7. März 2002
"Jetzt machen wir Popmusik"
Interview geführt von Philipp SchiedelNew End Original legten mit "Thriller" sicherlich einen der großen Anwärter auf das Punk/Emo-Album des Jahres hin. Stoff für viele Fragen war also vorhanden. Dennoch stand das Interview bis zuletzt auf wackeligen Füßen. Zum Glück konnten wir uns vor dem Konzert in der Stuttgarter Röhre dann doch noch mit Band-Chef Jonah Matranga und dem zweiten Gitarristen Norman Arenas an einen Tisch zur Plauderstunde setzen. Dabei kam Jonah etwas mit dem Pop- und Rock-Dingens durcheinander ...
Ihr macht schon nach neun Gigs in Amerika eine Tour durch Deutschland. Warum seit ihr so früh hier hergekommen? Ich kann nicht glauben, dass Deutschland so wichtig für Bands wie euch ist.
Jonah: Es hat sich heraus gestellt, dass Deutschland wirklich sehr wichtig für uns ist. Aber eigentlich sind wir gekommen, weil hier weniger Druck auf uns lastet. In Amerika kennen wir so viele Leute und müssen uns ständig beweisen. In Europa ist das einfach viel relaxter und wir können einfach drauflos spielen. Außerdem kennen wir Leute von einer Konzertagentur, die schon lange Punkrock-Shows organisieren. So hatten wir auch jemanden, der uns hier geholfen hat.
Auf euren Plakaten oder Anzeigen steht immer "feat. Ex-Members of Far, Texas Is The Reason ...". Fühlt ihr euch davon genervt?
Jonah: Das ist mir egal. Natürlich wussten wir, dass Leute kommen, weil diese Bands dort angeführt sind. Und das finde ich auch vollkommen in Ordnung. Was ich aber nicht mag, ist Werbung, die bestimmte Dinge vortäuscht. Die Leute kommen dann zum Konzert und fragen sich, was die da oben eigentlich machen. Auf der anderen Seite ist es okay, Informationen weiterzugeben, damit die Leute wissen woran sie sind.
Das war ja auch der Grund warum ich zu eurem Konzert gekommen bin. Man hat ja nichts gekannt. Es gab keine Platte und keine MP3s.
Jonah: Genau. Keiner wusste irgendwas von uns und wir sind immer noch eine sehr neue Band. Ich denke, wenn wir so weiter machen, wird es immer unwichtiger, in welchen Bands wir vorher gespielt haben. Wenn du beim ersten Mal unsere Musik nicht magst, ist es egal, was wir vorher gemacht haben. Du würdest es einfach nicht gut finden. Norman und ich sprechen auch viel darüber. Wir wollen uns natürlich auf das Neue konzentrieren. Aber man vergisst ja nicht, was man früher gemacht hat. Es ist einfach eine Sache der Balance. Aber was denkst du darüber? Findest du es dumm?
Ich denke, es geht in Ordnung. Ich wollte es nur als Vergleich wissen, da es John K. Samson von den Weakerthans ziemlich ankotzt, wenn irgendwo "Ex-Member of Propghandi" steht. Ihr seht das ja ähnlich.
Norman: Ich denke, es hängt davon ab, wo man früher gespielt hat und wo jetzt. Wenn der alte Stoff dann jemanden glauben macht, dass Neue klinge ähnlich, obwohl es sich völlig unterscheidet, macht das natürlich keinen Sinn. Ich kenne das ja aus erster Hand. Ich war in vielen Bands, bei denen ich jetzt nie hinschreiben würde "Ex-Member of", weil das in eine total falsche Richtung ginge.
Jonah: Wenn wir jetzt drucken würden "Ex-Members of Shelter", dann passt das eben überhaupt nicht zu unserer Musik. Aber für mich machen Bands wie Far oder Texas Is The Reason Sinn, weil sie uns doch ähnlich sind. Wenn aber jemand ein Jahr irgendwo gedrummt hat und damit nur rumprahlt, ist das daneben. Aber ich denke, bei uns geht das in Ordnung. Denn Norman und ich waren in unseren Bands von Anfang bis Ende dabei und haben die Songs geschrieben.
Zu Beginn habt ihr alle über ganz Amerika verstreut gelebt und euch nur ein paar Mal zum Proben getroffen. Hattet ihr gleich die Idee eine richtige Band zu gründen oder war es eher als Spaß-Ding gedacht?
Jonah: Die anderen Drei waren gerade dabei nach Kalifornien zu ziehen. Wir waren uns also schon bewusst, dass wir eine Band werden. Aber keiner von uns wusste, wie das funktionieren würde. Wir wussten nicht, wann wir eine Platte machen würden und solche Sachen. Zuerst war das ein Experiment, aber dann hat sich alles nach sehr kurzer Zeit sehr gut angefühlt und wir wollten es durchziehen.
Norman, ist es wahr, dass du nach dem Split von Texas Is The Reason nie mehr Musik machen wolltest? Wenn ja, warum hast du dich umentschieden?
Norman: Ja, das stimmt. Aber schon kurz nach dem Split habe ich mit Jonah darüber gesprochen gemeinsam etwas zu machen. Damals war das nicht möglich, da ich in Chicago wohnte und er in San Francisco und keiner von uns wegziehen wollte. Als Jonah dann mit seinem Solo-Projekt OneLineDrawing mal in Chicago war, haben wir uns zusammengesetzt, Gitarre gespielt und über eine mögliche Band geredet. Und dann habe ich mich entschieden es noch einmal zu versuchen. Aber diese Band soll definitiv meine letzte sein.
Jonah: Und meine letzte auch (lacht). Norman hat damals nicht die Musik aufgegeben, sondern die Rock-Bands. Ich habe mir auch nicht ausgemalt noch mal in einer Rock-Band zu sein und jetzt machen wir ja Pop-Musik.
Als ihr das erste Mal im Proberaum wart, habt ihr da nur OneLineDrawing-Songs gespielt bzw. stammten die Stücke alle von Jonah?
Jonah: Es sind zwar alles ursprünglich meine Songs, aber als wir angefangen haben zu spielen, waren das nicht mehr meine Songs. Es war eine Band. Manche der Stücke habe ich auch schon solo live gespielt und manche sind schon auf EPs veröffentlicht. Wir haben auch überlegt die ganze Sache OneLineDrawing zu nennen, aber dann wären meine Solo-Shows nicht mehr OneLineDrawing gewesen, sondern Jonah Matranga-Shows. Ich denke es war richtig dem Ganzen einen neuen Namen zu geben.
Wenn du einen Song schreibst, weißt du dann sofort, ob er für dein Solo-Projekt oder für New End Original verwendet wird?
Jonah: Damals wusste ich noch nicht, ob ich diesen oder jenen Song mit einer Band spielen werde oder nicht. Aber bei den Songs die demnächst entstehen, wird das definitiv so sein. "Thriller" enthält nur Songs, die ich schon vorher geschrieben habe. Sie waren zwar nicht vollständig ausgereift, aber die Grundidee gab es schon vorher. Und so war es für mich wirklich spannend, mitzuerleben, wie sie mit einer Band funktionieren.
Norman: Ich bin immer sehr zögerlich, wenn etwas ganz von vorne beginnt. Ich wollte einfach nicht Jahre lang im Proberaum stehen, bis man endlich mal etwas Annehmbares in den Händen hält. Jonah hat mir eine Woche nach der letzten Show mit seiner alten Band Far ein Tape mit Songs in die Hand gedrückt und von dieser Sekunden an habe ich mir Gedanken darüber gemacht, wie man diese Songs variieren könnte. Wenn ich die Stücke nicht gemocht hätte, wäre ich nie nach Kalifornien in den Proberaum gekommen.
Jonah: Das ist das Komische daran. Die Band-Sache entwickelte sich sehr schnell, aber Norman hatte die Songs schon seit Jahren. So wusste er also auch ganz genau, was er in sie einbringen wollte. Ich musste keinem der jetzigen Band-Mitglieder die Songs vorspielen, sondern konnte einfach nur schauen, was sie daraus machen. Es ist vergleichbar mit manchen Büchern: das Vorwort ist sehr lang, das erste Kapitel dafür sehr kurz.
Ich habe gelesen, dass 90 Prozent der Ideen bei der Aufnahme zum Album nicht umgesetzt wurden. War das ein zeitliches bzw. finanzielles Problem?
Jonah: Stimmt, wir hatten nicht gerade viel Zeit. Es war auch kein großes Budget vorhanden. Es gab viele Ideen die Songs mehr zu "dekorieren", die dann aber nicht realisiert wurden. Aber meine größte Idee wurde auf der Platte wahr: ich wollte ein Album machen, das den Sound von Leuten, die sich treffen, widerspiegelt. Ich wollte nicht mal, dass wir üben. Ich wollte unsere ersten gemeinsamen Töne gleich aufnehmen. Und wir haben es auch fast geschafft, da wir nur etwa sechs Mal geprobt haben, bevor wir ins Studio gingen. Und ich denke, dass es im Nachhinein sehr gut war, viele Ideen nicht zu verwirklichen.
Norman: Ich war überrascht, dass es so laut wurde, da die eigentlichen Songs doch sehr ruhig sind. Als ich nach Kalifornien zog, habe ich mein ganzes Set-Up verkauft, da ich dachte, dass wir Pop machen. Als ich dann ankam, standen dort die großen Verstärker und ich habe eben auch aufgedreht. Dann hat Jonah auch noch angefangen zu schreien und ich dachte nur noch: 'Oh fuck, das klingt großartig!'.
New End Original ist ja gerade ein ziemlicher Erfolg. Bleibt da überhaupt noch Zeit für OneLineDrawing?
Jonah: OneLineDrawing ist und wird immer mein kleines Baby sein. Ein kleines Zuhause, das ich mir selbst erschaffen habe und das ich auch weiter ausbauen werde. New End ist jetzt eine Sache, die wir alle zusammen machen und sie wurde um einiges schneller und größer, als ich mir gedacht habe. New End Original sind nicht nur meine Songs. Das war ein Problem bei Far. Oft dachte ich mein Stück ist super und alle anderen waren ganz anderer Meinung. Jetzt bringe ich eine Idee oder einen halben Song und wir machen dann gemeinsam etwas daraus. Wenn ein Song nicht funktioniert, dann lassen wir es eben.
Norman: Ein gutes Beispiel dafür ist "Hostage". Als ich diesen Song das erste Mal gehört habe, mochte ich ihn überhaupt nicht.
Ich finde ihn den besten Song auf der Platte.
Norman: Es hat sich im Nachhinein heraus gestellt, dass er der beste ist. Wir haben ihn in tausend verschiedenen Variationen gespielt. Als wir dann endlich rausgefunden hatten, wie er am besten funktioniert, war ich an dem Punkt, an dem ich feststellen musste: 'Das ist mein Lieblingssong!'
Jonah: Wir haben dabei nicht mal viel geredet. "Hostage" ist schon sieben Jahre alt und ich hatte sogar eine fertige Demoversion davon, aber ich mochte ihn nie besonders. Ich mochte ein paar Teile, aber es hat nie richtig 'klick' gemacht. Als wir ihn dann zusammen gespielt haben, klang es zwar okay, aber nach zwei Stunden konstantem Spielen hatte sich der Song komplett verändert. Norman hat damals gesagt, dieser Song ging von Jimmy Eat World zu U2. Und nun ist der Song größer, als ich es mir je vorstellen konnte.
Du hast gerade von Jimmy Eat World gesprochen. In jedem Artikel, den man über euch liest, taucht dieser Bandname auf. Ärgert ihr euch darüber?
Jonah: Nein, das stört mich nicht. Jimmy Eat World sind eine der wenigen Bands, die ich mitverfolge. Aber ich bin ein bisschen traurig, dass sie nun einen etwas anderen Weg einschlagen: die ganzen großen Major-Label-Geschichten und so. Aber ich mag sie wirklich und ich denke, sie sind fähig mit diesen wunderschönen großen Rock-Momenten umzugehen. Aber ich hänge immer zwischen dem großen Rock'n'Roll und dem verrückten Indie-Rock. Ich habe beides in mir und das ist manchmal wirklich sehr verwirrend für mich. New End Original soll keine große Rockband sein, aber ich will auch nicht, dass wir eine kleine Indie-Rockband sind, weil das ziemlich einschränkend sein kann. Macht das überhaupt Sinn?
Ich denke, ich weiß worauf du hinauswillst.
Jonah: Jimmy Eat World haben nie versucht es jedem recht zu machen. Sie machen wirklich die Musik, die sie machen wollen und dafür bewundere ich sie. Es gibt eine Menge Bands, die mich viel mehr aufregen würden, wenn man sie mit uns vergleichen würde.
Zum Beispiel?
Jonah: No way (grinst).
Auf Onelinedrawing.com kann man den Song "No Ordinary Love" runterladen, den du zusammen mit Chino Moreno von den Deftones aufgenommen hast. Ich denke, ihr habt an vielen Stellen auf eurem Album mehr mit den Deftones zu tun als mit Jimmy Eat World.
Jonah: Sicher ... Ich denke, ja ... (überlegt).
Zum Beispiel bezüglich des Schreiens?
Jonah: Stimmt wohl, nur das Chino mich dabei ziemlich alt aussehen lässt (großes Lachen in der Runde). Das kann man auch bei Far hören. Ich bringe dann doch dieses Rockding in die Band. Als ich gelernt habe, zu Rockmusik zu singen, war das immer mit einem massiven Gitarrensound unterlegt und das hat mein Singen wirklich geformt. Ich schreie eher zu Songs, die richtige Songs sind und nicht nur zu Riffs. Aber um fair zu sein, muss man auch sagen, dass die Art und Weise in der wir wie die Deftones klingen, die Art und Weise ist, in der die Deftones von Far beeinflusst wurden. Ich meine wir, klingen nicht wie "Adrenaline" von den Deftones (lacht).
Norman: Die Deftones und Far waren eben beide aus Sacramento und da wird man einfach voneinander beeinflusst. Das ist das Gleiche, wie bei mir in New York, wo ich aufgewachsen bin. Man checkt sich immer gegenseitig aus. Das passiert einfach, wenn Bands gemeinsam aufwachsen.
Jonah: Es gab wirklich Zeiten in denen ich und Chino sehr gleich geklungen haben und eine Menge Leute können bei "No Ordinary Love" nicht sagen, ob da jetzt ich singe oder er.
Ich erkenne es fast nie.
Jonah: Es ist wirklich hart. Wir beiden mögen eben viele weibliche Vocals und haben ähnliche Stimmen. Aber das macht auch wieder einen Unterschied zu Jimmy Eat World aus. Wir sind viel mehr eine Rockband. Bei ihnen gibt es viele niedliche Parts. Norman hat uns ziemlich in die Rockecke geschoben. Wir haben mal im Proberaum "14-41" gespielt, was ein totaler Popsong ist. Er hat voll verzerrt und bis zum Anschlag aufgedreht. Wir wussten zuerst nicht, ob er nun einen Witz macht oder ob er seinen geliehenen Amp nicht im Griff hat. Aber wir mochten es. Am Anfang dachten wir, dass wir eine leise und poppige Band werden und jetzt sind wir manchmal eine richtig harte Rockband. Wir hatten schon härtere Shows, als Far jemals gespielt haben. Das ist sehr seltsam, da Far eine wirklich harte und laute Band war. Aber wenn wir jetzt Jimmy Eat World und die Deftones nehmen, dann sind wir dort irgendwo dazwischen.
Ich habe vor kurzem ein altes Tourtagebuch von Far gelesen. Dort stand, dass du erst gedacht hast, dass der Song "Nestle" über deinen Vater ist. Nach einiger Zeit hast du aber herausgefunden, dass er darüber handelt, wie du Vater wirst. Passiert dir sowas noch immer?
Jonah: Ja, oft. "Hostage" hat zum Beispiel einen sehr mysteriösen Text.
Weißt du dann manchmal überhaupt nicht, über was du gerade singst?
Jonah: Es ist nicht so, dass ich Nonsens singe. Alles was ich weiß, wenn ich einen Song schreibe, ist, dass er etwas für mich bedeutet. Meine Songs versuchen mir etwas zu sagen. Aber wer weiß schon, wie solche Sachen funktionieren? Für uns war es sehr gruselig nach dem 11. September einen Song wie "Better Than This" zu spielen. Ich habe ihn zwar Jahre vor diesen Anschläge geschrieben. Aber auf einmal waren da andere Gefühle mit im Spiel und der Song wurde ein ganz anderer. Songs verändern immer ihre Gestalt und belehren mich, seien es nun meine oder die von Anderen. Es gibt so wenige Wörter und so viele verschiedene Wege, die diese Wörter gehen können.
Dann hoffen wir mal, dass dir deine Texte auch weiterhin viel zu sagen haben. Danke für das Gespräch.
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