebote von Plattenfirmen", erinnert sie sich. Doch während sie noch überlegt, wie sie sich auf einem Album präsentieren solle, hatten Schwester S und Tic Tac Toe Erfolg. Die Plattenfirmen erwarteten von einer rappenden Frau fortan das roughe, toughe Ghettogirl. "Das war ich einfach nicht."

"Ich habe 1997 mein zweites Kind bekommen, war Ende zwanzig und hatte dieser neuen Generation nicht mehr zu sagen. Anders als Cora konnte und wollte ich in meinen Texten nicht die Themen bedienen, um die es in der Zeit ging." Mansha zieht sich aus dem Hip Hop-Bereich zurück. "Erst viele Jahre später habe ich festgestellt, dass ich nirgends erwähnt werde. Nicht im Graffitifilm, nicht in einem einzigen Buch, nichts."

Die deutsche Hip Hop-Geschichte, von Männern geschrieben, die mit anderen, teils noch immer beleidigten Männern gesprochen haben, ignoriert und vergisst die erste Frau, die hierzulande rappte, sprühte, Platten auflegte, die erste Battle of the Year als Hauptact eröffnete, als erster deutscher Rap-Act überhaupt im Ausland aufgetreten ist, Cora E. supportet, Jams mitorganisiert und entscheidend dazu beigetragen hat, eine ganze Szene zu vernetzen. Deutschrap vergisst seine Mutter.

Mansha Friedrich ist darüber hinaus Mutter dreier dankbarerer Kinder. Ihre Tochter war in Manshas aktiver Zeit immer mit dabei: "Kaum einer der alten Hip Hop-Leute, ob Breaker, Sprüher oder Rapper, der Ebby nicht kennt. Sie war das einzige Kind weit und breit. Immer Ohrstöpsel wegen der Lautstärke und zum Beispiel ein Tambourin, damit sie einfach beim Auftritt mitmachen kann."

"Aquarius Answer waren in Hildesheim mal Vorgruppe von The Roots. Unser Auftritt war zuende, Ebby fand es aber super - sie war so fünf Jahre alt - und wollte nicht von der Bühne gehen. Inzwischen kamen The Roots auf die Bühne, und dort stand meine Tochter mit ihrem Tambourin, mitten auf der Bühne. Die Jungs überlegten kurz, lachten und haben ihren kompletten Auftritt mit Ebby zusammen gemacht."

Mansha Friedrich lebt noch immer in Hannover. Sie ist in Urban- und Streetart aktiv, kuratiert Ausstellungen und holt immer wieder international bekannte Künstler in ihre Heimatstadt. Menschen mit gleichen Interessen zu vernetzen, liegt ihr offenbar im Blut. Das Wichtigste aber: "Ich war und bin immer leidenschaftlich Künstlerin."

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