4. November 2015
"Es ist nicht mein Job, den R'n'B zu retten"
Interview geführt von Philipp KopkaOb Grammy oder BET Award: Miguel hat sie alle schon im Trophäenschrank, und das, obwohl der 30-Jährige im Sommer erst sein drittes Album veröffentlichte. Mit "Wildheart" heimste der US-Sänger erneut überschwängliches Kritikerlob ein. Ist er der neue Heiland des oft gescholtenen R'n'B? Diesen und anderen Fragen stellt sich Miguel kurz vor seinem Auftritt in Köln, einem von mehreren Zwischenstopps seiner Welt-Tournee in Deutschland.
Ich beeile mich besser, wir haben ja nur 15 Minuten Zeit. Du hast in einem anderen Interview erzählt, dass du es kaum abwarten kannst, dein neues Album "Wildheart" live zu spielen. Jetzt bist du mitten in deiner Welt-Tournee. Haben sich deine Erwartungen bisher erfüllt?
Die Tour hat meine Erwartungen übertroffen! Nicht, dass ich Erwartungen hatte, aber diese Tour war besonderer als alle Touren, die ich bisher gespielt habe. Es geht um die Aussage. Die Aussage bei dieser Tour ist größer als die Musik. Meine Show hat sich zu einer neuen Erfahrung entwickelt. Zu etwas, an das die Leute glauben. Es geht nicht mehr nur um die Musik, sondern um einen Denkprozess, der die Leute inspiriert, an sich selbst zu glauben.
Kannst du deine Gefühlslage beschreiben, wenn du auf der Bühne stehst?
Du kannst jeden Künstler fragen, keiner könnte dir wirklich vermitteln, was er fühlt, wenn er auf der Bühne steht. Ich glaube die Leute brauchen das Gefühl, inspiriert zu sein. Die Musik ist großartig, wir spielen die Show, und ich lege alles, was ich habe, in meine Darbietung. Ich glaube, wenn die Leute die Show verlassen, wissen sie eine Menge mehr über mich und wieso ich bin, wie ich bin und die Musik mache, die ich mache. Und ich denke, sie gehen und stellen sich sehr wichtige Fragen. Fragen wie: 'Was bedeutet Glück für mich?', 'Was ist meine Bestimmung?' oder 'Woran glaube ich?' Jeder hat seinen eigenen Pfad, und es wäre besser, wenn wir alle akzeptieren, dass wir nicht alle die selben Dinge wollen, oder dass wir zwar die selben Dinge wollen, aber der Weg, um ans Ziel zu kommen, bei jedem einzelnen von uns verschieden ist. Jeder wünscht sich Glück, jeder wünscht sich Erfolg und jeder wünscht sich Mitgefühl und Liebe. Das sind sehr universelle Ideen. Aber ich denke, wie man diese Ziele erreicht, ist für jeden von uns unterschiedlich. Wenn ich auf der Bühne von diesen Ideen spreche, habe ich das Gefühl, die Leute saugen diese Gedanken auf. Das ist es, was dieses Gefühl so großartig macht. Ich hoffe, ich inspiriere mit meiner Musik ein paar positive Gedanken in den Leuten, damit sie an sich selbst glauben.
Also ist das große Ziel deiner Shows, Leute glücklich zu machen?
Das Ziel meiner Shows ist es, Leute zu inspirieren, sich selbst glücklich zu machen .
Das hast du wirklich schön gesagt.
(lacht) Danke!
"Ich war mehr im Einklang mit dem Publikum als je zuvor"
Hast du vor deinen Shows so was wie eine Routine?
Ungefähr eine Stunde vor der Show fange ich an, meine Stimme aufzuwärmen. Ansonsten halten wir es ziemlich light, da gibt es eigentlich kein besonderes Ritual. Wir chillen einfach im Backstage, bis es losgeht, und dann ist Zeit zum Spaß haben.
Und was denkst du über das Konzert heute Abend? Freust du dich oder ist es nur eine Show von vielen?
Ich bin begeistert! Heute ist das größte Konzert, das wir jemals in Köln gespielt haben. Ich freue mich auf jede Show. Du weißt nie, wie das Publikum reagieren wird, welcher Song am meisten Begeisterung hervorruft und so weiter.
Ist diese Tour deine erste in Deutschland?
Ganz und gar nicht! Ich war schon oft in Deutschland, in vielen verschiedenen Städten. Zu viele, um sie zu zählen.
Hast du ein Lieblingskonzert in Deutschland oder eine besondere Erinnerung an die Reaktion des Publikums?
Die Show letzte Nacht in Frankfurt, das war eine meiner Lieblingsshows in Deutschland. Das war ein toller Veranstaltungsort, und die Zuschauer ... Ich weiß auch nicht, da war eine spezielle Energie. Ich war mehr im Einklang mit dem Publikum als jemals zuvor in Deutschland. Aber wer weiß, vielleicht wird es ja heute Abend noch besser! (lacht)
Ich denke mir immer, wenn man tourt, hat man auch extrem viel Freizeit. Allein das ständige Reisen im Tour-Bus oder im Flugzeug. Was machst du, um dir die Zeit zu vertreiben?
Das ist bei mir tagesabhängig. Manchmal bin ich noch total ausgelaugt von der vorherigen Nacht, dann schlafe ich viel und ruhe mich aus. An anderen Tagen, wie heute, bin ich hellwach. Dann arbeite ich meistens an Musik. Wahrscheinlich schiebe ich noch ein Workout ein. Wenn wir früh genug ankommen, spaziere ich gerne noch ein bisschen durch die Stadt. Aber wie gesagt, das hängt von der vorherigen Nacht ab.
Aber du hast kein Hobby, dem du während der Tour nachgehen kannst?
Doch, ich übe Gitarre spielen (lacht).
Hört sich an, als seist du ein Künstler, der Konzerte spielen und touren lieber mag, als im Studio Songs aufzunehmen.
Ich würde nicht 'lieber' sagen. Ich denke, ich mag beides, aber aus ganz anderen Gründen. An einem bestimmten Punkt will ich einfach im Studio sein und neue Musik aufnehmen. Dann gibt es aber im Studio wieder den Punkt, an dem ich es nicht mehr aushalte und raus will, um Konzerte zu spielen.
"Ich bin nicht hier, um über Leute zu urteilen"
Dein drittes Album "Wildheart" ist ein Kritiker-Liebling. Sind dir Dinge wie Verkaufszahlen und Kritikermeinungen wichtig?
Ich würde lügen, wenn ich sage, diese Dinge bedeuten mir gar nichts. Aber ich setze das in die richtige Relation. So lange ich glücklich und stolz auf meine Musik bin, und das auch noch, wenn ich älter bin, ist alles gut. Das ist es, worum es wirklich geht. Es ist toll, Kritikerlob zu bekommen. Wenn die Kritiker sagen würden, das Album sei scheiße, wäre das auch nicht gut fürs Geschäft. Aber ich versuche, mir Lob und Kritik nicht so sehr zu Herzen zu nehmen, dass ich aufhöre, das zu tun, woran ich glaube. Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein. Alles an seinem angemessenen Platz. Das gleiche gilt auch für Verkaufszahlen. Da draußen gibt es tonnenweise gute Musik, die nie das Licht der Welt erblicken wird. Dafür gibt es einfach zu viele Dinge, die mit reinspielen, wenn es um den wirtschaftlichen Erfolg von Musik geht. Vieles davon ist gar nicht unter meiner Kontrolle.
Ich habe das Gefühl, dass es gerade im R'n'B schwierig ist, Lob vom Feuilleton zu bekommen. Dafür ist das Genre zu sehr geprägt von Kitsch. Deine Musik fühlt sich wie eine Alternative an. Fühlst du dich manchmal in der Pflicht, den Ruf deines Genres zu retten?
Ich würde nicht sagen, dass ich dafür eine Verantwortung habe. Ich fühle viel mehr eine Verantwortung mir selbst gegenüber. Meinem kreativen Prozess und meiner Sichtweise gegenüber, so lange ich weitermache, mit dem das sich richtig für mich selbst anfühlt. Aber den R'n'B zu retten, ist nicht mein Job. Nicht meine Verantwortung.
Findest du es manchmal erschreckend, wenn du hörst, was im R'n'B teilweise auf den Markt geworfen wird?
Es ist nicht wirklich mein Job zu sagen, ob es richtig oder falsch ist, was jemand anderes macht. Das ist nicht das, worum es mir geht. Ich bin nicht hier, um über Leute, egal was sie tun und woran sie glauben, zu urteilen. Es gibt tonnenweise Musik, die nicht wirklich meinem Geschmack entspricht, aber trotzdem eine Daseinsberechtigung hat, weil sie ein Publikum hat. Diese Künstler touren genauso und verdienen damit ihr Geld. Wer bin ich denn, zu beurteilen, ob das gut oder schlecht ist? Es mag vielleicht nicht das Richtige für mich sein, aber da ist etwas für jeden in dieser Welt, das ist das Tolle daran. Diese Vielfalt ist wunderschön.
In Zeiten des Internets entsteht schnell Hype, aus dem dann auch Druck resultieren kann. Du hast für dein drittes Album fast drei Jahre gebraucht. Wie wichtig ist es, sich genügend Zeit zu lassen?
Genau genommen war ich zweieinhalb Jahre davon auf Tour. Es hat mich aber trotzdem geraume Zeit gekostet, ein neues Album aufzunehmen. Ich denke, in der heutigen Zeit müssen wir als Künstler darauf achten, wie wir Inhalte konsumieren. Für mich ist das ein Lernprozess. Ich habe heutzutage die Möglichkeiten, Musik regelmäßiger zu veröffentlichen. Ich will zu jeder Zeit präsent sein. Ich bin dabei, zu lernen, wie ich das erreiche. Ich finde aber auch Qualität wichtig. Die Qualität sollte nicht unter der Quantität leiden. Es ist wichtig, eine Balance zwischen beidem zu finden.
Wir müssen uns leider schon verabschieden. Ich wünsche dir ein tolles Konzert heute Abend!
Oh, Mann. Vielen Dank! Sie haben mir gesagt, ich hab' noch ein paar andere Interviews, tut mir wirklich leid. Machs gut!
1 Kommentar
Die Fragen sind aber ganz schön anfängermäßig gestellt.