18. Februar 2004

"Junge Leute wollen harte Bässe ..."

Interview geführt von

Henrietta Schermall, wie Miss Yetti im bürgerlichen Leben heißt, gehört neben Monika Kruse und Ellen Allien zur ersten Liga deutscher DJanes. Wir sprachen mit der fröhlichen Berlinerin am Rande eines Auftritts im Züricher Club Rohstofflager, wo sie nach unserem Plausch ein begeisterndes Set hinlegte und für reichlich schweißbenetzte Gesichter auf der Tanzfläche sorgte. Kräftige Sequenzerlines reichten hier gebrochenen Beats die Hand, so dass am Ende keine Wünsche offen blieben. Oder um mit Plastic Bertrand zu sprechen: "Ca plane pour moi".

Deine im vergangenen Jahr erschienene Platte "Out Of Control" hat mir sehr gut gefallen. Ich habe auf unserer Bewertungsskala bei laut.de vier von fünf möglichen Punkten vergeben. Vor allem die dunklen Parts des Albums in Verbindung mit den hypnotischen Grooves sind mir im Ohr geblieben. Wie bist du mit deinem ersten Album zufrieden?

Die Platte ist in einer sehr schwierigen, existenziellen Lebensphase von mir entstanden. Zu der Zeit hatte ich gerade mein Studium abgeschlossen, bin 30 geworden und ich hatte viele Fragen in meinen Kopf in Bezug auf die Zukunft. Ich bin nun Psychologin und mache aber auch Musik. Da war die Frage beschäftige ich mich weiterhin mit dem, was ich studiert habe oder setze ich erst mal Prioritäten in Richtung Musik? Das war schon eine zukunftsbestimmende, emotionale Phase, in der ich mich mit vielen Dingen auseinandersetzen musste. Und mein größter Wunsch war es ja irgendwann mal mein Album zu machen. Ich habe vorher schon einige Maxis produziert, aber ich hatte aufgrund des Studiums nie Zeit mich mal einige Monate einzuschließen um einfach ein ganzes Album zu produzieren. Das lag mir sehr am Herzen. Und dann hab ich mir gesagt, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, das mach ich jetzt einfach. Ohne Konzept und mit vielen Emotionen in mir, kam dann so alles aus dem Bauch raus. Das Album spiegelt zudem auch meine Wurzeln wider. Als Kind der 80er war ich auf diversen Konzerten von EBM-Acts wie Front 242 oder Nitzer Ebb, aber auch The Cult und der neuen deutschen Welle. Mein Faible für melancholische darke Musik kommt auch bei "Out Of Control" deutlich zum Ausdruck. Des weiteren hört man natürlich meine Vergangenheit bzgl. des frühen Techno heraus. Ich habe diesen Anfang 90er Techno gespielt und spiele ihn immer noch, liebe ihn einfach. Das Album ist einfach sehr persönlich geworden und kehrt eine Menge Innenleben von mir nach Außen. Und das es dann noch so eine super Resonanz gab, hat mich natürlich besonders gefreut.

Es gab also ausser von Laut.de auch noch anderes positives Feedback für "Out Of Control"?

Ja, ja. Mein primäres Ziel war es ja, das Album für mich zu machen. Mir war es total wurscht, was andere darüber denken. Und wenn dann so etwas noch gutes Feedback hervorruft ist man natürlich megaglücklich (lacht). Das war echt schön. Und zum Album gab es dann auch noch eine Tour, die sehr toll, erfolgreich und schön war. Zudem sind im Januar Album-Remixe von David Carretta und Robert Görl, erschienen, die auch klasse geworden sind.

Wenn man sich deine musikalischen Vorlieben anschaut, könnte man denken, dass David Carretta und Robert Görl eine Traumbesetzung für die Remixe sind?

Ja! Auf jeden Fall. David Carretta fand ich schon immer super, was er gemacht hat. Und ich hab mir gewünscht, dass er einen Remix macht. Bei Robert Görl verhält sich das genauso. Mit Robert Görl mache ich auch noch ein anderes musikalisches Projekt.

Was wird das dann sein?

Das möchte ich noch nicht so ganz verraten (lacht). Ja, die beiden das war auf jeden Fall eine Remix-Traumbesetzung. Es wird dann auch noch einen zweiten Part mit Remixen geben. Ellen Allien wird einen beisteuern und wahrscheinlich auch Björn Svin. Zunächst kommt aber auf Gold und Liebe ein neuer Release von mir, "Timebombs In my Brain". Anschließend veröffentliche ich dann eine Maxi von Leon Sega, einem superguten Produzenten aus Athen und schließlich erscheinen dann eben die Remixe Part 2.

Mir ist der Kontrast zu "Miss Yetti und die Zauberer" aufgefallen, das ja 2002 veröffentlicht wurde und relativ luftig und leicht klingt. Und eigentlich nichts von dieser drückenden Dunkelheit hat.

Ja, die Platte ist zu einem besonderen Zeitpunkt entstanden, nachdem ich für ein halbes Jahr auf Bali war. Ich hab auf Bali studiert für ein Semester, das konnte man lustigerweise. Ich hab da indonesisch gelernt und so. Das war cool. "Miss Yetti und die Zauberer" ist danach entstanden. Die Atmosphäre auf Bali hat mich sehr beeinflusst. Als ich zurückkam, war ich auch so superleicht drauf. Da konnte ich einfach nichts anderes machen. Ich war allgemein etwas verändert von meinem Fühlen her. Deswegen ist die Platte so geworden. Aber danach war ich wieder in Berlin, und dann ging es wieder ... (lacht).

Ein Rückfall in alte Zeiten sozusagen ...

Ja, das war so ein Exkurs (lacht), denke ich.

Du hast mit Gold und Liebe dein eigenes Label gegründet. Hast du dir nie überlegt, einen Deal mit anderen Labels abzuschließen, oder nimmst du die Sachen lieber selbst in die Hand?

Ich hab ja viel auf anderen Labels gemacht, auf Liquid oder Monoculture. Das Schlüsselerlebnis war aber, dass ich einen Track für ein anderes Label fertig hatte, und man mir gesagt hat: Ok wir nehmen das Stück, aber du musst folgendes verändern. Da habe ich nein gesagt. Das Stück ist so fertig, es erzählt eine Geschichte, und es soll so sein. Da hatte ich keinen Bock mehr, mich zu prostituieren, Abstriche machen zu müssen, was verändern, was modifizieren zu müssen.

Passiert es oft, dass von der Labelseite reingeredet wird?

Nein bei den ersten Stücken war das nicht so. Aber es kam eben einmal vor und dann ist mir diese Idee gekommen mein eigenes Label ins Leben zu rufen. Diese hab ich 1998 dann mit einem Bekannten dann auch direkt umgesetzt. Nach zwei Jahren haben sich unsere Wege wieder getrennt und ich habe das Label dann alleine weitergemacht. Das Konzept, was hinter dem Label steht, ist ein Medium für Musik darzustellen, die nicht massenkompatibel sein muss, die Gefühlen und Innovationen Raum lässt, unabhängig irgendwelcher Styleschubladen. Außerdem ist für mich ausschlaggebend, ob ein Track über Persönlichkeit verfügt, sich abhebt, rund ist.

Du kannst dir also ganz verschiedene Sachen auf deinem Label vorstellen?

Ja, Gold und Liebe steht nicht für irgendeinen bestimmten Style. Es gibt ruhigere, sogar housige-jazzige Tracks aber auch wavige-Elektro und techno-orientierte Releases. Gute Musik kann man doch nicht an bestimmten Stilrichtungen festmachen. Ich verstehe zum Beispiel auch unter einem guten Set, dass es eine Reise durch verschiedene Styles darstellt. Mir graut davor, mich diesbezüglich festlegen zu müssen. Leider erwarten die Leute immer eine gewisse Kategorisierung, was meiner Meinung nach der künstlerischen Leistung im Weg stehen kann. Die besteht doch auch darin...

... mit Stimmungen zu malen oder zu spielen. Viele DJs machen es sich zu einfach, brettern nur von Anfang bis Schluss durch, da gibt es ...

... wenig Höhen und Tiefen. Ja, genau. Das finde ich wichtig, wenn es hoch und runter geht. Es soll ja auch wie eine Reise sein, damit die Leute auch mal Luft holen können. Aber es gibt eben auch viele Musikkonsumenten jüngerer Art (lacht), die durchgängig immer nur harte Bässe hören wollen. Schneller, schneller, weiter, weiter. Das frustriert mich auch oft. Leute meines Alters wissen oftmals mehr die verschiedenartigen Einflüsse zu schätzen.

War das zu deinen Studienzeiten nicht ein scharfer Kontrast am Wochenende durch die Welt zu jetten und auf Parties zu spielen und am Montag dann wieder in den Hörsaal reinzumarschieren? Dieser Wechsel zwischen den Rollen DJane einerseits und Studentin andererseits.

Ja, klar, das war super krass. Ich musste mich dann auch oft selbst hart disziplinieren. Jeden Montag morgen wieder in der Uni zu sitzen, in einer komplett anderen Welt zu sein. Das war schon heftig. Auch wenn mich Kommilitonen gefragt haben, wo warst du denn oder was machst du so am Wochenende. Und ich denen dann sag: ich war in Mexico. Das war schon merkwürdig und kam einem auch so film-mäßig vor, der Wechsel zwischen den zwei Welten. Einerseits meine DJ-Welt und andererseits meine Uniwelt, die mich allerdings auch immer in der Realität gehalten hat. So war ich also immer auf dem Boden der Tatsachen (grinst). Ich hab auch ehrlich gesagt gern studiert und bin gerne zu meinen Vorlesungen gegangen, weil ich diese wirklich interessant fand. Das war jetzt überhaupt keine Qual: Scheiße jetzt wieder Uni und ich muss das durchhalten. Es war für mich auch klar, dass ich meinen Abschluss mache. Und jetzt genieße ich gerade die momentane Zeit, wo ich nicht mehr Unitechnisch oder sonst wie gebunden bin. Ich freue mich sehr darüber, dass ich jetzt auch mal länger in einem Land bleiben kann, wenn ich dort irgendwo einen Gig habe. Jetzt zum Beispiel mit Chile, wo ich mir unbedingt außer den Partys noch Land und Leute anschauen möchte. Vorher ging so etwas halt nicht. Das wäre ja frustrierend immer nur den Club gesehen zu haben.

Ich stelle mir das ganz geschäftsmäßig vor. Man kommt an, wird vom Flughafen abgeholt, geht essen, legt auf und fliegt wieder nach Hause.

Ja, aber das ist schrecklich und ich wehre mich auch dagegen. Teilweise musste ich das so machen, mich so disziplinieren eben, als ich studiert hab. Insbesondere auch in Lern- oder Klausurphasen, wo das sehr heftig war. Aber ich wehre mich total dagegen. Normalerweise ist das so, dass ich relativ früh in den Club gehe, um mir die Stimmung und die Atmosphäre anzuschauen. Manchmal tanze ich auch, wenn meine Kollegen coolen Sound auflegen. Für mich steht eindeutig der Spass und die Liebe zur Musik im Vordergrund. Ich bin doch so glücklich, dass ich mit dem, was ich so liebe, Geld verdienen kann. Mir gefällt es nicht, wenn man kurz vor seinem Set kommt, auflegt und dann wieder abhaut. Das ist für mich nicht der Sinn der Sache. Ich mag es nicht, wenn es zu geschäftsmäßig wird. Klar ist das mein Job, aber das Wichtigste sind ausser der Musik, die persönlichen Kontakte. Und das Schöne ist ja auch, wenn ich in der Weltgeschichte rumfliege und zum zwanzigsten Mal in Barcelona bin, dass ich da einfach auch inzwischen meine Freunde habe. Und die ruf ich dann an und schlaf nicht im Hotel, sondern lieber bei denen und wir haben dann Spaß. Das ist doch tausendmal schöner.

Kannst du dir vorstellen, irgendwann das DJ-ing an den Nagel zu hängen und als Psychologin zu arbeiten?

Ja auf jeden Fall. Das will ich auf jeden Fall. Ich hab ja nicht aus Langeweile studiert oder um mich selbst zu therapieren. Mein Label möchte ich auf jeden Fall weitermachen, aber vielleicht werde ich irgendwann mein DJ-Dasein runterschrauben, und da könnte ich mir schon vorstellen, eine Doktorarbeit zu schreiben. Dann würde ich irgendwann gern meine eigene Praxis haben, eine Therapieausbildung machen und dann meine Kollegen therapieren (lacht). Das könnte ich mir vorstellen. Ich hab in der Raveline auch meine Kolumne, und das mace ich das richtig gerne. Viele Leute sagen immer: das ist so Bravo-mäßig. Es ist aber erschreckend festzustellen, dass viele Leute gar nicht wissen, wohin mit ihren Problemen. Nicht jeder hat einen Freund oder Eltern, mit denen man bestimmte Dinge bereden kann. Und ich mache das total gerne: Rat geben. Für Leute da zu sein.

Viele Leute stimmen einen Totengesang auf elektronische Musik an. Was glaubst du, was die Zukunft der elektronischen Musik sein wird?

Im Moment finde ich es total spannend, zu beobachten, dass sich elektronische und nicht elektronische Musik annähern und auch überkreuzen. Das finde ich toll. Ich hab das Gefühl, es wird immer neue Ausdifferenzierungen und Überkreuzungen geben. Ich sehe der Zukunft positiv entgegen.

Du könntest dir auch für deine eigenen Produktionen vorstellen, natürliche Instrumente zu verwenden oder einen 'richtigen' Gesang?

Na, klar. Ich kann zwar nicht wirklich singen (lacht), nur sprechen. Aber ich finde das total spannend, was man stimmlich so alles machen kann. Mich nervt immer, wenn Leute behaupten, dass Techno tot sei. Das ist totaler Quatsch. Ich finde es allerdings passender von elektronischer Musik im allgemeinen zu sprechen, denn jeder versteht unter Techno was unterschiedliches oder bezieht noch etwas anderes in die Kategorie mit ein. Den Hochpunkt der kommerziellen Entwicklung elektronischer Dancemusik kann man vielleicht vor drei, vier Jahren ansiedeln und dann ging es kommerziell berg ab . Aber ich muss dir ehrlich sagen, ich find's total gut so, weil dieser Druck, der durch die Massenkompatibilität entsteht jetzt weg ist und die Entwicklung wieder viel kreativere Wege geht. Die Mischung aus elektronischen und natürlichen Instrumenten z.B. ist gerade voll im Gange. Noch vor einiger Zeit wäre es doch undenkbar gewesen, wenn sich Rock Artists an Artists elektronischer Musik annähern und umgekehrt. Djmäßig kann ich beobachten, dass die Entwicklung von den grossen Raves wieder zurück in die Clubs geht. Das finde ich eh viel toller. Raves machen zwar auch Spass, aber deren Entwicklung hat einfach auch Überhand genommen, dass es irgendwie klar war, dass eine Selektionswelle die Spreu vom Weizen trennt. Genauso wie bei den Djs, den Labels etc... Ich merke gerade in Berlin, dass sich viel bewegt und das macht mich glücklich.

Vielen Dank für das Gespräch.

Gern geschehen.

Das Interview führte Daniel Straub

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