10. Mai 2005

"Als ob wir noch mal ganz neu anfangen würden ..."

Interview geführt von

Zwar kann man von den britischen Grindcorelern keine massive Kurskorrektur erwarten (die will mit Sicherheit auch niemand haben) aber für die eine oder andere Überraschung sind sie immer wieder gut. Zuletzt griffen sie bei den Gastsängern tief in die Trickkiste und zogen daraus nicht nur Jello Biafra und Jamey Jasta (Hatebreed) hervor, sondern auch Ex-Carcass Fronter Jeff Walker ...

Hey Barney, das aktuelle Album ist eigentlich "The Code Is Red", aber mich würde erst mal interessieren, warum ihr nach der "Leaders Not Followers"-EP eine weitere CD in dem Stil nachgeschoben habt?

Die EP hat einfach dermaßen viel Spaß gemacht und kam bei den Leuten so gut an, dass es bei uns als Band einen ganz neues Feeling ausgelöst hat. So als ob wir noch mal ganz neu anfangen würden. Irgendwie war jedem von uns klar, dass wir das wiederholen wollten, dieses Mal auf Albumlänge. Glaub mir, es gibt noch einen dermaßen großen Fundus an Klassikern von früher, und wir haben auch schon so noch einige Sachen übrig für ein "Leaders Not Followers Pt. III", wenn wir uns denn entscheiden es aufzunehmen.

Wie haben sich die Aufnahmen zu den beiden Alben denn unterschieden?

"Leaders" ging wesentlich lockerer von der Hand, weil eigentlich kein Druck auf uns lastete. Du nimmst einfach die Klassiker von jemand anderem und versuchst, sie deinem eigenen Stil etwas anzugleichen, ohne dabei ihren Charakter zu versauen. Wenn du eigene, neue Sachen schreibst, setzt du dich selbst dem Druck aus, immer wieder was Neues, Besseres zu machen. Du willst dich ja nicht ständig kopieren, und knallen sollen die Sachen ja auch. Wir versuchen aber prinzipiell bei all unsere Alben, so spontan wie möglich ranzugehen. Dadurch klingen sie einfach runder. Man muss im Studio schon konzentriert bei der Sache sein und wissen, woran man arbeitet und worum es geht. Wenn dir dabei aber der Spaß verloren geht und alles nur noch Business wird, ist es Zeit aufzuhören.

Napalm Death kann man wohl mit Fug und Recht als Institution im Bereich der extremen Musik betrachten. Fühlst du dich da manchmal limitiert oder unter Druck gesetzt von den Erwartungen der Fans?

Eigentlich nicht. Manchmal bin ich vielleicht etwas nervös, wie die Fans neue Sachen von uns aufnehmen oder interpretieren, aber momentan gehe ich nur nach dem, was sich in meinem Herzen und meinem Kopf richtig anfühlt. Ich denke mal, die Fans können sich darauf verlassen, dass wir jedes Mal wieder das Beste geben, wenn wir neue Musik schreiben. Falls dann tatsächlich mal was kritisiert wird, nehme ich mir das nicht so zu Herzen. Jeder hat seine eigene Meinung, und ich mache mir deswegen keine schlaflosen Nächte. Doch ich höre mir diese Kritik auf jeden Fall an und mache mir meine Gedanken darüber. Napalm Death-Fans kommen aus so vielen unterschiedlichen Lagern und Gegenden, dass es da eh eine unglaubliche Fülle an unterschiedlichen Meinungen und Blickwinkeln gibt. Aber das macht das Leben und die ganze Sache doch erst interessant, oder nicht?

Auf jeden Fall, aber spielt ihr mit Songs wie "Striding Puroposefully Backwards" oder "Morale" nicht sogar ein wenig mit diesen Erwartungen?

Naja, nicht unbedingt. Am ehesten vielleicht noch, was die Texte angeht. Manchmal ist es wirklich hart, in einer Band zu sein, weil praktisch täglich irgendwelche wichtigen Sachen und Entscheidungen auftauchen, über die man sich Gedanken machen muss. Als Fan weiß man davon oft gar nichts und hat keine Ahnung, was da so alles vorgeht. Manchmal fühlt man sich richtig machtlos, um sich gegen den ganzen Scheiß, der im Musicbiz abgeht, zu wehren. Das versuche ich mit diesen beiden Texten auszudrücken. Wir sind als politische Band gebrandmarkt und werden manchmal ganz schön hart verurteilt, nur weil wir versuchen, so integer wie möglich zu handeln und gleichzeitig unser Bestes zu geben. Wenn jemand, der noch nie in einer Band war, auf einmal in solch eine Situation kommt, tendiert er dazu, die Sache auf einmal ganz anders zu beurteilen, wenn er sich mit dem ganzen Bullshit mal befassen muss.

Ihr habt auf der neuen Scheibe drei Gastsänger. Während es wohl nicht so das Problem war, Jamey Jasta zu einer Kooperation mit seinen Idolen zu bewegen, muss es deutlich schwieriger gewesen sein, Jello Biafra und vor allem Jeff Walker ins Studio zu bekommen. Warum ausgerechnet die drei, und wer davon liegt mit eurer Einstellung am ehesten auf einer Wellenlänge?

Um die letzte Frage zuerst zu beantworten: Alle drei haben meiner Meinung nach die ganzen Jahre über versucht, auf ihre Art das Richtige zu machen. Es ist für mich vollkommen irrelevant zu beurteilen, wer davon unserer Einstellung am ehesten entspricht, weil das so wäre, als ob ich eine Mikro-Analyse von jemandem machen wollte. Jeff Walker war aber sogar der einfachste Teil, da er seit Ewigkeiten ein sehr guter Freund von uns ist und eh ständig bei uns im Studio rumhing. Jamey war durch Zufall gerade in der Stadt, da sie mit Slayer und Slipknot auf Tour waren. Das war also auch kein großes Problem. Jello war also der Einzige, bei dem wir ein wenig planen mussten. Als wir letztens durch die USA getourt sind, hat Billy Gould (Ex- Faith No More) uns ein Studio gebucht, und Jello kam vorbei und sang etwa 50 Takes der allergeilsten Vocals ein. Echt der Hammer. Jeder der drei hat, im Rahmen der Songs, die ich ihnen gegeben habe, einen fantastischen Job geleistet, besonders da ihre Stimmen so verschieden sind. Das war aber auch exakt das, was ich mir vorgestellt hatte - schön wenn alles so klappt, wie man das haben will, hahaha.

Vor ein paar Jahren hast du mal eine Kolumne fürs Rock Hard geschrieben. Machst du das noch für irgendein anderes Magazin?

Ja, das kommt hin und wieder schon vor, dass ich die eine oder andere Sache schreibe. Seit wir mit Napalm Death aber so beschäftigt sind, habe ich das etwas zurückschrauben müssen. Ich habe sogar ernsthaft darüber nachgedacht, ein Buch über das Thema Menschenrechte zu schreiben. Vor allem die Situation in Tschetschenien und der Einfluss der russischen Behörden ist in dieser Beziehung sehr interessant. Jedoch sind über ein solch massives Projekt nachdenken und es tatsächlich ausführen, immer noch zwei paar Schuhe, haha.

Hast du jemals darüber nachgedacht, eine Spoken Word-Sache wie Henry Rollins oder Danko Jones zu machen?

Ein paar Leute haben diese Idee auch schon an mich heran getragen, aber ich weiß nicht so recht. Ich gehe solche Sachen eigentlich lieber spontan an, als mich damit dann auf eine strategisch geplante Tour oder etwas derartiges zu begeben. Außerdem hätte ich wohl ständig Schiss, mich in irgendwelchen Formulierungen zu verknoten. Ich neige dazu, mich in gewisse Themen hineinzusteigern und drehe dann irgendwann am Rad, weil ich mich in irgendwelchen Nebensächlichkeiten verstricke, anstatt einfach klare Aussagen zu machen und zum Punkt zu kommen. Das liegt wohl daran, dass ich immer versuche, zu viel auf einmal zu sagen, haha.

In England waren ja gerade Wahlen. Warst du überrascht, dass Tony Blair wieder gewählt wurde?

Nicht wirklich, aber er ist auch nur das kleinere Übel und sicher keine gute Alternative. Es ist einfach so, dass die meisten Leute die Konservativen aus der Regierung raus halten wollen. Wenn man etwas so Destruktives wie die Regierung unter Margaret Thather durchlebt hat, ist das aber auch kein Wunder. Andererseits kann man Blair wohl auch als Kriegsverbrecher bezeichnen, der die Labor Partei mehr oder minder ruiniert hat. Ich war sogar eine ganze Zeit lang Mitglied der Labors. Ich hätte in meiner Gegend gern die Grünen gewählt, aber die hatten keinen Kandidaten, und ich denke ernsthaft darüber nach, mich um ein Amt zu bewerben.

Na dann bin ich ja mal gespannt, was sich in der englischen Politik demnächst tut.

Das Interview führte Michael Edele

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